Morgenkommentar am 22. Mai 2017

Der Auftritt des Rosneft-Präsidenten Igor Setschin vor der Presse in Berlin am Freitag hat vor allem eines gezeigt: Der Primat der Politik in den deutsch-russischen Beziehungen ist aufgebraucht. Sehr zum Missfallen der Wirtschaft hatte die Bundeskanzlerin ihn im Frühjahr 2014, unmittelbar nach dem Höhepunkt der Ukrainekrise, durchgedrückt. Erst wenn die “regelbasierte europäische Friedensordnung”, nach westlicher Sicht durch die Krim-Annektion und die Vorgänge in der Ostukraine empfindlich gestört, wiederhergestellt wäre, würden “normale” Beziehungen möglich sein – so die Argumentation des Kanzleramts.

Nur hatte der Westen die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Aus Moskauer Sicht ist die europäische Friedensordnung schon viel länger aus der Balance, spätestens seit der Bombardierung Serbiens und der Sezession des Kosovo. Seither streiten sie wie die Kesselflicker, bekommen aber das Problem nicht vom Tisch.

Setschin sprach der gesamten Wirtschaft, ob deutsch oder russisch, aus dem Herzen, als er sich beklagte, die Politiker ließen für ihre Unfähigkeit, Lösungen zu finden, die Wirtschaft büßen. Die hat es jedenfalls auszubaden, wenn die Zankteufel in der Politik sich gegenseitig mit Sanktionen überziehen. Deren gesamten Schaden bezifferte Setschin mit einem “hohen zweistelligen, wenn nicht dreistelligen Milliardenbetrag”.

Gleichzeitig ließ er durchscheinen, dass man mit den Sanktionen zu leben gelernt habe. Rosneft habe keine Probleme beim Zugang zu benötigter Technologie. Dabei fiel auch der Name Siemens. Als das ZDF nachhakte, wie das angehe, also Lieferungen möglicherweise sanktionierter Siemens-Technologie nach Russland, meinte Setschin nur, er werde jetzt keine hart erarbeiteten Geheimnisse preisgeben. Im Übrigen bewege man sich strikt im Rahmen geltender Gesetze.

Die Politik muss sich nicht wundern, dass ihr das Heft aus der Hand gleitet. Wer ein Primat beansprucht, bringt Autorität ins Spiel. Und wer Autorität geltend macht, muss irgendwann liefern. Liefern jedoch ist mehr als Rechthaberei und permanente Schuldzuweisungen.

Wenn Politiker nur heiße Luft produzieren, dürfen sie sich nicht wundern, wenn die Menschen “draußen im Lande” nach neuen Kanälen zappen. Auch die Wirtschaft. Da hilft alles Dämonisieren seitens der Medien nicht. Etwa wenn, wie am Freitag in Berlin, der FAZ-Korrespondent den Rosneft-Chef fragt, ob es in Russland einen Menschen gebe, der keine Angst vor ihm habe. Ausgerechnet die FAZ. Bei solchem Niveau der Leitmedien – was soll man da vom Kanzleramt erwarten?