„Russland ist weitestgehend isoliert“

Interview mit dem Österreichischen Politologen Prof. Gerhard Mangott

Ostexperte.de sprach mit dem Österreichischen Politologen Gehard Mangott über Präsident Putins Anerkennung der Donbass-Republiken. Mangott ist Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck mit dem Schwerpunkt Osteuropa und Russland und gilt als führender Russlandexperte Österreichs.

von Roland Bathon


Ostexperte: Herr Mangott, bedeutet die Anerkennung der Donbass-Republiken jetzt das endgültige Ende der Vereinbarung von Minsk, braucht man über das Thema überhaupt nicht mehr zu reden?

Mangott: Der Minsker Prozess wurde von Russland tatsächlich an die Wand gefahren. Ganz offensichtlich hatte man in der russischen Führung überhaupt keine Erwartung mehr, dass die ukrainische Seite ihre Verpflichtungen aus dem Abkommen erfüllen wird und auch keine Hoffnung mehr, dass Deutschland und Frankreich Druck auf Präsident Selenski ausüben, hier wirklich Zugeständnisse zu machen. Aber davon zu sprechen, dass es hier noch einen Verhandlungsweg geben kann, das ist sicherlich eher illusionär. Diese Geschichte ist tatsächlich jetzt entschieden. Die Gebiete sind anerkannt und Russland wird diese Anerkennung sicherlich nicht mehr zurücknehmen.

Ostexperte: Bekannte russische Experten haben ihre Regierung vor dem aktuellen Schritt im Vorfeld gewarnt, gerade gemäßigtere Akteure wie Andrej Kortunow. Haben diese ihren Einfluss auf den Kreml verloren? Sind da jetzt mehr die Falken, also die Scharfmacher, tonangebend?

Mangott:  In den letzten Jahren haben sich in der Umgebung Putins vor allem die Vertreter des Militärs und Sicherheitsapparates durchgesetzt. Sie haben großen Einfluss auf ihn, weil Putin auf diese Kräfte auch angewiesen ist, um seinen repressiven Kurs in Russland gegenüber der eigenen Opposition zu fahren. Und diese Kräfte haben natürlich ein Interesse an einer militärischen Eskalation. Sie haben Putin 2014 schon vorgeworfen, dass er nicht größere Gebiete der Ukraine besetzt und annektiert hat.

Dr. Gerhard Mangott, Professor für Internationale Beziehungen an der Uni Innsbruck.
Dr. Gerhard Mangott, Professor für Internationale Beziehungen an der Uni Innsbruck. © Celia di Pauli.

Ostexperte: Der Ukrainische Präsident Selenski hat im Vorfeld der Anerkennung diese wortwörtlich als eine Kriegserklärung an sein Land bezeichnet. Löst diese jetzt eine ukrainische Offensive auf das Rebellengebiet im Donbass aus?

Mangott: Es wäre töricht für die ukrainische Seite, zu versuchen, jetzt diesen Vormarsch Russlands im Donbass aufzuhalten, denn das wäre für Russland ein geringster Vorwand, um tatsächlich militärisch großräumig in der Ukraine einzumarschieren. Also wird es das von ukrainischer Seite nicht geben. Aber vielleicht inszeniert man doch von der russischen Seite angebliche Vorstöße der ukrainischen Armee, um das dann als Rechtfertigung zu verwenden, vor allem gegenüber der eigenen Bevölkerung, die Kämpfe auszuweiten.

Ostexperte: Auch ohne Befehl aus Kiew – die dort auf Regierungsseite kämpfende Nationalgarde besteht ja teilweise aus Neonazis. Hat man diese unter Kontrolle?

Mangott:  Diese paramilitärischen Formationen sind mit Sicherheit ein Unsicherheitsfaktor, in der Ukraine gibt es rechtsgerichtete, faschistische, paramilitärische Organisationen. Ob die stillhalten, das ist eine andere Frage. Und es ist für diese auch gefährlich, zu schwach, zu hilflos auszusehen. Denn das würde sie von rechts, von der politischen Szene rechts der Mitte deutlich unter Druck bringen, die ihnen dann als wirklich Führung schwach darstellen würden. Und das könnte Putins Position in der ukrainischen Innenpolitik auch deutlich gefährden.

