Morgenkommentar am 10. Mai 2017

Er soll gelacht haben, als die Nachricht seiner fristlosen Entlassung über den TV-Ticker kam. Eine Ente? – es war keine. FBI-Chef James Comey, der dem Justizminister untersteht, war kalt abserviert worden, und Washington steht seither Kopf. Die naheliegende Schlussfolgerung: Comey verlor seinen Job, weil er kurz davorstand, russische Verstrickungen in den US-Wahlkampf 2016 in einem Ausmaß zu enthüllen, der Donald Trumps Ende bedeutet hätte.

Die Realität kann auch anders aussehen. War der Präsident beleidigt, weil Comey vor dem Untersuchungsausschuss in der vergangenen Woche davon gesprochen hatte, er, Comey, könne mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen in Sachen Clinton-E-Mails kurz vor dem Wahltag ursächlich für Trumps erfolgreiches Abschneiden gewesen sein? Oder war Trump unzufrieden damit, dass in den letzten Monaten  immer wieder vertrauliche Details aus dem FBI an die Öffentlichkeit durchsickerten?

Feststeht, dass der seit Monaten anhaltende Skandal um die angebliche russische Einflussnahme die Politik der US-Weltmacht dem Rivalen Russland gegenüber paralysiert. Das mag mit ein Grund sein, warum der russische Außenminister Sergej Lawrow heute kurzfristig nach Washington kommt. Es ist die erste US-Reise des Russen seit Ausbruch der Ukrainekrise; Lawrow trifft dabei nicht nur mit Außenminister Rex Tillerson, sondern auch mit Präsident Trump zusammen.

Erst kürzlich hatte Tillerson von dem Mangel an Vertrauen gesprochen, der die Beziehungen beider Länder zur Zeit charakterisiert. Man darf annehmen, dass auch innerhalb der russischen politischen Elite zum Thema hybride Kriegsführung keine Einigkeit besteht. Lawrow dürfte zu den Skeptikern gehören. Was immer die Kreml-Propagandisten mit ihren “Enthüllungen” und Verschwörungstheorien im Westen bewirken, der Schaden – für Russland! – aus dem Vertrauensverlust und der Erosion der Gesprächsgrundlage ist ungleich größer.