Ein Tag in Nischni Nowgorod: „Wo Oka und Wolga sich umarmen“
Nischni Nowgorod ist mit 1,25 Millionen Einwohnern die fünftgrößte Stadt Russlands. Sie liegt rund 400 Kilometer östlich von Moskau an der Einmündung der Oka in die Wolga. Wie kann man einen schönen Tag in der Millionenstadt verbringen?
Von Moskau aus erreicht man Nischni Nowgorod mit dem Schnellzug „Strisch“ (deutsch: Mauersegeler) in dreieinhalb Stunden. Wer die Zeit für die Strecke tagsüber sparen möchte, kann alternativ den Nachtzug nehmen. Ein Ticket für die 3. Klasse im Nachtzug kostet um die 1.500 Rubel (etwa 22 Euro). Die Fahrt dauert zwar länger als mit dem „Strisch“, dafür kann man den Tag aber (mehr oder weniger) ausgeschlafen in Nischni Nowgorod beginnen.
In der Stadt angekommen ist es 6:35 Uhr. Verlässt man den Bahnhof, erblickt man zunächst das in pinkem Neonlicht erleuchtete „Tsum“-Luxuskaufhaus. Zusammen mit Leuchtreklamen an umliegenden Häusern versprüht der Bahnhofsvorplatz einen Hauch von Las Vegas.
Bei einem ersten Morgenkaffee im McCafé, das als einziges geöffnet hat, lasse ich etwas Zeit verstreichen, bis es heller wird. Dann mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt. Mein erster Eindruck ist, dass die Luft verschmutzt ist. Es lässt sich nicht gut atmen. Ich laufe an der Wolga entlang und komme an einem obligatorischen Lenin-Denkmal sowie am Messegelände vorbei. Dort soll gerade die Modewoche „Matroschka 2017“ stattfinden. In der Ferne erkennt man auf der Landzunge Strelka, an der Mündung der Oka in die Wolga, die Alexander-Newski-Kathedrale.
Ich betrete die Kanawinski-Brücke und überquere den Fluss Oka. Von dort aus hat man einen guten Blick auf die gegenüberliegende Altstadt und man versteht, warum Nischni Nowgorod übersetzt „untere Neustadt“ heißt. Die Stadt liegt an einem Berg und erinnert ein wenig an das norwegische Bergen. Wahrscheinlich regnet es hier aber weniger als in Bergen. Am rechten Ende der Brücke sieht man das Maria-Verkündigungs-Kloster mit der St. Alexis Kirche, die mit ihren weißen Säulen an einen griechischen Tempel erinnert. Das Kloster diente dem Schutz des Flussübergangs und wurde mehrmals von Feinden abgebrannt und geplündert.
Die Roschdestwenskaja-Straße: In alten Zeiten schwelgen
Ich verlasse die Brücke und biege nach links in Richtung Altstadt und in die Roschdestwenskaja-Straße ab. Diese ist eine der ältesten in der Stadt. Sie war einst die zentrale Handels- und Geschäftsstraße der unteren Stadtsiedlung. Viele Häuser und Geschäfte sehen hier noch aus wie vor 100 Jahren. Um eine Renovierung der Häuser scheint sich jedoch niemand recht zu kümmern. Die Straße wirkt ruhig und fast etwas ausgestorben. Nur aus einem französischen Restaurant schallt leise Musik über die Straße. Es gibt viele verschiedene Cafés und Restaurants in der Roschdestwenskaja-Straße, die einen gemütlichen Eindruck machen und zu einem späteren Besuch einladen.
In der historischen Straße steht auch die Mariä-Geburt-Kathedrale. Sie wurde Anfang des 18. Jahrhunderts vom Salzmagnaten Grigori Stroganow erbaut. Daher spricht man auch davon, dass sie im „Stroganow‑Barock“ errichtet wurde: Wegen ihrer besonderen Üppigkeit, der Liebe zu Details und der bunten Kuppel mit fantasievoller Schnitzerei.
Der Kreml und die Bolschaja-Pokrowskaja-Straße
Nischni Nowgorod ist bekannt für seinen Kreml aus rotem Ziegelstein. Er ist einer der ältesten erhaltenen russischen Festungen und wurde in den Jahren von 1508 bis 1511 erbaut. Erklimmt man die Festungsanlage, wird man mit einem majestästischen Blick über die Wolga und die Einmündung der Oka belohnt. Die Wolga war stets ein wichtiger Handelsweg und der Handel begründete Mitte des 19. Jahrhunderts den Reichtum der Stadt.
