Morgenkommentar am 2. Mai 2017

Eigentlich markiert Angela Merkels Reise in die russische Schwarzmeerstadt Sotschi den Bruch eines Versprechens. Erst wenn es Fortschritte im Ukrainekonflikt gibt, wollte sie wieder nach Russland fahren – seit Mai 2015 ist sie dem russischen Präsidenten nur anlässlich internationaler Treffen in Drittländern begegnet.

Für den kleinen Wortbruch gibt es gute Gründe. Die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen geht ins vierte Jahr. Die Verfechter einer harten Linie dem Kreml gegenüber geraten unter Druck – wer auf Konflikt setzt, der sollte irgendwann Erfolge vorweisen. Streit ist auch in der Politik kein Selbstzweck.

An den Erfolgen hapert es. Die Sanktionen, die Ausgrenzung Russlands und die starre Front des Westens haben es Wladimir Putin leicht gemacht, sein Volk um sich zu scharen. Wer keine Freunde hat, braucht auch keine Rücksichten zu nehmen – das russische Comeback im Mittleren Osten macht es deutlich. Wirtschaftlich geht es auch wieder aufwärts, und das Wichtigste: Mit dem Ukrainekonflikt können inzwischen alle leben. Am wenigsten vielleicht die Prinzipienreiter im Westen, doch deren postfaktische Behauptung, die Krim gehöre zur Ukraine, bleibt ungehört.

Die Kanzlerin spürt, dass sie ihren Kurs ändern muss. Jahrelang stand die Phalanx der Europäer im Zentrum ihrer Politik. Doch die hat sich als ergebnislos erwiesen; der Karren kommt nicht vom Fleck. Merkel muss damit rechnen, dass, wenn sie den ersten Schritt nicht tut, andere es tun. Auch ein an sich russlandkritischer französischer Präsident Emmanuel Macron wird sich nicht vorwerfen lassen wollen, der offensichtlich erfolglosen Ukrainepolitik der deutschen Kanzlerin hinterherzulaufen.

Größer noch ist die Sorge, der SPD-Kanzlerkandidat könnte sich mit einer Russland-Initiative profilieren. Eine Moskaureise vor der Bundestagswahl hat Martin Schulz bereits angekündigt. Seit Wochen diskutiert die SPD die Chancen einer neuen Ostpolitik – im übrigen durchaus konfrontativ. Hardliner auf Kanzleramtskurs sitzen überall. Andererseits weiß die SPD-Spitze, wie groß das Unbehagen mit dem Russlandkonflikt unter der Bevölkerung ist. Ein Entspannungskurs könnte der Partei durchaus einige Prozentpunkte bescheren.

Darüber hinaus ist Merkels Reise auch ein Ausdruck von Führungsanspruch in neuer Gestalt. Dass die Kanzlerin auf den Zwischenstopp in Warschau verzichtet, hat symbolischen Gehalt. Berlin zeigt, dass der Hund mit dem Schwanz wedelt und nicht andersherum. Dass Hund und Schwanz dennoch Teile eines Ganzen sind, versteht sich auch für die Russen von selbst.