Russlands Zentralbank beließ am letzten Freitag ihren Leitzins erneut bei 7,5 Prozent. Im Vorfeld der Sitzung befragte die Zentralbank Anfang März wieder russische und ausländische Analysten zu den Konjunkturperspektiven der Wirtschaft. Sie erwarten im Mittelwert für 2023 eine Halbierung des Rezessionstempos der russischen Wirtschaft – auf 1,1 Prozent.
Mitte März veröffentlichten auch 4 deutsche Forschungsinstitute, das Forschungsinstitut BOFIT der finnischen Zentralbank und die Pariser OECD neue Prognosen zur russischen Wirtschaft, die alle für 2023 mit einem weiteren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts rechnen. Die Rezessionserwartungen liegen zwischen 0,4 Prozent (Institut für Weltwirtschaft Kiel) und 2,8 Prozent (Institut für Wirtschaftsforschung Essen). Analysten-Umfragen bei vorwiegend westlichen Banken und Instituten lassen 2023 eine anhaltende Rezession von rund 2 Prozent erwarten.
Auch russische Analysten erwarten 2023 fast alle einen BIP-Rückgang
Die Zentralbank selbst hat in ihrer Prognose vom 10. Februar für die diesjährige Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion eine Spanne von – 1 Prozent bis + 1 Prozent genannt. Die Möglichkeit, dass sich Russlands Wirtschaft schon 2023 etwas erholt, schließt die Zentralbank also nicht aus. Ihre Prognose-Spanne umfasst die Prognose des Internationalen Währungsfonds. Er erwartet in seinem Ende Januar veröffentlichten Weltwirtschaftsausblick in Russland 2023 ein geringes Wachstum von 0,3 Prozent.
Die von der Zentralbank Anfang März befragten Analysten sehen die Entwicklung der Produktion weiterhin skeptischer als die Zentralbank und der IWF. Im Mittelwert ihrer Prognosen rechnen die 31 Teilnehmer der Umfrage, darunter 5 ausländische, für das Jahr 2023 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 1,1 Prozent. Damit würde sich das „Rezessionstempo“ des Jahres 2022 (- 2,1 Prozent) fast halbieren. Weitere Ergebnisse der Zentralbank-Umfrage und zu Konjunktureinschätzungen von Sberbank-Chef Hermann Gref sowie Alfa-Bank Chef-Volkswirtin Natalia Orlowa finden Sie am Schluss dieses Artikels.
In anderen aktuellen Analysten-Umfragen in Russland wird für 2023 mit einem stärkeren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts gerechnet als in der Zentralbank-Umfrage. In einer Interfax-Umfrage wird im Durchschnitt für 2023 ein weiterer BIP-Rückgang um 1,6 Prozent erwartet. Laut einer Umfrage des Moskauer Reuters-Büros ist zu erwarten, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion 2023 fast ebenso schnell sinkt (- 1,9 Prozent) wie 2022 (- 2,1 Prozent).
FocusEconomics-Umfrage: Die Rezession beschleunigt sich 2023 noch etwas
Ein ähnliches Bild wie die Reuters-Umfrage vermittelt eine Umfrage des Research-Unternehmens FocusEconomics (Sitz: Barcelona). Laut den am 09. März von FocusEconomics in einer Studie zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Russland, der Ukraine und Belarus veröffentlichten Umfrageergebnissen bei 28 Teilnehmern (fast ausschließlich westliche Banken und Institute) ist 2023 in Russland eine geringfügige Beschleunigung der Rezession von 2,1 Prozent auf 2,2 Prozent zu erwarten (siehe mittlere dunkelblaue Linie als „Consensus“ in der folgenden Abbildung). Erst 2024 wird auch in dieser Umfrage mit einer langsamen Erholung der russischen Wirtschaft gerechnet (+ 1,1 Prozent).
Entwicklung des russischen Bruttoinlandsprodukts 2019 bis 2027
Reale Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in Prozent mit Umfrageergebnissen für 2023 bis 2027
FocusEconomics: What’s the outlook for the Russia-Ukraine war? 09.03.23
Die Ende Januar veröffentlichte Prognose des Internationalen Währungsfonds, dass die russische Wirtschaft schon 2023 etwas wächst (+ 0,3 Prozent), findet also bisher wenig Unterstützung.
BIP-Prognosen 2022 bis 2024
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent
Das russische Wirtschaftsministerium hat Mitte Februar angekündigt, seine Konjunkturerwartungen im April zu aktualisieren. Das Statistikamt Rosstat will am 07. April neue Berechnungen zur Entwicklung der Herstellung und Verwendung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2022 veröffentlichen.
