Presseschau: 20 Jahre Putin – eine Zwischenbilanz

Was die Medien über 20 Jahre Putin sagen

Mitten in der „Sommerpause“ erschienen im August überraschend viele interessante Artikel zum Thema „20 Jahre Putin“. Am 09. August 1999 hatte Staatspräsident Jelzin Putin zum Ministerpräsidenten ernannt und ihn in einer Ansprache auch als seinen Nachfolger empfohlen. Für alle, die im Urlaub keine Gelegenheit zur Lektüre hatten, haben wir Lesetipps zur Bilanz der bisherigen Regierungszeit Putins, zur aktuellen Lage und zu den Perspektiven für Wirtschaft und Politik in Russland zusammengestellt. Im folgenden Artikel geben wir insbesondere Hinweise auf Meinungen zur wirtschaftspolitischen Bilanz Putins. Zuvor einige Stichworte zur  Kritik an der Innen- und Außenpolitik Putins.

Lange Liste von Vorwürfen gegen die Innen- und Außenpolitik Russlands

Markus Ziener, vor Übernahme einer Professur an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin im Jahr 2014 Ressortleiter Meinung beim Handelsblatt, schrieb in seiner Besprechung des Buches „Putins Russland“ von Angela Stent im Mai, die Debatte in Deutschland werde häufig irrational, wenn es um Russland gehe. Ziener, der 1995 bis 1999 auch Korrespondent in Russland war, kritisiert, das Russland unter Wladimir Putin verfüge in großen Teilen der deutschen Bevölkerung über „scheinbar grenzenlosen Kredit“. Offensichtliche Verletzungen des Völkerrechts würden mit Geschichtsklitterung beantwortet.

Die Russland-Diskussion in Deutschland skizziert Ziener so: Seit der militärischen Intervention in der Ukraine stehen sich die Lager der „Russlandversteher“ und der Russlandkritiker unversöhnlicher denn je gegenüber. Die „Versteher“ erklären das russische Vorgehen mit den Fehlern des Westens, der die Ukraine über ein Assoziierungsabkommen an sich habe binden wollen. Demgegenüber sind die Kritiker überzeugt, dass Russlands Expansionspolitik in der Ukraine erst den wahren Charakter des Regimes in Moskau offengelegt habe.

Ziener listet in seiner Rezension Menschenrechtsverletzungen in Russland auf. Als Beispiele nennt er: „Die Unterdrückung der Medien, die Beschneidung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die Behinderung von Nichtregierungsorganisationen, die unhaltbaren Zustände in den Gefängnissen, die Verfolgung von Homosexuellen.“

„Globalpolitisch“ sei die Aufzählung von Vorwürfen gegen Putin ebenfalls beeindruckend, meint Ziener. Sie reiche von der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim über die Unterstützung der Separatisten in der Ost-Ukraine und die anhaltenden Versuche, die EU zu spalten, bis zum Schulterschluss mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad.

Viele dieser Vorwürfe zur Innen- und Außenpolitik Putins kommen auch in den Lesetipps am Schluss dieses Artikels zur Sprache. Stefan Meister, Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, schreibt zu seinem Artikel „Putins Vermächtnis“ zum Beispiel:

„Auch wenn der Präsident über seinen Zenit ist – sein System aus Korruption, informellen Strukturen und Rechtlosigkeit wird bleiben.“

Meister stellt weiterhin fest:

„Beim Blick in die aktuelle Literatur über Putins Russland wird zweierlei deutlich. Zum einen, dass der russische Langzeitpräsident seinen Machthöhepunkt überschritten hat, zum anderen, dass er und sein politisches System Teil des globalen Macht- und Wirtschaftssystems geworden ist. Putin hat Russland politisch wie ökonomisch stabilisiert und als relevanten Player auf die Weltbühne zurückgeführt.“

Auch Stefan Meister, der wohl eher als „Putin-Kritiker“ gilt, erkennt also an, dass Putin Russlands Wirtschaft „stabilisiert“ hat.

Wir haben im Folgenden weitere Meinungen zu Putins wirtschaftspolitischer Bilanz gesammelt. Was sagen insbesondere die Russland-Experten Mathias Brüggmann, Alexander Rahr, Janis Kluge und Hermann Krause dazu.

