Keine von Donald Trumps Wahlkampfankündigungen ist so rasch zerplatzt wie die einer neuen, auf Entspannung zielenden Russlandpolitik. “Russiagate”, der Terminus für die Kontakte der Trump-Mannschaft zu Moskauer Diplomaten, raubt der neuen Administration an dieser Front jede Handlungsfreiheit.
Umso größer ist der Spielraum, den das mehrheitlich antirussisch gesinnte Establishment beider großer US-Parteien genießt. Als in dieser Woche die Verteidigungsminister der USA und Finnlands, James Mattis und Jussi Niinistö, im Pentagon zusammentrafen, war sogar im Pressestatement von der “russischen Aggression” die Rede, die Gegenstand der Gespräche gewesen sei.
Auch in deutschen Medien liest man das ständig: russische Aggression und Expansionslust. Um Missverständnissen vorzubeugen: Auf der Krim und in der Ostukraine hat der Kreml sich aggressiv verhalten – und damit in konkreten Konflikten seinen Standpunkt durchgesetzt. Punktuelles Durchsetzen eigener Interessen mit militärischen Mitteln gehört zum Repertoire der Großmächte, Stichwort Irak 2003.
Aus einem solchen Verhalten in Krisensituationen allerdings pauschale Aggression oder Expansionslust abzuleiten ist nicht weniger als fahrlässig. Nicht ohne Grund erliegen dieser Versuchung vor allem Journalisten mit unklarem beruflichen Selbstverständnis: Berichterstatter, Propagandist, Weltverbesserer, Missionar?
Kein russischer Politiker, allenfalls Wladimir Schirinowski nach zwei Flaschen Wodka, hat seit dem Ende der Sowjetunion territoriale Ansprüche NATO-Mitgliedstaaten gegenüber geltend gemacht. Nicht gegenüber den drei baltischen Ländern und auch nicht gegenüber Polen und den NATO-Staaten in Südosteuropa.
Erst recht nicht gegenüber Finnland.
Russlands Bereitschaft zum – notfalls militärischen – Schutz “roter Linien” vor (wie es in Moskau heißt) “westlicher Aggression” beschränkt sich auf Teile der ehemaligen UdSSR, an erster Stelle auf die ostslawischen Länder Ukraine und Weißrussland. Wenn es dort zum Konflikt kommt, wird auch dem Völkerrecht nur noch formal Genüge getan, etwa mittels fehlender Kennzeichen auf den Uniformen der “grünen Männchen” auf der Krim.
Wie sagt man in den USA: It’s part of the game.
Die Strategieziele sind derweil unverändert. Aus Washingtoner Sicht: das NATO-Territorium durch weitere Beitrittsländer arrondieren, etwa Finnland, Montenegro, Mazedonien; die Ukraine fest im westlichen Orbit verankern; Appeasement-Tendenzen in Westeuropa bekämpfen. Aus Sicht des Kreml: die Containment-Politik konterkarieren; die Ukraine zumindest wieder in eine neutrale Position bewegen; die westeuropäische Phalanx aufbrechen.
Faites vos jeux.