Die Prognosen der deutschen Institute klaffen weit auseinander
Auch die deutschen Konjunkturforschungsinstitute in Kiel, München, Halle und Essen rechnen in ihren in der letzten Woche veröffentlichten „Frühjahrsprognosen“ für 2023 alle mit einem weiteren Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts. Ihre Rezessionserwartungen unterscheiden sich aber deutlich. Einen noch schwächeren weiteren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts als die von der russischen Zentralbank befragten Banken und Institute (- 1,1 Prozent) erwarten das Kieler Institut für Weltwirtschaft (- 0,4 Prozent) und das Münchner ifo Institut (- 0,5 Prozent). Die Einschätzung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (- 1,1 Prozent) deckt sich mit dem Mittelwert der Zentralbank-Umfrage. Das Essener RWI Institut für Wirtschaftsforschung rechnet in diesem Jahr hingegen mit einer Beschleunigung der Rezession auf 2,8 Prozent.
Noch stärker klaffen die Einschätzungen der deutschen Institute zur Inflationsentwicklung in Russland auseinander. Während das Kieler Institut für Weltwirtschaft im Jahresdurchschnitt 2023 nur einen leichten Rückgang des Anstiegs der Verbraucherpreise von 13,8 Prozent auf 12,5 Prozent prognostiziert, rechnet das Münchner ifo Institut mit einem Abflauen der Inflationsrate auf nur noch 4,9 Prozent.
Zum Vergleich: In der Zentralbank-Umfrage gehen die Analysten von einem Rückgang der jährlichen Preissteigerungsrate im Dezember 2023 auf 6,0 Prozent aus. Das entspricht der Prognose der Zentralbank, die am Jahresende eine Inflationsrate zwischen 5 und 7 Prozent erwartet.
IfW Kiel: 2022 hielt sich die russische Wirtschaft besser als erwartet
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft beschränkt sich in seinem „Konjunkturbericht Welt“ nicht auf tabellarische Angaben der Prognosen zur Entwicklung der russischen Wirtschaft. Es stellt fest, Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion habe gegen Jahresende 2022 offenbar spürbar zugelegt. Die im Frühjahr 2022 verzeichneten starken Einbußen seien aber noch nicht wieder wettgemacht. Das IfW meint, die russische Wirtschaft habe sich 2022 besser als erwartet gehalten, die Auswirkungen der Sanktionen seien aber gleichwohl spürbar:
„Das Bruttoinlandsprodukt sank im Jahr 2022 nach Angaben des statistischen Amtes um 2,1 Prozent, deutlich weniger als erwartet. Nach einem Einbruch im Frühjahr um fast 6 Prozent erholte sich die gesamtwirtschaftliche Produktion im Verlauf des Jahres wieder etwas.
Verwendungsseitig führten die Kriegsanstrengungen zu einem deutlichen Anstieg des staatlichen Konsums, während die privaten Haushalte ihre Ausgaben empfindlich einschränkten.
Stützend wirkten im vergangenen Jahr über weite Strecken hohe Einnahmen aus Rohstoffverkäufen. Rückläufige Preise und hohe Preisabschläge gegenüber Öl anderer Provenienz haben die Rohstofferlöse allerdings zuletzt deutlich gesenkt.“
Zur aktuellen Entwicklung des Staatshaushalts und des Rubelkurses merkt das IfW an:
„Bei gleichzeitig weiter steigenden Militärausgaben ist das Defizit im Staatshaushalt in der
Folge drastisch gestiegen. Die für das Jahr veranschlagte Nettokreditaufnahme wurde bereits in den ersten beiden Monaten zu einem großen Teil aufgebraucht.
Der Rubel hat vor diesem Hintergrund in den vergangenen Monaten deutlich an Wert verloren und liegt nun wieder in etwa auf dem Vorkriegsniveau.“
Prof. Rolf J. Langhammer, ehemaliger Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft und weiterhin am Institut tätig, nahm im AHK Russland-Podcast „Zaren, Daten, Fakten“ im Gespräch mit Thomas Baier ausführlich zur Entwicklung der russischen Wirtschaft Stellung („Wie wirksam sind die Sanktionen?“, 37 Min., 08.03.23)
Das erste Kriegsjahr 2022 „kostete“ Russland 5 Prozent Wirtschaftsleistung
Das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank (BOFIT) gibt in seiner Mitte März veröffentlichten Prognose zunächst auch einen Hinweis, welche Produktionseinbußen der russischen Wirtschaft durch den Ukraine-Krieg im Jahr 2022 entstanden sind:
„In unserer Prognose vor der Invasion vom Herbst 2021 gingen wir davon aus, dass die russische Wirtschaft im Jahr 2022 um etwa 2,5 Prozent wachsen wird, und stellten fest, dass ein Wachstum der wichtigsten Ausfuhren Russlands ein noch höheres gesamtwirtschaftliches Wachstum erreichbar machen könnte.
