AfD-Politiker Alexander Gauland im Exklusiv-Interview
Alexander Gauland ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Im Exklusiv-Interview mit Ostexperte.de spricht er über die russische-europäische Entfremdung, die Rückbesinnung auf bismarcksche Russlandpolitik und die Legitimität des Krim-Referendums.
Nach der Wende war Gauland Herausgeber der Tageszeitung Märkische Allgemeine. Er publizierte auch zahlreiche Bücher, u. a. “Anleitung zum Konservativsein”. Er war zudem Vordenker des Berliner Kreises, der sich um einen konservativen Kurs der CDU bemühte.
Nach Russland hat Gauland gute Kontakte. Zum Beispiel ließ er sich im Herbst 2015 nach St. Petersburg zu einer Tagung der Stiftung “St. Basilus” einladen, die dem Putin-Vertrauten und Oligarchen Konstantin Malofejew gehört.
Die AfD fordert die Einbeziehung Russlands in eine europäische Sicherheitsarchitektur. Im Grundsatzprogramm der Partei steht:
“Das Verhältnis zu Russland ist für Deutschland, Europa und die Nato von maßgeblicher Bedeutung, denn Sicherheit in und für Europa kann ohne Russlands Einbindung nicht gelingen. Wir setzen uns daher dafür ein, Konflikte in Europa friedlich zu regeln und dabei die jeweiligen Interessen zu berücksichtigen.
Sie haben erklärt, das Freihandelsabkommen TTIP führe dazu, die Entfremdung zwischen Europa und Russland zu zementieren. Wie ist es zu dieser Entfremdung gekommen?
Ich betone häufig, dass man 1989 und 1990 viele Fehler gemacht hat. Das heißt, die Deutschen haben diese Fehler nicht gemacht, denn sie waren Objekt historischer Entwicklungen, und nicht Subjekt. Aber was man 1990 offiziell verkündet hatte, also das Ende der Geschichte, den demokratischen Neuaufbau Europas, hat man leider in der Realität nicht umgesetzt. Die ehemalige DDR sollte im Rahmen der Wiedervereinigung Teil des NATO-Gebiets werden. Es war vereinbart, dass sich die NATO nicht weiter ausdehnt. Das hat man den Russen zwar mündlich zugesagt, jedoch war dies Grundlage einer neuen Ordnung. Und diese hat man nicht eingehalten.
Worin lag Ihrer Meinung nach der Fehler in der NATO-Ausdehnung nach Osten?
Man hat alle osteuropäischen Staaten in die NATO aufgenommen. Das ging weiter in Richtung Ukraine, Georgien und Moldawien. Genau da liegt meiner Ansicht nach der Fehler. Sie können schlecht von einem Ende der Geschichte reden, aber dann eine Politik weitermachen, die 40 Jahre der Spaltung fortsetzt.
Wie kann Europa dieser Politik entgegensteuern?
Wir sind grundsätzlich der Meinung, dass die Spaltung durch eine europäische Friedensordnung überwunden werden muss. Dies ist aber nur langfristig möglich. Ich bin nicht für einen Austritt aus der NATO. Aber man muss versuchen, Russland in alle künftigen Verteidigungsanstrengungen einzubeziehen. Der Konflikt, der aufgrund der NATO-Erweiterung entstanden ist, sollte nicht verschärft werden.
Viele Transatlantiker sehen die Gefahr einer Wiederauferstehung des russischen Imperiums. Teilen Sie diese Sorge?
Ich weiß gar nicht, was daran so schlimm und falsch ist. Wenn Menschen außerhalb der Landesgrenzen zurück zu Russland möchten, dann kann das nicht grundsätzlich falsch sein. Solange das Selbstbestimmungsrecht der Nationen dadurch nicht verletzt wird, kann es nicht unsere Aufgabe sein, der russischen Reichsidee in irgendeiner Weise entgegenzuwirken. Das Einsammeln russischer Erde beruft sich auf eine alte, zaristische Tradition.
Halten Sie das für eine gute Tradition?
Diese Politik ist dadurch entstanden, dass wir Russland auf dem Weg in eine andere Ordnung nicht mitgenommen haben. Nachdem Russland wieder stärker geworden ist, als es bei der deutschen Wiedervereinigung war, hatte es Ansprüche gestellt, Teil einer gemeinsamen Ordnung zu sein. Als dem Land dies verwehrt wurde, hat es auf eine zaristische Politik zurückgegriffen. Das finde ich nicht gelungen. Das will ich gerne zugeben. Aber es ist nicht so, dass man das nicht ändern, und Russland nicht wieder in eine europäische Ordnung einbeziehen könnte.
Die Formulierung über das „Einsammeln russischer Erde“ haben Sie bereits im Zusammenhang mit dem Anschluss der Krim an die Russische Föderation verwendet. War die Annexion Ihrer Meinung nach gerechtfertigt?
Historisch bestimmt. Ob sie allen Regeln des Völkerrechts entsprach, will ich nicht untersuchen. Aber natürlich ist die Krim ein klassisches russisches Territorium gewesen. Die Tatsache, dass ein betrunkener Chruschtschow sie in einem Anfall von Größenwahn einer Ukraine, die nicht unabhängig und selbstständig war, geschenkt hat, ist natürlich keine starke Legitimität für eine solche Entwicklung. Von daher glaube ich schon, dass wir aufhören sollten, die Russen aufzufordern, die Krim zurückzugeben. Katharina die Große hat die Krim für Russland erobert. Das wird sich nicht mehr verändern.
Worauf stützt sich historisch die Nähe der sogenannten Neuen Rechten zu Russland?
