Kolumne: Hier ist alles so ordentlich!

Ost-Ausschuss-Kolumne: “Hier ist alles so ordentlich!”

Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um meisterhafte Gebäudereiniger, Putzlappen und den Sinn der deutschen Ordnung.

Unsichtbare, dienstbare Geister

In einem Regal im Bauch des Berliner Sony Centers liegen, säuberlich nach Farben getrennt, Lappen gestapelt. Grüne, hellblaue, gelbe – je nachdem für welche Oberfläche oder welchen Untergrund sie verwendet werden. Dazu Reinigungs- und Lösungsmittel, Arbeitsschutzbekleidung, Hygieneartikel, jede Menge Gerätschaften, um noch den letzten Winkel zu erreichen und Maschinen, mit denen man große Flächen reinigen kann. Ein Traum – wahrscheinlich in erster Linie – für Männer, deren Lieblingsspielzeug der Aufsitzrasenmäher ist. Das alles dient dazu, das Center jeden Tag in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Möglichst jedoch so, dass der Besucher oder die Angestellten davon nichts sehen. Deshalb sind die Arbeitszeiten meist am frühen Morgen oder in den Abend- oder Nachtstunden. Aber ohne die Heinzelmännchen gleich arbeitenden Gebäudereiniger würde der normale Betrieb sofort stillstehen. Dem Besuch einer russischen Delegation des Verbands der Gebäudereiniger ist es zu danken, dass wir in die Geheimnisse dieses sonst eher unsichtbaren Handwerks eintauchen durften.

In 53 von 94 Handwerken fiel der Meisterzwang

Und da fangen die Fragen schon an. Ist Gebäudereinigung eigentlich ein Handwerk? 2004 hat die Bundesregierung beschlossen, Firmen am Markt zuzulassen, die keine Meisterbetriebe sind, also jedermann erlaubt, ein Unternehmen zu gründen. Damals wurde in 53 von 94 Handwerksberufen die Pflicht, dass ein Meister das Unternehmen führt, abgeschafft. Das hat zwar einerseits dazu geführt, dass viele Menschen in Lohn und Brot kamen und die Unternehmenszahlen sprunghaft angestiegen sind. Die Arbeitslosenquote lag damals bei über zehn Prozent und war die höchste seit der Wiedervereinigung. Die Auflösung des Meisterzwangs war also eine Maßnahme im Rahmen der Konjunkturbelebung. Andererseits hat dadurch die Qualität der erbrachten Leistungen kontinuierlich nachgelassen und der Preisdruck erheblich zugenommen. Zumindest der Preiskampf wurde mit der Einführung eines Mindestlohns einigermaßen abgemildert. Und neuerdings wird auch hörbar über die Wiedereinführung der Meisterpflicht diskutiert, weil nur Meisterbetriebe ausbilden dürfen und weil sich hinter dem banalen Begriff „Putzen“ viel mehr verbirgt als Eimer, Feudel und Mopp. Interessanterweise heißt Mopp im Russischen auch моп.

Drei Jahre Ausbildung bis zum Gesellenbrief

Drei Jahre müssen in Deutschland Schüler lernen, bevor sie sich Gebäudereinigerin oder Gebäudereiniger nennen dürfen. Das Spektrum der Ausbildung reicht dabei weit über das Putzen hinaus. Im Angebot der Max-Taut-Schule in Berlin liest sich das so: „Gebäudereiniger/-innen arbeiten als Fachleute für Hygiene und Sauberkeit…Zum Aufgabenbereich gehören zunehmend weitere, spezialisierte Serviceleistungen, wie z.B. Schneeräumung und Eisbeseitigung, Pflege von Grünanlagen, Hol- und Bringdienste, Beseitigung von Brand- und Wasserschäden sowie die Tatortreinigung. Alle für die Tätigkeit erforderlichen theoretischen und praktischen Fähigkeiten gehören zu den Lerninhalten der Ausbildung.“ Nach erfolgreicher Beendigung erhalten die Absolventen einen Gesellenbrief, der für die besten und ambitioniertesten die Grundlage zur Erlangung eines Meistertitels bildet. Oder den Weg öffnet zum staatlich geprüften Reinigungs- und Hygienetechniker oder dem Studium des Facility Managements.