Mathias Brüggmann: Putins ökonomische Bilanz ist „durchwachsen“

Mathias Brüggmann zeichnete im Handelsblatt den Weg Putins vom wirtschaftspolitischen „Oberreformer“ zum „Reform-Verweigerer“ nach.

Er erinnert daran, dass Putin in seiner ersten Amtszeit grundlegende Steuerreformen, die Privatisierung von Grund und Boden oder die Reform des Unternehmensrechts durchführte und Russland so „unzweifelhaft voranbrachte“.

Seine Wiederwahl verdanke Putin den sozialen Wohltaten, der wirtschaftlichen Stabilität und dem sicht- und greifbaren Aufschwung.

Brüggmann erwähnt aber auch den „Sündenfall Yukos 2003“. Putin habe „Staatsoligarchen“ sowie enge Freunde aus Petersburger Tagen an die Stelle unliebsamer privater Oligarchen treten lassen.

Inzwischen ist Putins ökonomische Bilanz, so Brüggmann, „durchwachsen“: Mit einem für 2019 und 2020 prognostizierten Wirtschaftswachstum von 1,2 beziehungsweise 1,7 Prozent stehe Russland mit weitem Abstand am Ende aller osteuropäischen Länder. Die Mehrwertsteuererhöhung, die Heraufsetzung des Rentenalters und die anhaltende Wirtschaftsmisere hätten Putins Ansehen im Volk schrumpfen lassen.

Auszüge aus Brüggmanns Artikel:

Der Reformer

„In den ersten zweieinhalb Jahren im Amt räumte er das auf, was Vorgänger Jelzin liegen gelassen hatte: grundlegende Steuerreformen, die Privatisierung von Grund und Boden oder die Reform des Unternehmensrechts. (…)

Er schaffte es zudem, dank seinem „Flat Tax“-Einheitssteuersatz die Staatseinnahmen zu steigern und konnte so Löhne und Renten pünktlich auszahlen und sogar schrittweise erhöhen. Putin wurde – mit dem heutigen Premier Dmitrij Medwdjew als Aufsichtsratschef von Gazprom und dem heutigen Chef der Sberbank, German Gref, als Wirtschaftsminister – zum Oberreformer.

Bis zum Sündenfall Yukos 2003 – da ließ Putin den unliebsamen Oligarchen Michail Chodorkowski inhaftieren und den zweitgrößten Ölförderer des Landes in den Bankrott treiben. Staatsölriese Rosneft übernahm den deutlich agileren privaten Rivalen.“

Der Oligarchen-Macher

„Die Klasse der Oligarchen war aber keineswegs abgeschafft. An ihre Stelle traten die „Stoligarchen“ genannten Staatsoligarchen: Besitzer von Großkonzernen, die Bosse der Quasi-Monopolisten Rosneft, Gazprom oder Sberbank sowie enge Freunde aus Putins Petersburger Tagen, die zusammen mit dem Kremlchef das Datschenkollektiv „Osero“, eine Art Siedlung von Sommerhäusern, an einem See unweit der Newa-Metropole besitzen.

Seine Wiederwahl verdankte Putin aber den sozialen Wohltaten, der wirtschaftlichen Stabilität und dem sicht- und greifbaren Aufschwung nach dem zerstörerischen Wendejahrzehnt nach dem Untergang der Sowjetunion.“

Der ökonomische Verweigerer

„Wirtschaftlich hat Putin Russland nach dem Niedergang während der Jelzin-Jahre unzweifelhaft vorangebracht. Die Russen dankten es ihm im März 2018 – da holte er für seine vierte Amtszeit als Staatschef mit 76,6 Prozent der Stimmen so viele wie nie.

