Zentralbank-Umfrage: 2024 flaut das Wachstum in Russland ab und die Inflation ist höher als 2023

Am 27. Oktober wird Russlands Zentralbank ihren Leitzins voraussichtlich weiter erhöhen. 9 von 12 befragten Analysten rechnen laut einer Izvestia-Umfrage mit einer erneuten Anhebung um einen Prozentpunkt von 13 auf 14 Prozent. Die übrigen drei halten eine Erhöhung auf 15 Prozent für möglich.

Zur Vorbereitung ihres Leitzinsentscheides befragte die Zentralbank Mitte Oktober wieder rund 30 Banken, Forschungsinstitute und Medien zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Für das Jahr 2023 erwarten die Analysten jetzt unter anderem eine höhere Inflation und einen höheren Leitzins als in der letzten Umfrage Anfang September. Gleichzeitig ist der Mittelwert ihrer Prognosen für das diesjährige Wirtschaftswachstum von 2,2 auf 2,5 Prozent gestiegen. Die Wachstumsprognose der Regierung von 2,8 Prozent ist nur noch wenig höher.

Für 2024 prognostiziert die Regierung ein wenig niedrigeres Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent. Die Analysten erwarten im nächsten Jahr jedoch eine deutliche Abschwächung des BIP-Anstieges auf nur noch 1,5 Prozent. Trotzdem gehen sie davon aus, dass sich das Inflationstempo im Jahresdurchschnitt 2024 etwas beschleunigen wird.

Der Preisanstieg gegenüber dem Vorjahresmonat beschleunigt sich seit April 2023 

Der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat hat sich in Russland im September auf 6,0 Prozent beschleunigt. Im April war die jährliche Inflationsrate auf nur noch 2,3 Prozent gesunken. Sergey Blinov, Autor des Wirtschaftsblogs „m2econ“, schätzt, dass die Inflationsrate im Oktober auf 6,7 Prozent steigen wird (siehe folgende Abbildung).

 

Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent

Blaue Linie: Inflationsziel der Zentralbank: 4 Prozent,
Rote Punkte: jährlicher Preisanstieg im Dezember

Sergey Blinov: Inflation in October could reach 6.7 percent; 18.10.23

 

2023 bleibt die jährliche Inflationsrate aber deutlich niedriger als 2022

Bei der jüngsten Zentralbank-Umfrage hat sich die Inflationsprognose für Ende 2023 um 0,7 Prozentpunkte erhöht. Im Mittelwert erwarten die Analysten (darunter 4 ausländische) jetzt, dass der Anstieg der Verbraucherpreise im Dezember 2023 im Vorjahresvergleich 7,0 Prozent erreichen wird (siehe folgende Tabelle). Die Prognose der Analysten rückt damit auf den oberen Rand der Spanne der Inflationsprognose der russischen Zentralbank vom 15. September (Anstieg der Preise um 6 bis 7 Prozent im Dezember). Bei einem Preisanstieg um 7 Prozent im Dezember wäre die Inflationsrate aber immer noch fast 5 Prozentpunkte niedriger als ein Jahr zuvor (Dez. 22/Dez. 21: + 11,9 Prozent, siehe gelber Kasten in der Abbildung).

Vergleicht man den Anstieg der Verbraucherpreise: Im Jahresdurchschnitt sinkt Russlands Inflationsrate noch stärker. Im Jahresvergleich 2023/2022 wird der Preisanstieg laut der Umfrage der Zentralbank mit 5,9 Prozent nur knapp halb so hoch sein wie im Jahresvergleich 2022/2021 (13,8 Prozent). Die russische Zentralbank hat in ihrer Prognose vom 15. September für den Anstieg der Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt 2023 eine Spanne von 5,5 bis 5,9 Prozent genannt.

 

Ergebnisse der Zentralbank-Umfrage von Mitte Oktober 2023
zur Entwicklung der Verbraucherpreise und des Leitzinses

(Ergebnisse der Umfrage von Anfang September in Klammern)

 

* In parentheses are the results of the September 2023 survey.

** The results are the median forecasts based on survey participants’ responses on the nominal wages and average for the year CPI. Survey Dates: 13 — 17 October, 2023.

Russische Zentralbank:  Macroeconomic survey of the CBR, 19.10.2023

 

2024 ist die Inflationsrate im Dezember niedriger als ein Jahr zuvor,
sie steigt aber im Jahresvergleich 2024/2023

Auch die Inflationserwartungen der Analysten für das Jahr 2024 haben sich im Vergleich mit der September-Umfrage erhöht. Im Dezember 2024 ist laut der neuen Umfrage statt eines Anstiegs der Verbraucherpreise um 4,5 Prozent eine jährliche Inflationsrate von 5,1 Prozent zu erwarten. Die Analysten erwarten also weiterhin für 2024, dass die Inflationsrate am Jahresende niedriger sein wird als am Jahresende 2023 mit 7,0 Prozent.