Ausbildung gibt es in Russland kaum

Auf dieses System schauen die russischen Kollegen mit großem Respekt und ein wenig neidvoll, denn etwas Vergleichbares gibt es nicht. Komplett fassungslos macht sie jedoch, dass die Auszubildenden eine Vergütung vom Unternehmen erhalten, die schon zu Beginn über dem durchschnittlichen Lohn in Russland liegt. Was zwangsläufig zu der Frage führt, warum tun die Unternehmen das? Darauf weiß der Bundesvorstand des Innungsverbandes der Gebäudedienstleister Roland Böhm eine klare Antwort: „Wir brauchen, um die geforderte Qualität bei den Aufträgen erfüllen zu können, unbedingt gut ausgebildete Fachkräfte, die nach der Ausbildung hoffentlich auch im Unternehmen bleiben.“ Damit beschreibt er das massivste Problem der Branche. Einerseits spüren die Unternehmen den allgegenwärtigen Mangel an Fachkräften und Jugendlichen, die einen Beruf ergreifen wollen. Andererseits herrscht ein regelrechter Wettbewerb um gut ausgebildete Facharbeiter.

Putzen gehen vor allem Ausländer

Vor diesem Problem stehen die russischen Unternehmen in gleichem Maß. Die meisten sind Mittelständler und damit im Verständnis Jugendlicher kein besonders attraktiver Arbeitgeber. Sie zieht es entweder in große Staatsunternehmen oder an die Universität. Facharbeiter zu sein oder mit seinen Händen zu arbeiten, gilt als zweitklassig. Und Dienstleistungen zu erbringen, ist auf der Beliebtheitsskala ganz unten angesiedelt. Gute Unternehmen sind deshalb gleich mit zwei Herausforderungen konfrontiert. Eine der deutschen dualen adäquate Berufsausbildung gibt es nicht und das Image der Branche ist schlecht. Putzen gehen auch in Russland in aller Regel Ausländer. Aber Auftraggeber, zumal industrielle, erwarten wie in Deutschland auch Qualität, Zuverlässigkeit und eine der Leistung angemessene Kalkulation. Logisch, dass die Firmen ein besonders hohes Interesse an einer Zusammenarbeit im Bereich der Ausbildung haben.

„Deutsche Ordnung“

Wie absolut notwendig Investitionen in qualifiziertes Personal sind, hat mittlerweile auch die russische Regierung erkannt und deshalb ein Investitionsprogramm für die Branche der Gebäudereiniger und Facility Manager aufgelegt, das beim Minpromtorg angesiedelt ist und so schnell wie möglich umgesetzt werden soll. Geld soll vor allem in die Ausbildung fließen. Doch Lehrbücher und -pläne, Ausbilder, Erfahrung, Qualität und Expertise kann man nicht kaufen. Hilfe haben in dieser Situation die deutschen Branchen-Unternehmen zugesagt. Mit Sicherheit wird das allein nicht reichen, aber es ist ein Anfang. In jedem Fall zeigten sich die russischen Unternehmen beeindruckt von der Leistungsfähigkeit und Komplexität der Aufgaben in Deutschland und davon, dass „alles so sauber ist.“ Die deutsche Ordnung, die man als Berliner manchmal mehr vermisst als wahrnimmt, ist immer noch ein typisches Merkmal für unser Land und Benchmark im Ausland.

Wir erziehen uns gegenseitig

Im Sony Center kam es denn auch zu einem eindrucksvollen Dialog. „Wie machen sie das? Es ist alles so ordentlich hier. Unsere Mitarbeiter würden die Lappen niemals nach Farben sortieren oder die Reinigungsmittel an den zugewiesenen Platz im Regal stellen“, zeigt sich eine russische Unternehmerin tief beeindruckt. Die Antwort des deutschen Managers ist so einfach wie verblüffend. „Wenn nicht alles an seinem Platz steht, vergeht Zeit mit Suchen. Dadurch schaffen die Mitarbeiter die Vorgabe pro Stunde nicht, und das führt am Ende dazu, dass alle Kollegen darunter leiden. Wir erziehen uns hier gegenseitig.“ Im Sony Center sind das 22 Vollzeitkräfte, ein sehr überschaubarer Kreis. Sie machten auf mich einen durchaus entspannten Eindruck. Kein Wunder, die Lappen lagen alle am richtigen Platz und waren auf Kante ausgerichtet.

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Titelbild: grafxart / Shutterstock.com
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