Putin ist enttäuscht über Verhandlungslösungen

Ostexperte: Sie haben gerade von Inszenierung gesprochen. Halten Sie es für möglich, dass schon die Duma-Initiative, die ja von regierungsnahen Parteien vorgebracht worden ist, für die Anerkennung von oben schon eingefädelt worden ist? Oder haben Sie eher das Gefühl, dass der Kreml da von anderen Kräften motiviert wurde?

Mangott: Die Initiative in der Staatsduma wäre sicherlich nicht zustande gekommen ohne ein Signal aus dem Präsidialamt, dass man genau das wünscht. Es ist erstaunlich, dass man diese Initiative der Kommunistischen Partei überlassen hat, deren Antrag dann im Parlament eine Mehrheit fand. Die erste Reaktion Putins war: Wir müssen da nichts überstürzen. Da hatte man den Eindruck, ja, er möchte das noch hinauszögern, vielleicht als auch Verhandlungsgegenstand gegenüber dem Westen. Aber mittlerweile ist er enttäuscht über die Möglichkeiten einer Verhandlungslösung. Und so hat er sich offenbar entschieden, den militärischen Weg zu gehen.

Ostexperte: Isoliert sich Russland mit der gestern getroffenen Entscheidung international nicht komplett international selbst? Es hat ja sogar aus China negative Stimmen gegeben.

Mangott: Ja, Russland ist weitestgehend isoliert. Die chinesische Stellungnahme war allerdings zu erwarten, denn China hat selbst Probleme mit separatistischen Kräften auf seinem Territorium. So vertritt es die Position, dass die Unabhängigkeit der Ukraine wie die Unabhängigkeit eines jeden Landes nicht angegriffen werden darf. Diese Stellungnahme war für Russland sicherlich nicht überraschend. Wichtig ist für Russland, dass China es bei einem Stopp der weiteren Ausdehnung der NATO unterstützt, das reicht quasi. Auf China ist Moskau vor allem im Fall harter westlicher Wirtschafts- und Finanzsanktionen angewiesen, damit es Russland aushilft in den Bereichen, in denen die Sanktionen am schärfsten greifen.

Ostexperte: Manche Passagen von Putin in seiner Anerkennungsrede klingen, als würde Putin der Ukraine das Recht auf eigene Staatlichkeit absprechen. Es hat mich überrascht, die Regierung in Kiew wird in ihrer Legitimation massiv angegriffen. Es ist ein Vorwurf, der von Russlandkritikern gegenüber der dortigen Regierung schon länger gemacht wird, dass der Kreml der Ukraine das Recht auf seinen eigenen Weg abspricht. Warum wählte Putin solch harte Worte?

Mangott: Diese etwas eigenartige Rede, wo wirklich ukrainische Staatlichkeit verneint und die Legitimität der ukrainischen Regierung offen in Frage gestellt wurde, ist sicherlich die Ankündigung einer weiteren militärischen Eskalation. Eine Ankündigung, dass Putin sich nicht mit der Besetzung der separatistischen Gebiete zufriedengeben wird. Denn das würde ihm relativ wenig bringen. Dieses Gebiet wird ohnehin schon kontrolliert. Es gab dort schon inoffizielle russische Soldaten, also die Anerkennung einer Besetzung. Die offizielle Besetzung dieses Gebietes ist sicherlich für Putin zu wenig und diese Kriegsrhetorik gestern lässt befürchten, dass eine Besetzung der Ukraine in größerem Umfang noch bevorsteht.

Die Fragen stellte Roland Bathon.

 Anm. d. Red.: Das Interview wurde geführt vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022.

Das Interview wurde auszugsweise veröffentlicht in der Onlinezeitung Telepolis und liegt Ostexperte.de exklusiv in vollem Umfang vor.

Titelbild
Seneline / Shutterstock.com