Wie sich herausstellte, war die russische Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr etwa 5 Prozent niedriger als wir erwartet hatten. Diese Differenz könnte als grobe Annäherung an die makroökonomischen Kosten gesehen werden, die Russland für sein erstes Kriegsjahr zu zahlen hatte.“
Bemerkenswerter Schwenk der russischen Wirtschaftspolitik
BOFIT sieht den Hauptgrund für seine „Prognosefehler“ in einem unerwarteten Wandel der russischen Fiskal- und Wechselkurspolitik:
„Während einige unserer Prognosefehler auf den starken Anstieg der Öl- und Gaspreise im vergangenen Jahr, die Flexibilität russischer Unternehmen und die langen Übergangsfristen für westliche Sanktionen zurückzuführen sind, war der Hauptgrund die bemerkenswerte Änderung der russischen Wirtschaftspolitik. Über zwei Jahrzehnte lang war die russische Fiskalpolitik auf eine Beschränkung der Haushaltsdefizite ausgerichtet. Grundsätze seiner Wechselkurspolitik waren die freie Bildung des Rubelkurses und ein freier Kapitalverkehr.
All diese Prinzipien wurden fallen gelassen, als die Regierung Ende Februar 2022 darum kämpfte, die wirtschaftliche Situation zu stabilisieren. Die Finanzmärkte wurden für einen Monat geschlossen und der grenzüberschreitende Kapitalverkehr stark eingeschränkt. Als die Märkte wieder öffneten, blieben Vermögenswerte westlicher Investoren eingefroren, der Umsatz an der russischen Börse war nur noch halb so hoch wie vor der Invasion und der Rubel war keine frei konvertierbare Währung mehr.“
BOFIT geht davon aus, dass sich die russische Regierung keine Illusionen über eine schnelle Rückkehr von ausländischem Kapital macht. Sie rechne damit, sich in den kommenden Jahren auf inländische Finanzierungsquellen verlassen zu können.
BOFIT erwartet 2023 einen ähnlich starken Rückgang des BIP wie 2022
Während das IfW Kiel 2023 mit einer relativ starken Abschwächung des Rezessionstempos auf nur noch 0,4 Prozent rechnet, erwartet BOFIT mit rund 2 Prozent einen weiteren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts „in einer ähnlichen Größenordnung“ wie 2022. Diese Einschätzung entspricht weitgehend den Ergebnissen der Umfrage von FocusEconomics (- 2,2 Prozent) und des Moskauer Reuters-Büros (- 1,9 Prozent)
Hinsichtlich der Verwendung des Bruttoinlandsprodukts geht das finnische Institut davon aus, dass Unsicherheit und Sanktionen die Binnennachfrage dämpfen. Der inländische Verbrauch („Domestic consumption“) dürfte wie 2022 um rund 1 Prozent sinken. Die Investitionen („Capital formation“) dürften nach dem letztjährigen Rückgang um 3 Prozent jetzt stagnieren. Bei einem Rückgang der Exporte um rund 5 Prozent erwartet BOFIT einen Anstieg der Importe um 5 Prozent.
Verwendung des russischen Bruttoinlandsprodukts 2019 bis 2023
Jährliche Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in Prozent
BOFIT, Bank of Finland: BOFIT Russia Forecast 2023-2024, 13.03.23
Das langfristige Wachstumspotenzial der russischen Wirtschaft wird laut BOFIT sinken:
„Russlands wirtschaftliche Stabilität hängt von den Ausgaben des öffentlichen Sektors ab. Der Krieg hat das Land auf einen riskanten Weg zu einer autarken Wirtschaft mit einer starken Stellung der Regierung gebracht. Dieser strukturelle Wandel dürfte die Produktivität und das langfristige wirtschaftliche Wachstumspotenzial Russlands verringern.“
Die OECD sieht Russlands Perspektiven besonders pessimistisch
Noch etwas skeptischer als die BOFIT-Progose fällt die neue Prognose der OECD aus. Im „Interim Report“ ihres „Economic Outlook“ rechnet der Pariser Zusammenschluss wichtiger Industrieländer im Jahr 2023 mit einer Beschleunigung der Rezession in Russland auf 2,5 Prozent. Im November hatte die OECD für dieses Jahr sogar noch einen gut doppelt so starken Einbruch um 5,6 Prozent erwartet.