Das gilt aber nicht für die Prognosen des Anstiegs der Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt. Die Analysten erwarten, dass sich die Inflationsrate im Jahresvergleich 2024/2023 auf 6,6 Prozent beschleunigen dürfte, nachdem sie im Jahresvergleich 2023/2022 voraussichtlich auf 5,9 Prozent sinkt.

Das von der Zentralbank verfolgte Ziel einer jährlichen Inflationsrate von 4,0 Prozent wird laut der Analysten-Umfrage erst im Dezember 2025 eingehalten. Im Jahresdurchschnitt wird die Inflationsrate laut der Umfrage sogar erst 2026 auf 4,0 Prozent sinken.

Die Leitzins-Prognosen sind stark gestiegen – wohl wegen der Rubel-Schwäche

Für den Jahresdurchschnitt 2023 rechnen die Analysten jetzt auch mit einem höheren Leitzins (9,8 Prozent) als bisher (9,3 Prozent). Dabei gehen die Analysten laut Einschätzung von „The Bell“ davon aus, dass die Zentralbank ihren Leitzins von derzeit 13 Prozent bis zum Jahresende 2023 auf 15 Prozent erhöht. Nach Berechnungen der Zentralbank bedeutet die Leitzins-Prognose der Analysten von 9,8 Prozent für den Jahresdurchschnitt 2023, dass der Leitzins im Zeitraum Oktober bis Dezember 14,2 Prozent betragen müsste.

Im Jahresdurchschnitt 2024 erwarten die Analysten, dass der Leitzins mit 12,6 Prozent fast 3 Prozentpunkte höher sein wird als im Jahresdurchschnitt 2023. Den Anstieg der Verbraucherpreise im Jahresvergleich 2024/2023 veranschlagen die Analysten mit 6,6 Prozent aber nur um 0,7 Prozentpunkte höher als im Jahresvergleich 2023/2022.

 

Ergebnisse der Zentralbank-Umfrage von Mitte Oktober 2023
zur Entwicklung des Leitzinses und des Rubel-Kurses gegenüber dem US-Dollar

(Ergebnisse der Umfrage von Anfang September in Klammern)

Vermutlich gehen die Analysten davon aus, dass der Leitzins zwar einerseits zur Stabilisierung der Preise so stark erhöht werden muss, vor allem aber wohl zur Vermeidung einer noch stärkeren Abwertung des Rubels (Trading Economics-Chart).

Obwohl die Analysten jetzt in den Jahren 2023 bis 2025 deutlich höhere Leitzinsen als bisher erwarten, rechnen sie mit einer stärkeren Abwertung des Rubels als bisher. So gehen sie jetzt davon aus, dass im Jahresdurchschnitt 2024 für einen US-Dollar 94 Rubel bezahlt werden müssen (bisherige Prognose: 89,9 Rubel) und im Jahr 2025 97,5 Rubel (bisherige Prognose: 90,8 Rubel).

2023 erwarten die Analysten jetzt fast so viel Wachstum wie die Regierung

Der Mittelwert der Prognosen der Analysten für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft ist in der Zentralbank-Umfrage jetzt von 2,2 auf 2,5 Prozent gestiegen. Die Wachstumserwartungen der Analysten sind damit nur noch wenig niedriger als die aktuelle Prognose der Regierung, die im September auf 2,8 Prozent angehoben wurde.

Die folgende Abbildung von Sergey Blinov zeigt die Entwicklung der BIP-Prognosen der russischen Regierung seit Ende September 2022 (blaue Linie) im Vergleich mit der Entwicklung der BIP-Prognosen der russischen Zentralbank (violette Linie), des Internationalen Währungsfonds (grüne Linie) und der Weltbank (rote Linie).

Die Wachstumsprognose des IWF (grüne Linie) wurde am 10. Oktober von +1,5 auf +2,2 Prozent angehoben. Sie ist damit etwas höher als die Prognose der russischen Zentralbank, die seit Juli bei einer Prognosespanne von 1,5 bis 2,5 Prozent ein Wachstum von rund 2 Prozent erwartet (violette Linie). Die Weltbank erhöhte ihre BIP-Prognose am 05. Oktober von – 0,2 Prozent auf +1,6 Prozent (rote Linie).

Blinov selbst erwartet derzeit für das Jahr 2023 ein weit höheres Wachstum von 5,8 Prozent (obere schwarze Linie). Seine Prognose ist damit fast doppelt so hoch wie die höchste Wachstumsprognose bei der Analysten-Umfrage der Zentralbank (+ 3,0 Prozent).

 

Wie sich die Prognosen für das russische Bruttoinlandsprodukt 2023 veränderten

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts 2023/2022 in Prozent

Sergey Blinov: The IMF raised its forecast for Russia’s GDP in 2023 to +2.2%, 14.10.23

 

2024 erwarten die Analysten nur noch 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum

Im nächsten Jahr rechnen die Analysten in der Zentralbank-Umfrage aber weiterhin mit einer deutlichen Abschwächung des Anstiegs des Bruttoinlandsprodukts auf nur noch 1,5 Prozent. Die Regierung erwartet 2024 hingegen nur eine leichte Abschwächung des Wachstums auf 2,3 Prozent. Auch 2025 und 2026 erwarten die Analysten nur ein Wachstum der russischen Wirtschaft von jeweils 1,5 Prozent.

