Morgenkommentar am 29. Mai 2017

Europa krankt am Erbe seiner Weltherrschaft. “The white man’s burden”, hat Rudyard Kipling das genannt, die hohe und doch schwere Christenpflicht, den Wilden die Fackel der Zivilisation zu bringen. Übersetzt ins säkulare 21. Jahrhundert heißt das: Demokratie, Menschenrechte, Gewaltenteilung, Klimaschutz. Der missionarische Eifer ist (fast) derselbe, nur bei der Durchsetzungskraft hapert es. Während vor 150 Jahren in Afrika ein britischer Leutnant und zwei Mann noch ganze Landstriche unter Kontrolle hielten, gelingt den deutschen Truppen in Afghanistan kaum mehr das Brunnenbauen. Europa ist die Luft ausgegangen, sie reicht nur noch für getragene Worte.

Anders als Barack Obama, der genau verstand, wie man den Europäern mit schöner Rede von ihrer All-Zuständigkeit um den Bart gehen kann, hat das Trump-Team mit Illusionen nicht viel im Sinn. Es setzt auf brutalen Realismus: Wenn der Kaiser nackt ist, wird das auch ausgesprochen.

Welches Bild bietet sich denn aus US-Perspektive: ein Kontinent, der noch vor hundert Jahren für weit mehr als die Hälfte der Welt-Wirtschaftsleistung stand und sich heute nicht einmal mehr selbst verteidigen kann. Auch verstärkt um Japan und Kanada bringen die sechs G7-Partner der USA gerade einmal 15 Prozent des Welt-BIP auf die Waage. Und 5,2 Prozent der Weltbevölkerung.

Dafür lautet deren Motto weiterhin: Make the world a better place. Je impotenter sie werden, desto lauter blasen die Europäer es hinaus. Nach dem Gipfel von Taormina ergießt sich ein medialer Shitstorm über den US-Präsidenten, weil er dafür gesorgt hat, dass die zeremoniellen Bekenntnisse zur heilen Flüchtlingswelt und zur Klimarettung im Schlusskommuniqué nicht auftauchen. Sakrileg!

Es ist Zeit, den Sinn des G7-Formats zu hinterfragen. Europa bietet schöne Aussichten und tut keiner Fliege etwas zuleide, aber braucht es wirklich Italien, um die Probleme der Welt zu bewältigen? Kann man überhaupt “die Probleme der Welt” bewältigen? Dazu noch ohne China, ohne Indien, ohne die Afrikaner, ohne die Südamerikaner?

Die Antwort: nein. Die G7 als Planetenretter haben sich überlebt. Ein Ritual für Staatsführer, die ein langes Wochenende im Luxushotel goutieren, nichts für Zeiten von Krise und Umbruch. Nicht angesichts einer Welt jenseits des Westens, die immer reicher und mächtiger wird. Schon Mahatma Gandhi hat für die “westliche Zivilisation” nur Ironie übrig gehabt: “It would be a good idea.”