Doch inzwischen ist Putins ökonomische Bilanz durchwachsen: Mit einem prognostizierten Wirtschaftswachstum von 1,2 beziehungsweise 1,7 Prozent in diesem und kommenden Jahr steht Russland mit weitem Abstand am Ende aller osteuropäischen Länder. (…)

Mehrwertsteuererhöhung, Heraufsetzung des Rentenalters und anhaltende Wirtschaftsmisere haben Putins Ansehen im Volk schrumpfen lassen. (…) 2018 noch lehnten laut Umfragen 18 Prozent Putin ab, heute sind es 38 Prozent der Russen. Tendenz: stark steigend. Denn, so Ex-Wirtschaftsminister Netschajew, „der Kreml scheint zu den notwendigen institutionellen und strukturellen Reformen nicht bereit zu sein“. Putin setzt auf Staatswirtschaft statt auf Mittelstand und Unternehmertum.“

Quelle: Mathias Brüggmann: 20 Jahre an der Macht: Ein Mann, der die Welt veränderte: Die sieben Eigenschaften von Wladimir Putin; Handelsblatt, 09.08.2019

bne IntelliNews: Russlands Anteil am weltweiten BIP ist so niedrig wie 1998

Zur Entwicklung der russischen Wirtschaft in den letzten 20 Jahren haben Ben Aris und Ivan Tkachev für das Magazin „bne IntelliNews“ sehr viele Daten gesammelt. Die „Moscow Times“ veröffentlichte Auszüge daraus („20 Years of Russia’s Economy Under Putin“). Zu diesem Artikel twitterte bne Intellinews auch eine Abbildung der realen Wachstumsraten des russischen Bruttoinlandsprodukts seit 1996:

Hier sei nur auf Feststellungen von bne Intellinews zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im weltweiten Vergleich verwiesen. Die russische Wirtschaft wuchs unter Putin – begünstigt durch stark steigende Ölpreise – bis zur Weltfinanzkrise kräftig. Russlands kaufkraftbereinigter Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt stieg von rund 3 Prozent im Jahr 1998 bis 2008 auf 3,9 Prozent. Seitdem ist er allerdings wieder auf rund 3 Prozent zurückgefallen. Die Autoren kommentieren, Russland sei wieder auf dem Stand, von dem Putin gestartet sei. Russland laufe Gefahr, weiter zurückzufallen, da der Rest der Welt schneller wachse.

Alexander Rahr: Die Mehrheit der Russen sieht die Putin-Ära positiv

Alexander Rahr, Politologe, Putin-Biograf und Gazprom-Berater, meinte in einer DLF-Diskussion zum Thema „20 Jahre System Putin – Gegenwind für den Kreml-Chef“, Putin habe sehr viel für Russland in den letzten 20 Jahren geleistet. Im Westen werde er natürlich sehr kritisch und negativ gesehen, in Russland jedoch in vielerlei Hinsicht positiv. Im Westen sei der Gegenwind gegen ihn „sehr stark“, in Russland „mittelstark“. Die Umfragen zeigten, es stünden nicht mehr 80 Prozent der Russen hinter Putin, aber 60 Prozent.

Trotz aller Kritik, insbesondere im Internet, habe Putin in Russland aber noch einen Nimbus. Er habe Russland nach den 90er Jahren stabilisiert. Viele nicht nur ältere Menschen rechneten ihm das hoch an. Hinzu käme, dass es für Putin heute noch keine politische Alternative gäbe.

Auch in einem Artikel für das Diskussionsforum „Russland kontrovers“ strich Rahr heraus, dass Putin Russland stabilisiert habe und seine Regierungszeit für die Mehrheit der Russen viele positive Aspekte aufweise.

Auszüge:

„Jelzin stellte den 47jährigen Putin als kommenden Anführer der jungen demokratischen Elite vor, die Russland endgültig aus der kommunistischen Vergangenheit in eine freiheitliche Zukunft führen sollte. Doch schon damals hatte sich die russische Gesellschaft, angesichts des Chaos und Zerfalls der 1990er Jahre, mental gewandelt. Die Anziehungskraft des freiheitlichen Westens wirkte nicht mehr, wie 1991. Eine absolute Mehrheit der Russen wünschte sich die Wiederherstellung von Recht und Ordnung im Land – auch um den Preis der Abkehr von den gerade erst errungenen demokratischen Freiheiten.“ (…)

„Wenn man einen westlichen Intellektuellen heute fragt, was er dem Putinschen Russland Positives abgewinnen kann, wird er darauf keine Antwort finden. Die Mehrheit der Russen wird jedoch gleich mehrere positive Aspekte der Putin-Ära anführen:

(1) Aufhalten des territorialen Zerfalls,

(2) Liquidierung des Islamismus und Terrorismus im Kaukasus,

(3) Wiederherstellung des kaputten Sozialsystems,

(4) Verbesserung der Infrastruktur,

(5) Rückkehr zum Großmachtstatus und Respekt auf der Weltbühne.“ (…)

„Weder Russland, noch China, noch der Iran werden sich dem Druck des Westens beugen. Solange die liberalen Kräfte in den Gesellschaften dieser Länder marginalisiert sind, ist ein Wechsel der Herrschaftseliten nicht zu erwarten. Auch eine Verschlechterung der Wirtschaftslage wird die Regierenden in Moskau und Peking nicht aus dem Amt heben. Der Westen wird sich eher darauf einstellen müssen, dass noch mehr nationale Egoismen, Staatskapitalismus und Autoritarismus die künftige Weltordnung prägen werden.“

Quelle: Alexander Rahr: Putin – ein Rückblick auf zwanzig Jahre; Russland kontrovers, 09.08.2019

Janis Kluge: Politische Instabilität ist ein fundamentales Risiko

Janis Kluge, Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien der Stiftung Wissenschaft und Politik, hält die politischen Strukturen in Russland offenbar für weniger gefestigt als Rahr.

Er schreibt jedenfalls in einer Analyse zu den Perspektiven der russischen Wirtschaft bis 2030 für den von den Regierungen Deutschlands und der USA geförderten Think Tank „Atlantic Community“, politische Instabilität im Inland sei ein fundamentales Risiko für die russische Wirtschaft. Russland nähere sich dem Ende eines politischen „Mega-Zyklus“. Die persönlichen Risiken für die russischen Eliten stiegen bereits, wie eine wachsende Zahl von Verhaftungen amtierender und früherer Minister, Unternehmensführer und sogar ausländischer Investoren zeige.

Eine umfassende Rekonfiguration der Eliten könne erwartet werden, wenn es einen Machtwechsel in der Führung gebe. Der Kampf um Macht und Ressourcen in der Ära nach Putin könne Investitionen weniger attraktiv und eine erneute Kapitalflucht wahrscheinlicher machen. Auch Kluge ist aber der Meinung, dass sich die russische Führung darauf konzentrieren werde, den status quo so lange wie möglich mit geringfügigen Korrekturen aufrecht zu erhalten.

Quelle: Janis Kluge (Stiftung Wissenschaft und Politik): Russia’s economy until 2030: Falling behind; Atlantic Community, 24.07.2019

Hermann Krause: Putin hat Russland weit vorangebracht

Hermann Krause, langjähriger Hörfunk Korrespondent der ARD, der erstmals 1986 aus Moskau berichtete, gab im Februar 2019 kurz vor seiner Pensionierung Bernd Hefter in SWR-Weitwinkel ein Interview, in dem er auch eine Bilanz der Regierung Putin zog.

Krause meint, Putin sei der richtige Mann gewesen, um – im Einklang mit den Wünschen der Bevölkerung – nach den Jahren der Jelzin-Regierung Ordnung zu schaffen. Die Demokratie habe er dabei allerdings hinten angestellt. Es sei ihm gelungen, dass es der Bevölkerung heute materiell viel besser gehe als in der Sowjetunion. Insgesamt müsse man sagen, dass Putin Russland weit vorangebracht habe. Er sei bei den Russen nach wie vor beliebt, auch wenn die Popularität im Moment ein bisschen sinke.

Seit 1. März ist Hermann Krause als Korrespondent im Ruhestand, doch er lebt weiter in Moskau. Er leitet jetzt das Moskauer Büro des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (Pressemitteilung des Volksbundes).

Auszüge aus Hermann Krauses Interview:

Frage: „Ist das Russland unter Putin jetzt ein Reflex auf die dramatische Entwicklung der 90er Jahre?“ (Minute 16:45)

Krause: „Ja, Putin hat halt gesagt, ich muss sehen, dass ich dieses Land in irgendeiner Weise wieder zusammen bekomme, dass ich es auf die Beine stelle. …

Er hat es geschafft, die Freiheitsbewegung der Tschetschenen niederzudrücken, die aufmüpfigen Tschetschen zu besiegen, zur Räson zu bringen. Und das hat ja auch dazu geführt, dass man ihn dann 2000 sofort wiedergewählt hat. …

Und das war ja eigentlich auch der Wunsch der Russen, dass sie sagen, wir brauchen ein System, das halbwegs sicher ist, das eine gewisse Ordnung darstellt.