So ist die lange Bolschaja-Pokrowskaja-Straße von prächtigen Verwaltungsgebäuden und stattlichen Villen aus dieser Zeit gesäumt. Dazu zählen unter anderem das Schauspielhaus und das eindrucksvolle Bankiergebäude, in dem sich heute die örtliche Verwaltung der Bank von Russland befindet.
Die Bolschaja-Pokrowskaja-Straße ist die Haupt-Fußgängerzone und hier wird derzeit kräftig gebaut. Das könnte daran liegen, dass die Stadt sich für die Fußball-WM im nächsten Jahr herausputzen will. Nischni Nowgorod ist einer der Austragungsorte des Großereignisses. In der Straße gibt es einige Souvenirläden und Straßenvernissagen, sodass man sie mit dem alten Arbat in Moskau vergleichen kann.
Das Fotografie-Museum
Ein Museumsbesuch sollte bei einem Städtetrip nicht fehlen. Das erste Museum für Fotografie in Russland wurde 1992 in Nischni Nowgorod eröffnet. Das Museum ist klein, aber auf vielen alten Fotos kann man sehen, wie es früher in der Stadt aussah. So wird Stadtgeschichte lebendig. Außerdem finden im Museum immer wieder wechselnde Ausstellung zeitgenössischer Fotografen statt. Derzeit gibt es eine Ausstellung des Fotografen Alik Jakublowitsch mit dem Namen „Alles deine Zeit“ zu sehen. Auf mehr als 30 Schwarz-Weiß-Fotos werden Menschen, die heute in Nischni Nowgorod leben, in Momentaufnahmen gezeigt.
Neben dem Fotografie-Museum gibt es in Nischni Nowgorod weitere Museen zu entdecken. Dazu gehört zum Beispiel das staatliche Kunstmuseum oder das Automuseum des Gorkier Automobilwerks (GAZ). Außerdem hat der Dichter Maxim Gorki seine Kindheit in Nischni Nowgorod verbracht. In seinem Elternhaus ist heute ein Museum untergebracht, das Einblicke in das Leben der Familie Gorki während der 1870er-Jahre gewährt.
Von 1932 bis 1990 trug Nischni Nowgorod den Namen Gorki. Die Stadt Gorki wurde in den 1930er-Jahren zu einer „geschlossenen Stadt“ erklärt, die von Auswärtigen nicht besucht werden durfte. Dies war mit den in der Stadt ansässigen Betrieben der Rüstungsindustrie begründet. In Gorki wurden unter anderem Atom-U-Boote, Kampfflugzeuge und Panzer produziert. Erst 1991 wurde die Stadt wieder für Besucher geöffnet.
Eine Fahrt mit der Wolga-Seilbahn
Im Internet habe ich gelesen, dass es in Nischni Nowgorod eine Seilbahn über die Wolga geben soll. Eine Fahrt mit einer Gondel über den Fluss will ich mir nicht entgehen lassen. Auf dem Weg zur Seilbahnstation fällt mir auf, dass es in Nischni Nowgorod eine Hohe Dichte an Spar-Supermärkten gibt. Die Handelskette scheint hier eine Monopolstellung zu haben. Auch komme ich an vielen alten Holzhäusern vorbei, die aber überwiegend verfallen sind.
Auf der Hauptstraße Bolschaja Petscherskaja gibt es keine Hinweisschilder, die verraten, am Ende welcher Seitenstraße sich der Zugang zur Seilbahn-Station befindet. So laufe ich zunächst an der richtigen Abbiegung vorbei (Hinweis: der Ulitza Sechenowa folgen).
Eine Fahrt über die Wolga in das gegenüberliegende Bor kostet 100 Rubel. Ein Hin- und Rückfahrtticket gibt es nicht, sodass ich in Bor ein neues Ticket für die Rückfahrt kaufen muss. Von den Bewohnern Bors und Nischni Nowgorods wird die Seilbahn als reguläres öffentliches Verkehrsmittel genutzt.
Die Fahrt auf der 3,6 km langen Strecke dauert gut zehn Minuten. Dabei hat man einen guten Blick über die Weite der Wolga und kann Nischni Nowgorod aus der Ferne betrachten. Auf der Rückfahrt genieße ich das Freiheitsgefühl beim Schweben über den Fluss. In Abständen kommt eine Gondel entgegen, die mit Werbung für die Fußball-WM beklebt ist.
In der Stadt, wo sich Oka und Wolga umarmen, kann man gut auch mehr als einen Tag verbringen. Als Hafenstadt vermittelt Nischni Nowgorod ein martimies Klima, während man in der Altstadt in den Sog der Geschichte gerät und man sich in modernen Cafés ausruhen und für einen Besuch der Stadt stärken kann.
Quelle:Алексей Трефилов, Рождественская улица, Size changed to 1040x585px., CC BY-NC 2.0.[/su_spoiler]