Auch 2024 rechnet die OECD – anders als fast alle anderen Beobachter – mit einem weiteren Schrumpfen der russischen Wirtschaft, allerdings nur noch um 0,5 Prozent. Gleichzeitig dürfte die Weltwirtschaft laut OECD wachsen: 2023 um 2,6 Prozent und 2024 um 2,9 Prozent. Russland fällt im internationalen BIP-Vergleich zurück.
Auch die Zentralbank-Umfrage zeigt große Unterschiede
Die Prognosen der Analysten für die Produktionsentwicklung im Jahr 2023 klaffen auch bei der jüngsten Umfrage der Zentralbank noch weit auseinander. Das zeigt die folgende Abbildung. Die Prognosen für die diesjährige Veränderungsrate des realen Bruttoinlandsprodukts reichen von minus 5 Prozent bis plus 0,8 Prozent.
Reales Bruttoinlandsprodukt
Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent
Bank of Russia: Macroeconomic survey of the Bank of Russia, 09.03.2023
Der schwarze Punkt in der schwarzen Linie zeigt für 2023 den Anstieg des Mittelwerts der BIP-Erwartungen in der März-Umfrage der Zentralbank auf – 1,1 Prozent. In der Februar-Umfrage (dunkelgraue Linie) war im Mittelwert noch mit einem etwas stärkeren BIP-Rückgang um 1,5 Prozent im Jahr 2023 gerechnet worden.
Schärfere Rezession und höheres Haushaltsdefizit möglich
Natalia Orlowa, Chef-Volkswirtin der Alfa Bank, meint in einem Finam.ru-Kommentar zur Zentralbank-Umfrage, nach ihren Schätzungen könnte der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im Jahresvergleich 2023/2022 „unter der Annahme eines stärkeren Rückgangs der russischen Ausfuhren“ sogar bis zu 6,5 Prozent erreichen.
Orlowa geht auch auf die in den letzten Wochen häufig geäußerten Zweifel ein, dass die russische Regierung das Haushaltsdefizit im Jahr 2023 auf das geplante Niveau von 2,0 Prozent des BIP begrenzen kann.
Laut der Zentralbank-Umfrage, so Orlowa, sei zwar zu erwarten, dass das gesamtstaatliche Defizit in diesem Jahr nur von 2,2 Prozent auf 3,0 Prozent des BIP steigen werde. Dabei werde aber von einem durchschnittlichen Urals-Ölpreis von 59 $/Barrel ausgegangen (siehe Tabelle am Schluss dieses Artikels). Die Alfa-Bank rechne bei einem deutlich niedrigeren Urals-Preis von 50 $/Barrel hingegen mit einem gut doppelt so starken Anstieg des Defizits auf 4,0 Prozent des BIP.
Wird der Leitzins nicht weiter gesenkt werden?
Zur Entwicklung des Leitzinses, der bisher auf 7,5 Prozent gesenkt wurde, meint Orlowa, dass es im weiteren Verlauf des Jahres noch zu einigen Leitzinssenkungen kommen könnte, wenn sich die Wirtschaftstätigkeit stärker als erwartet verlangsame.
Bei der März-Umfrage der Zentralbank wurde im Mittelwert damit gerechnet, dass der Leitzins im Durchschnitt des Jahres 2023 7,5 Prozent betragen wird. 2022 war der Leitzins im Jahresdurchschnitt wegen der stark beschleunigten Inflationsrate auf 10,6 Prozent angehoben worden.
Leitzins in Prozent pro Jahr im Jahresdurchschnitt
Bank of Russia: Macroeconomic survey of the Bank of Russia, 09.03.2023
Gref: 2023 höchstwahrscheinlich keine Zinssenkung
Herman Gref, seit November 2007 Vorstandsvorsitzender der Sberbank und zuvor seit Mai 2000 Wirtschaftsminister, äußerte sich laut TASS bei einer Investorenkonferenz am 9. März zu den Perspektiven für die Entwicklung von Inflation, Leitzins und gesamtwirtschaftlicher Produktion im Jahr 2023.
Die Inflationsrate werde Ende 2023 im Bereich von 5 bis 6 Prozent liegen. Inflationsimpulse kämen vor dem Hintergrund der niedrigen Arbeitslosigkeit von Lohnsteigerungen. Die Nachfrage erhole sich. Zudem sei mit einer preistreibenden Schwächung des Rubels zu rechnen.
