Ost-Ausschuss-Kolumne: Wohin das Kapital fließt!

Ost-Ausschuss-Kolumne: “Wohin das Kapital fließt!”

Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um die Veränderung der globalen Kapitalströme.


Eine Billion US-Dollar

Yngve Slyngstad, 56, ist ein Mann an dem man auf der Straße wahrscheinlich vorübergehen würde. Seine äußere Erscheinung ist eher unspektakulär: groß, schlank, Glatze, ein Kinnbart. Und er ist ein vorsichtiger Mann. Er wählt seine Worte mit Bedacht und in dem Wissen, dass seine Aussagen und Entscheidungen Vermögen wachsen oder schmelzen lassen können. Denn Slyngstad ist Herr über eine Eins gefolgt von zwölf Nullen. Rund eine Billion US-Dollar verwaltet und investiert er als CEO des größten Staatsfonds der Welt, dem Staatlichen Pensionsfonds des Königreichs Norwegen. Der Fonds existiert, um die Einnahmen aus dem Verkauf von Öl zu managen und die Sozialbeiträge der Norweger möglichst gewinnbringend anzulegen. Investiert wird in Aktien, Anleihen, Wertpapiere und ein kleiner Teil in Immobilien. Der Fonds hält Beteiligungen in 73 Ländern und ist der größte Aktionär Europas. Er ist an über 9.000 Firmen weltweit beteiligt.

Beteiligung an allen DAX 30-Unternehmen

Und das macht ihn so interessant. Der Fonds ist auch an zahlreichen deutschen Unternehmen beteiligt, darunter an allen DAX 30 Firmen. Bei Volkswagen ist er der viertgrößte Anteilseigner, und er hält Aktien von nahezu allen großen amerikanischen börsennotierten Firmen. Darunter findet sich auch BlackRock, der größte unabhängige Vermögensverwalter der Welt. Russische Unternehmen findet man in der Liste der Global Player vergleichsweise wenige, derzeit 48 mit einem Wert von 2,7 Milliarden US-Dollar. Die meisten aus den Bereichen Rohstoffe, Einzelhandel und Finanzwirtschaft. Dafür steigt der Anteil chinesischer Werte im Bestand stetig, auf derzeit 602 Unternehmen mit einem Wert von ca. 23 Milliarden US-Dollar.

Weniger Kohlenwasserstoffe, mehr Zukunftstechnologie

Diese Entwicklung folgt der Maxime: weniger Werte in Öl und Gas und nicht nachwachsenden Rohstoffe anzulegen, dafür mehr Anteile an Zukunftstechnologien, nachwachsenden Rohstoffen und Investments, orientiert an der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes, zu halten. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Fonds an 195 deutschen Unternehmen mit einem Wert von knapp 31 Milliarden US-Dollar beteiligt ist. Spitzenreiter sind die Vereinigten Staaten, die mit 116 Milliarden US-Dollar und 530 Firmen über zehn Prozent am Gesamtkapital der Norweger ausmachen. Diese Strategie hat auch im Blick, dass die Einnahmen aus dem buchstäblichen Treibstoff des Fonds, dem Öl, mit dem Sinken der Reserven ständig abnehmen und das Wachstum in anderen Branchen generiert werden muss. In dieser Hinsicht sind sich die Staatsfonds in aller Welt recht ähnlich: auch China, Katar, Saudi-Arabien, Singapur oder die VAE investieren zunehmend in Zukunftstechnologien.

Das Ölzeitalter geht zu Ende

Die meisten dieser Fonds speisen sich noch aus den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas, allerdings mit rückläufiger Tendenz. Der russische „Wohlstandsfonds“ nimmt sich unter den anderen Riesen mit knapp 62 Milliarden US-Dollar eher bescheiden aus. Mehr Geld leitet der Staat augenblicklich in die Aufstockung der Gold- und Devisenreserven. Je nachdem ob man eher Keynes oder Hayek zuneigt, mag man diese Entscheidung unterschiedlich beurteilen. Unstrittig ist jedoch, dass die entscheidenden Wachstumsimpulse für die russische Wirtschaft nur durch vermehrte Investitionen generiert werden können. Die Binnenkonjunktur, die über viele Jahre ein Garant des wirtschaftlichen Wachstums war, lahmt. Der Grund ist eine Mischung aus Unsicherheit, Preissteigerung und Reallohnrückgängen – die Russen, eines der konsumfreudigsten Völker der Welt, haben einfach zu wenig Geld zur Verfügung. Die Angst vor der zukünftigen Entwicklung innerhalb und außerhalb des Landes trägt das Ihre dazu bei.