Wenn es denn eine alte Rechte in Deutschland gab, also vor der Zeit des Nationalsozialismus, so hat diese alte Rechte eine gute Beziehung zu Russland für ein Grundaxiom ihrer Politik gehalten. Das gilt für Metternich, das gilt für Bismarck, das gilt – obwohl alte Rechte hier nicht mehr passt – für Walther Rathenau. Es gehört zur deutsch-preußischen Tradition, aber auch zur österreichischen Tradition, gute Beziehungen zu Russland zu pflegen. Der Kontinent war immer recht gut aufgestellt, wenn man Russland in einer Ordnung einbezog, und er war nicht gut aufgestellt, wenn man versuchte, Russland außen vor zu lassen. Die bismarcksche Tradition war immer, gute Beziehungen zu Russland zu haben. Auch der alte Kaiser, also Wilhelm I., hatte auf diesem Axiom preußischer Politik bestanden. Sie können sich in der Geschichte umsehen von 1763 über 1807 bis hin zu 1813, 1856 und 1871. Immer haben wir nur dann politische Erfolge in Europa gehabt, wenn Russland entweder an der Seite Deutschlands stand oder jedenfalls in die Ordnung einbezogen wurde.
Gilt das auch für Vertreter der Konservativen Revolution?
Ich bin kein Anhänger der Konservativen Revolution. Aber gerade in der Weimarer Republik, das ist ja die Phase der Konservativen Revolution, hat die Reichswehrführung unentwegt versucht, Abrüstungszwängen zu entgehen, indem man mit der neuen Sowjetunion zusammengearbeitet hatte. Auch da sehe ich keine Konfliktlinie. Der Bruch geschieht erst durch Hitlers Großraumpolitik und dessen rassischer Überlegenheitspolitik, die dann zum Angriff auf die Sowjetunion führte. Die Konservative Revolution gehört zwar nicht zur alten Rechten. Aber bei beiden sehe ich Berührungspunkte für eine gute Beziehung zu Russland.
Die Erinnerungskultur in Russland in Bezug auf die Sowjetunion ist deutlich unkritischer als die deutsche Erinnerungskultur an die NS-Zeit. Halten Sie das für gut?
Auf der einen Seite haben wir die Verbrechen Stalins, auf der anderen Seite die Verbrechen der Nazis. Doch Stalin hat den Krieg gewonnen. Es war ein Angriffskrieg von Deutschland. Von daher gibt es in Russland eine andere Erinnerungskultur als in Deutschland. Adolf Hitler hat das Land in die totale Katastrophe und fast in den Untergang des deutschen Volkes geführt. Stalins Politik dagegen hat trotz aller Verbrechen die Sowjetunion und damit Russland zum Sieg geführt. Dadurch entstand ein historisches Gedächtnis, nach dem es bei Stalin positive Dimensionen gibt, und bei Adolf Hitler keine.
Ist Russland in gesellschaftlich-sozialer Hinsicht ein Vorbild für die AfD?
Nein. Ich glaube, man sollte nicht immer versuchen, innenpolitische Situationen von Ländern zu vergleichen. Wenn ich mich für gute Beziehungen zu Russland einsetze, dann hat dies mit der vorhin erwähnten bismarckschen Tradition zu tun. Diese Diskussion ist schon einmal im alten Preußen geführt worden. Da hat Bismarck auf die Frage, ob Preußen so werden soll wie Russland, geantwortet: „Natürlich nicht, ich bin Preuße.“ Das hat nichts mit der russischen Innenpolitik zu tun. Solche Dinge kann man nicht vergleichen. Man soll nicht versuchen, historische und traditionelle Entwicklungen übernehmen zu wollen.
Sehen Sie die Chance auf eine Annäherung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland?
Ich glaube, es ist notwendig, dass die beiden Weltmächte in bestimmten Fragen zusammenarbeiten. Ich glaube auch, dass es dafür viele Möglichkeiten gibt. Ich kann noch immer nicht richtig erkennen, was Trumps Außenpolitik nun wirklich ist. Das schwankt ja auch. Aber ich sehe keine unüberbrückbaren Gegensätze zwischen der westlichen Hemisphäre, die weitgehend von Amerika bestimmt wird, und dem ehemaligen russischen Reich und seinen Interessenlagen.
Die Interessenlagen in Osteuropa wirken derzeit schon sehr gegensätzlich.
Es ist nun mal so, dass osteuropäische Staaten Mitglied in der NATO sind. Das wird auch gar nicht mehr in Zweifel gezogen. Und so drehen sich die Konflikte hauptsächlich um die Ukraine und die Krim. Und ja, es kann auch mal wieder in Georgien sein, das will ich nicht bestreiten, Aber das sind keine Konflikte, die man nicht lösen könnte.
Sollte sich Deutschland eher wirtschaftlich nach Russland orientierten? Was halten Sie von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum?
Das kann ich schwer beurteilen, weil die Volkswirtschaften sehr unterschiedlich sind. Ich bin für ein Freihandelsabkommen, aber eben nicht eines, das an der russischen Grenze Schluss macht. Besser wäre ein Abkommen, das Russland in seinen Möglichkeiten einbezieht. Doch der von Ihnen angesprochene Wirtschaftsraum sollte nicht zu einer Phrase verkommen. Es scheint mir, dass es letztlich große Unterschiede zwischen Russland und Deutschland gibt.
Wie bewerten Sie die russische Einflussnahme durch die Auslandssender RT und Sputnik auf die europäische Medienlandschaft?
Ich fühle mich nicht beeinflusst. Ich sehe keine Art der Einflussnahme, die ich für unerlaubt halte.
Herr Dr. Gauland, vielen Dank für das Gespräch.
Dieses Interview führte Ostexperte,de-Chefredakteur Thorsten Gutmann.