Morgenkommentar am 15. Mai 2017

Die Wahlen seit Anfang Mai – Frankreich, Schleswig-Holstein, NRW – zeigen: Jedenfalls der Westen des europäischen Kontinents bleibt auf die politische Mitte fixiert. Mindestens zwei Drittel, in Deutschland mehr als 80 Prozent lehnen die radikalen Ränder ab, sei es aus inhaltlichen Gründen oder ästhetischen.

Sollte man im Moskauer Kreml die Hoffnung gehegt haben, vor allem Frankreich und Deutschland mit Hilfe rechtsnationaler Emotionen zu schwächen – der Versuch ist gescheitert. Da braucht es schon historische Katastrophen anderen Kalibers, um Menschen scharenweise in den Extremismus zu treiben, Umbrüche wie 1918 und Wirtschaftskrisen wie 1923 und 1929. Eine Million Migranten und ein “Kulturabbruch” in Gestalt der Homoehe reichen nicht hin, da mögen die paar Fanatiker im Internet sich noch so aufmandeln.

Marginalisierung droht den Europäern aus ganz anderer Ecke. Indem die uralten, nichtwestlichen Kulturen wie China oder Indien sich immer dynamischer entwickeln, rücken sie Europa unausweichlich in den Schatten. Da hilft es auch nichts, die Herausforderung (die in der Tat unüberwindbar ist) nicht wahrnehmen zu wollen. Delegationen aus über hundert Ländern waren am Wochenende zur ersten großen Seidenstraßen-Konferenz nach Peking gekommen, Staatspräsidenten wie Erdogan und Putin inbegriffen. Aus Europa kamen die Ministerpräsidenten aus Polen, Ungarn, Tschechien, Griechenland, Italien und Spanien. Deutschland, dessen Wirtschaft erheblich von dem chinesischen Megaprojekt profitiert, schickte gerade einmal die Wirtschaftsministerin. Die Medien berichteten spärlichst.

Die deutsche Politik hält nicht viel von One-Belt-One-Road, wie die Seidenstraße über Land und Meer in China genannt wird. Sie bemängelt fehlende Transparenz bei den Vergaben, niedrige Sozial- und Umweltstandards und die Korruption im Umfeld des Billionenvorhabens. Berlin hat auch durchgesetzt, dass die Europäer ein für Peking geplantes Gipfeldokument zu Handelsfragen nicht unterschreiben.

Nun, dann unterschreiben sie nicht. In ihren Köpfen dominieren europäische Politiker und Intellektuelle weiterhin das Weltgeschehen, definieren Werte, Normen und was Fortschritt ist. In der Realität fährt – buchstäblich – die Eisenbahn drüber. Das ist es, was Marginalisierung bedeutet.