Muss der international bekannte russische Journalist und Moderator Wladimir Posner ins Gefängnis? Er selbst hat am Montag im russischen TV die Mächtigen – den Patriarchen, den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs und den Präsidenten – auf sein Vergehen aufmerksam gemacht. Posner ist Atheist.
Vergangenen Donnerstag wurde in Jekaterinburg der Blogger Ruslan Sokolowski (22) zu dreieinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Im Sommer 2016 hatte er sich in einer orthodoxen Kirche beim Pokemon-Go-Spielen gefilmt. Zudem soll Sokolowski, der sich als Atheist bezeichnet, seit 2013 mehrere antireligiöse Videos ins Netz gestellt haben. Bestraft wurde er wegen der Verletzung religiöser Gefühle; der Blasphemie-Paragraph schmückt seit drei Jahren das russische Strafgesetzbuch.
Während der Oberste Gerichtshof und der Kreml eine Antwort verweigerten – Sprecher Dmitri Peskow: “eine rhetorische Frage” – bezog das Patriarchat eine klare Position. Der Paragraph schütze die Menschenwürde der Gläubigen, er beschränke nicht das Recht des Einzelnen auf seine persönliche Lebens- und Weltanschauung.
Der 83-jährige Wladimir Posner, Sohn einer Französin und eines emigrierten russischen Juden, der in den USA für die Sowjetunion spionierte und 1952 mit seiner Familie nach Moskau zurückkehrte, ist seit den 1980er-Jahren als Vermittler zwischen den Mentalitäten und Sichtweisen in Ost und West aktiv.
Das Verhältnis zur Religion steht im Zentrum dieser Differenzen. Dass man eine Bewährungsstrafe erhält, weil man in einem Gotteshaus ein Videospielchen dreht und Christus und Mohammed im Internet verhöhnt, stößt im Westen auf Unverständnis. Dass es im Westen Intellektuelle gibt, die ernsthaft ein Recht auf religiöse Beleidigung fordern, hat in Russland den gleichen Effekt.
Der Handschuh zwischen Ost und West ist geworfen, hat Posner in einer seiner Sendungen unlängst gesagt. Dabei ist es nur ein neues Kapitel in einer unendlichen Geschichte, die der Religion, dem Glauben und dem Nichtglauben immer eine zentrale Rolle einräumt.