Laut Gref wird die Zentralbank bei dieser Inflationsentwicklung im laufenden Jahr „höchstwahrscheinlich“ nicht bereit sein, den Leitzins zu senken.
Die diesjährige Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts sieht Gref ähnlich wie der IWF (+ 0,3 Prozent) und die Zentralbank (- 1 Prozent bis + 1 Prozent). Gref meint, die BIP-Wachstumsrate werde in diesem Jahr „nahe Null“ liegen.
Inflationsprognose der Analysten für Ende 2023: + 6,0 Prozent
Hinsichtlich der Entwicklung der Verbraucherpreise gehen die von der Zentralbank befragten Analysten auch in der jüngsten Umfrage davon aus, dass die Inflationsrate am Jahresende 2023 6,0 Prozent betragen wird.
Wie die folgende Abbildung zeigt, hatte sich der jährliche Anstieg der Verbraucherpreise nach Beginn des Ukraine-Krieges auf 17,8 Prozent im April 2022 beschleunigt. Bis zum Dezember 2022 sank er auf 11,9 Prozent. Am 10.03. teilte das russische Statistikamt Rosstat mit, dass sich die Inflationsrate im Februar 2023 im Vergleich zum Februar 2022 auf 11,0 Prozent abgeschwächt hat.
Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent
Trading Economics: Russian Inflation Rate Slows more than expected, 10.03.2023
Ergebnisse der Zentralbank-Umfrage bis 2025 im Überblick
Der folgende Ausschnitt aus einer Tabelle der Zentralbank zeigt, wie sich die Verbraucherpreise, der Leitzins, das Bruttoinlandsprodukt, die Arbeitslosenquote, die Nominallöhne und das Defizit im konsolidierten Staatshaushalt bis 2025 laut der jüngsten Analysten-Umfrage entwickeln werden.
Ergebnisse der Zentralbank-Umfrage vom März 2023
(in Klammern die Ergebnisse der Umfrage vom Februar 2023)
Bank of Russia: Macroeconomic survey of the Bank of Russia, 09.03.2023
Der Anstieg der Verbraucherpreise wird im Dezember 2024 das von der Zentralbank angestrebte Inflationsziel von 4 Prozent fast erreichen.
Der Leitzins wird bei dieser Inflationsentwicklung im Durchschnitt des Jahres 2024 von 7,5 Prozent auf 6,8 Prozent gesenkt werden.
Das Bruttoinlandsprodukt wird nur noch 2023 sinken (- 1,1 Prozent). In der Umfrage wird für 2024 und 2025 ein jährliches Wachstum von jeweils 1,5 Prozent erwartet. Damit würde der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in den Jahren 2022 (- 2,1 Prozent) und 2023 (- 1,1 Prozent) fast ausgeglichen.
Die Arbeitslosenquote wird angesichts der 2023 anhaltenden Rezession im Dezember 2023 mit 4,1 Prozent etwas höher sein als im Dezember 2022 (3,7 Prozent).
Der Anstieg der Nominallöhne wird sich weniger abschwächen als der Anstieg der Inflation. Die Reallöhne werden voraussichtlich steigen.
Das Defizit im konsolidierten Staatshaushalt (Föderation und Regionen) wird sich nach dem diesjährigen Anstieg auf 3,0 Prozent des BIP 2024 und 2025 um jeweils einen Prozentpunkt verringern.
Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:
Russlands Wirtschaft erholt sich langsam: Konsum- und Geschäftsklima gestiegen, 06.03.23
Russlands Wirtschaft fährt in eine langanhaltende Krise, 27.02.23
Russland: Wirtschaft und Gazprom unter Sanktionsdruck, 20.02.23
Russische Wirtschaft: Neue Zentralbankprognosen, 13.02.23
Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:
- Agathe Demarais, EIU-Director, in: Foreign Policy: Don’t Trust Russia’s Numbers…
- Peter Rutland, The Conversation: How Putin has shrugged off unprecedented economic sanctions
- Sergei Guriev: Sanctions are effektive; + Video, + Report zu Guriev in London Business School…
- SRF „Echo der Zeit“: Warum Russland dem Sanktionsregime noch standhält
- GTAI, Hans-Jürgen Wittmann: Außenhandelsdaten spiegeln Russlands Abkopplung
- ZDF: Wie sich Russlands Handel durch den Ukraine-Krieg verändert hat
- ZDF frontal: Das Nord-Stream-Rätsel. Spurensuche auf der Ostsee, Video, 10 Min.
- Interfax: Wegzug aus Russland kostet ausländische Öl- und Gaskonzerne fast 58 Milliarden $