Und da war Putin der richtige Mann. …

Er hat die Oligarchen, die unangenehmen, die gegen ihn aufgestanden sind, aus dem Land gejagt oder ins Gefängnis geschmissen. Er hat die Medien gleichgeschaltet und dergleichen.

Also er hat eine Ordnung geschaffen, die dem Westen nicht gefallen hat, die den Leuten aber doch in irgendeiner Weise imponierte.“ …

„Putin hat die Demokratie hinten angestellt, das tut er ja heute auch noch, weil er ja eine ganz andere Vorstellung von Staat hat. Er hat eine Vorstellung die besagt, es gibt einen, der den Staat leitet, der regiert, und da haben alle nach zu tanzen.“

Frage: Was ist Putin bis heute gelungen? … (Minute 21:20)

Krause: „Wenn man sieht, wie war Russland, wie war Moskau 1986 oder 1995 und wie es heute ist – Das ist natürlich ein gewaltiger Unterschied. …

Es geht den Leuten, zumindest hier in der Hauptstadt, trotz der Sorgen und Probleme relativ gut. Und es geht ihnen natürlich viel, viel besser als damals. …

Also der Wohlstand ist schon vorhanden. Aber die Leute sagen natürlich immer noch, es ist nicht so wie es mal vielleicht vor 4 oder 5 Jahren war, als es ihnen allen gut ging.

Aber insgesamt muss man sagen, Putin hat dieses Land weit vorangebracht. Das ist sicherlich sein Verdienst. Und damit wird er auch – mit all den negativen Dingen, mit all der berechtigten Kritik – in die Geschichte eingehen.

Er ist bei den Russen nach wie vor beliebt, auch wenn die Popularität im Moment ein bisschen sinkt.“ …

Frage: „Was ist der Grund für diesen wirtschaftlichen Niedergang? …Russland hat ja relativ wenig zu exportieren außer den Rohstoffen und außer vielleicht Waffen und Kampfjets. Ist da vielleicht in der Vergangenheit auch etwas verpasst worden in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes?“ (Minute 26:40)

Krause: „Ja natürlich. Putin hat es versäumt, in den guten Jahren dafür zu sorgen, dass es eine Alternative zu den Rohstoffen gibt. Das ist ein riesiges Manko, weil in diesem Lande ja immer viel „geklaut“ wird. … Die Korruption ist leider ein riesiges Problem.

Aber ich würde nicht von einem „Niedergang“ sprechen. Es ist zurzeit eine Wirtschaftsflaute da. Die Leute jammern, das ist ganz ohne Frage. Den Leuten geht es vielleicht auch nicht ganz so gut wie früher. Aber um noch mal zurückzukommen auf die Sowjetunion. Es geht ihnen viel besser. …

Der Großteil der Bevölkerung findet Putin nach wie vor gut und steht nach wie vor hinter ihm.“

Quelle: Hermann Krause im Interview mit Bernd Hefter: „Putin hat Russland vorangebracht“ – Hermann Krause über 33 Jahre Berichte aus Moskau; Audio 31 Minuten; SWR-Weitwinkel, 09.02.2019

Deutschlandfunk Kultur-Diskussion zur politischen Entwicklung in Russland

In einer Diskussion in „Deutschlandfunk Kultur“ mit Gesine Dornblüth (ehemalige Russlandkorrespondentin des Deutschlandradios), Sergey Medvedev (Vorstandsvorsitzender des Vereins „Dekabristen e.V“) und Alexander Rahr stand Mitte August die politische Entwicklung in Russland im Mittelpunkt.