Technologie entsteht nicht auf staatliche Anweisung

Bruttoanlageinvestitionen könnten die Wirtschaft stimulieren. Allerdings sind die russischen Privatunternehmen und Investoren derzeit sehr zurückhaltend mit Projekten in Russland. Bleibt der Staat als Impulsgeber. Die Infrastruktur- und die nationalen Projekte für die nächsten fünf, zehn, 15 Jahre sind zahlreich und auf den ersten Blick auch finanziell gut ausgestattet. Die Herausforderung liegt jedoch in ihrer Umsetzung. Für viele der überaus anspruchsvollen und ambitionierten Pläne ist ausländisches Know-how unabdingbar, um sie technologisch meistern zu können. Ausländische Spezialfirmen stünden bereit. Dem steht allerdings zunehmend öfter die Politik der Importsubstitution und Lokalisierung entgegen. Höchstes technologisches Wissen entsteht nicht auf staatliche Weisung oder durch Marktbeschränkung. Um Firmen auf Weltmarktniveau zu entwickeln, braucht es gute und stabile Rahmenbedingungen, ein investorenfreundliches Umfeld und Unternehmen, die Geld in Forschung und Entwicklung investieren. Und nicht zuletzt Venture Capital. Doch russische private Investoren, die in russische Start ups oder Forschungseinrichtungen investieren, in private Universitäten oder Exzellenz Cluster kann man mit der Lupe suchen. Sie investieren lieber im Ausland.

Russen investieren in Deutschland, Deutsche weniger in Russland

Zwei Grafiken der Deutschen Bundesbank für Investitionen nach und aus Deutschland machen das ganze Ausmaß dieser Entwicklung deutlich.

Inländische Netto-Direktinvestitionen im Ausland, Quelle: Bundesbank

Einerseits sieht man, dass die russischen Investitionen in Deutschland kontinuierlich steigen und die Russische Föderation zu den Ländern mit hohen Investments in Deutschland zählt. Andererseits wird deutlich, dass die deutschen kumulierten Investitionen in Russland in den Jahren 2014 bis 2017 dramatisch abgenommen haben, stärker als in jedem anderen Land der Welt. Im gleichen Zeitraum flossen jedoch enorme Summen in andere europäische Länder, unter anderem in die Niederlande, nach Frankreich, Großbritannien und Spanien, aber auch in die Länder Osteuropas.

Ausländische Netto-Direktinvestitionen im Inland, Quelle: Bundesbank

Deutsche Firmen wollen investieren

Deutsche Unternehmen haben in der letzten Dekade sehr gut verdient. Die Kassen sind für Zukäufe, Beteiligungen und Investments gut gefüllt. Viele Unternehmen sind in der Hochkonjunkturphase erheblich gewachsen und haben ihren Exportanteil deutlich gesteigert. Russland wäre nach übereinstimmender Aussage ein attraktiver Markt, in den zu investieren, mit dem zu handeln sich lohnen würde. Die meisten Firmen halten jedoch die unübersichtliche Lage und die derzeitigen Marktbedingungen und die zunehmend auf „vaterländische“ Produktion ausgerichtete Wirtschaftspolitik zurück, die im Übrigen auch den Abstand zu den entwickelten Industrieländern größer werden lässt. Man kann diesen Fakt ignorieren oder selbst versuchen in allen Industriebereichen wettbewerbsfähig zu werden. Jede Statistik macht aber deutlich, Industrienationen investieren den größten Teil ihres Geldes in andere hoch entwickelten Ländern. Und Yngve Slyngstad sieht das sicher genauso.


Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: pogonici/Shutterstock.com
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