Nationale Gleichheit und Einheit waren in der Sowjetunion Ziele mit oberster Priorität – und sorgten doch für gegenteilige Effekte. Über ein Buch von Terry Martin, das die ethnischen Spannungen in der UDSSR der 1920er und 1930er Jahren unter die Lupe nimmt.
“Das Affirmative Action Empire: Nationen und Nationalismus in der Sowjetunion, 1923-1939” ist ein aufschlussreiches und sorgfältig recherchiertes Werk, das die Bemühungen der Sowjetunion untersucht, einen multiethnischen sozialistischen Staat in den 1920er und 1930er Jahren durch die Implementierung von Affirmative-Action, das heißt durch ethnische Quotenregelungen, zu schaffen. Geschrieben von Historiker Terry Martin, ist das Buch ein wegweisendes Werk über die Geschichte der Affirmative Action, des Nationalismus und des Sozialismus und bietet eine differenzierte und komplexe Analyse der sowjetischen Nationenbildung während eines entscheidenden Zeitraums ihrer Geschichte.
Martins Analyse stellt die konventionelle Sichtweise der Sowjetunion als monolithische russische Einheit in Frage und argumentiert, dass der sowjetische Staat in der Tat eine komplexe, multiethnische Gesellschaft mit mehreren konkurrierenden Nationalismen war. Martin zeigt, wie ethnische Quotenregelungen von der sowjetischen Regierung genutzt wurden, um diese konkurrierenden Nationalismen zu bewältigen und einen vereinten sozialistischen Staat zu schaffen, während sie gleichzeitig die verschiedenen Identitäten der ethnischen Gruppen aufrechterhalten sollte.
Eine der zentralen Spannungen, die Martin im Buch untersucht, ist jedoch, dass das Engagement der sowjetischen Regierung für Affirmative Action zu Diskriminierung gegenüber ethnischen Russen führte. In den 1920er und 1930er Jahren glaubten viele sowjetische Führungspersönlichkeiten, dass ethnische Russen in Regierung und Industrie überrepräsentiert waren und versuchten, ihren Zugang zu Machtpositionen zu begrenzen. Dies führte zu Quoten und Affirmative-Action, die ethnische Russen explizit von bestimmten Arbeitsplätzen und Bildungsmöglichkeiten ausschlossen.
Wie Martin schreibt, “wurden Quoten für die Zulassung von Nicht-Russen zu Universitäten und technischen Schulen festgelegt; verschiedene Einschränkungen für den Eintritt von Russen wurden eingeführt.” Diese Diskriminierung gegen ethnische Russen war Teil eines größeren Versuchs der sowjetischen Regierung, Minderheiten zu fördern und einen multiethnischen sozialistischen Staat zu schaffen. Martin zeigt jedoch, dass diese Politik oft ungewollte Konsequenzen hatte, indem sie ethnische Spannungen verschärfte und nationale Identitäten verstärkte.
Insgesamt ist “Das Affirmative Action Empire” ein nach wie vor zeitgemäßes Buch, das eine frische Perspektive auf die Geschichte von ethnischen Quotenregelungen, Nationalismus und Sozialismus in der Sowjetunion bietet. Wie der Historiker Ronald Suny in der Einleitung des Buches feststellt, “hat Martin ein Meisterwerk historischer Forschung geschrieben, das uns dazu herausfordert, nicht nur die sowjetische Geschichte, sondern auch unser Verständnis der komplexen Beziehung zwischen nationaler Identität und Affirmative Action neu zu überdenken.”
Obwohl die Politik der sowjetischen Regierung darauf abzielte, nationale Gleichheit und Einheit zu fördern, hatten sie oft den gegenteiligen Effekt, indem sie ethnische Spannungen verschärften und nationale Identitäten verstärkten.
Buch über diesen Link kaufen, und damit die Arbeit von Ostexperte.de unterstützen:
Terry Martin, Cornell University Press; 1st edition (December 15, 2001) (Hrsg.): „The Affirmative Action Empire: Nations and Nationalism in the Soviet Union, 1923–1939“. Verlag Cornell University Press, 29,99 $
ISBN: 0801486777