Die Popularität Putins am Beginn seiner ersten Präsidentschaft erklärte Dornblüth damit, dass Putin derjenige war, „der in dem Moment dem Wunsch der Menschen nach einer harten Hand tatsächlich entsprach.“

Der Wunsch nach einem Wiedererstarken Russlands auf internationaler Ebene als Weltmacht sei ihrer Meinung nach für die Popularität Putins nicht ausschlaggebend gewesen. Ausschlaggebend gewesen sei vielmehr die „komplette Negativ-Erfahrung der 90er Jahre“ mit ihrem „Wildwest-Kapitalismus“. Einige Oligarchen, die sich Staatseigentum unter den Nagel gerissen hätten, habe Putin auch hinter Gitter gebracht, allerdings nur die, die ihm gefährlich werden konnten. Die anderen habe er hingegen gefördert.

Zur aktuellen innenpolitischen Lage meinte Dornblüth, sie erwarte, dass die Regierung nach den Protesten in Moskau, „die Daumenschrauben“ mit Sicherheit weiter anziehen werde. Putins „Schreckgespenst“ sei der Machtverlust. Sie erinnerte daran, was Putin nach dem Geiseldrama in Beslan in Nordossetien im Jahr 2010 gesagt habe: „Wir haben Schwäche gezeigt und die Schwachen werden geschlagen.“

Gesine Dornblüth: Putin klebt an der Macht

Dornblüth hatte den Machtwillen Präsident Putins bereits rund eine Woche zuvor in einem Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur zu den aktuellen Demonstrationen in Moskau unterstrichen:

„Putin ist jemand, der an der Macht klebt, der bereit ist, Gewalt einzusetzen, um an der Macht zu bleiben, und der immer autoritärer wird.“

Um seine Macht zu festigen, habe Putin in ganz Russland ein Netz von Günstlingen in verantwortliche Positionen gebracht. Diese „Silowiki“ stammten aus den Machtministerien und aus dem Geheimdienst, erklärte Dornblüth in dem Gespräch („20 Jahre System Putin: Machterhalt durch Günstlingswirtschaft“).

Zur Stärkung von Putins Macht trügen viele restriktive, aber schwammig formulierte Gesetze bei. Sie seien so unklar, dass man nicht genau wisse, was geahndet werde. Die Menschen wüssten nicht, worauf sie sich noch verlassen können. Sie seien verunsicherter als zu Sowjet-Zeiten.

Alexander Rahr: Putins Nachfolger wird keine andere Politik betreiben

Alexander Rahr meinte in der DLF-Diskussion, es sei jetzt wichtig, den Verlauf der Regionalwahlen Anfang September zu beobachten. Er hoffe und denke, „dass sie frei sein werden wie die Wahlen zuvor.“ Einige Oppositionskandidaten seien ja von den Behörden registriert worden, zum Beispiel Kandidaten der liberalen Partei Jabloko. Parteien hätten es immer leichter, Kandidaten aufzustellen.

Sergey Mevedev widersprach Rahr. Die bevorstehende Wahl sei eine Farce, weil oppositionelle Kandidaten aus dem Wahlprozess ausgeschaltet worden seien. Sie seien nicht registriert worden, obwohl sie alle erforderlichen Unterschriften gesammelt hätten. Es sei ein klassisches Machtmittel des Kreml, seine Kritiker schon bei der Registrierung scheitern zu lassen. Außerdem kontrolliere der Kreml nicht nur die Wahlkommissionen, sondern auch die Gerichte.

Rahr stellte klar, es sei unstrittig, dass der Kreml Wahlen manipuliere. Problem der Opposition sei aber, dass sie nicht populär sei. Rahr unterstrich, dass eine Organisation in einer Partei immer notwendig sei. Die Opposition schaffe es nicht, eine starke Partei zu gründen. Wenn genug Leute zur Wahl kämen, vielleicht 50 oder 60 Prozent, um ihre Stimme abzugeben, um die Partei „Einiges Russland“ abzuwählen, so könnten sie dies bei den Wahlen.

Zur Frage „Was kommt nach dem Ende der Präsidentschaft Putins im Jahr 2024?“  meinte Rahr, er glaube, dass Putins Nachfolger einer der Provinz-Gouverneure oder der Moskauer Oberbürgermeister sein werde. Sein Nachfolger werde aber keine andere Politik betreiben. Politiker, die Russland im Westen verankern wollen, sehe er heute in Russland „weit und breit“ nicht. Er habe auch nicht das Gefühl, dass die Bevölkerung das wolle.

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Zeitschriftenbeiträge und Bücher:

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