Bei rekordniedriger Arbeitslosigkeit steigen die Löhne nur 2023 sehr kräftig

Russlands Arbeitslosenquote wird, begünstigt durch den Anstieg der Produktion, laut der Umfrage ivon 3,7 Prozent im Jahr 2022 auf 3,1 Prozent im Jahr 2023 sinken. Obwohl ab 2024 nur noch ein Wirtschaftswachstum von jährlich 1,5 Prozent zu erwarten ist, dürfte die Arbeitslosenquote bis 2026 nur sehr langsam auf 3,5 Prozent zunehmen.

Die Nominallöhne werden angesichts des Produktionsaufschwungs und der niedrigen Arbeitslosigkeit nach Einschätzung der Analysten 2023 um 12,3 Prozent steigen. Die Reallöhne werden laut der Zentralbank damit 2023 um 6,1 Prozent wachsen. 2024 schwächt sich dieser starke Zuwachs allerdings auf nur noch 1,6 Prozent ab.

 

Ergebnisse der Zentralbank-Umfrage von Mitte Oktober 2023

zur Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts, der Arbeitslosenquote,
der Nominallöhne und des konsolidierten gesamtstaatlichen Haushaltssaldos

(Ergebnisse der Umfrage von Anfang September in Klammern)

 

Russlands Haushaltsdefizit steigt 2023 nur vorübergehend auf 2,1 Prozent

Im konsolidierten Staatshaushalt hatte sich im Rezessionsjahr 2022 ein Defizit von 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ergeben. Laut der Umfrage wird es sich 2023 voraussichtlich auf 2,1 Prozent des BIP erhöhen.

2024 rechnen die Analysten mit einer Senkung des Defizits auf 1,5 Prozent des BIP. Ganz abgebaut werden dürfte es auch 2025 und 2026 nicht. Die Analysten erwarten dann Defizite von jeweils 1,0 Prozent des BIP.

Bei höheren Ölpreisen steigen Russlands Ausfuhrerlöse 2024

Die Analysten erwarten jetzt, dass der Urals-Ölpreis im Jahr 2023 mit 64 US-Dollar/Barrel rund 11 Prozent niedriger sein wird als 2022. Der Preisrückgang trägt dazu bei, dass Russlands gesamte Erlöse aus der Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen in US-Dollar um rund 24 Prozent einbrechen.

Ihre Urals-Ölpreisprognose von Anfang September für das Jahr 2024 hoben die Analysten Mitte Oktober um rund 10 Prozent auf 72 US-Dollar/Barrel an. Sie erwarten jetzt im nächsten Jahr einen Anstieg der gesamten Ausfuhrerlöse um rund 5 Prozent gegenüber 2023 auf 508 Milliarden US-Dollar.

Russlands Außenhandelsüberschuss dürfte 2024 gegenüber 2023 um rund 15 Prozent auf 118 Milliarden US-Dollar steigen. Er bleibt damit aber deutlich niedriger als im Jahr 2022, in dem er vor allem preisbedingt auf 294 Mrd. US-Dollar stieg.

 

Ergebnisse der Zentralbank-Umfrage von Mitte Oktober 2023
zur Entwicklung der Aus- und Einfuhren von Waren und Dienstleistungen,

des Rubelkurses gegenüber dem US-Dollar und des Urals-Ölpreises

(Ergebnisse der Umfrage von Anfang September in Klammern)

* In parentheses are the results of the September 2023 survey.

** The results are the median forecasts based on survey participants’ responses on the nominal wages and average for the year CPI. Survey Dates: 13 — 17 October, 2023.

Russische Zentralbank:  Macroeconomic survey of the CBR, 19.10.2023

 

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

WIIW: Konjunktur in Russland und der Ukraine im Zeichen des Krieges, 18.10.23

IWFund Weltbank erwarten in Russland deutlich weniger Wachstum als die Regierung, 11.10.23

Deutsche Institute erwarten 2024 nur noch 1 Prozent Wachstum in Russland, 02.10.23

Sinkt das Budgetdefizit trotz stark steigender Rüstungsausgaben? 27.09.23

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

BZ-Interview:  Gerhard Schröder zu Friedensverhandlungen zwischen Ukraine und Russland

BZ, dpa:  Was denken die Russen? – Meinungsforscher unter Druck, siehe auch FAZ+

Tagesschau.de: Rückkehrer nach Russland. “Mir wurde klar: Niemand wartet dort auf dich”

Podcast „Zaren, Daten, Fakten“: Kompakt:  Chinesisch-Russischer Handel

Denis Kasyanchuk: How the Russian economy became dependent on the Chinese one,

Joe Blogs-Video: Russia Seizes More Western Assets …

 

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