Gewinner, Verlierer und die politische Zukunft Russlands nach der Parlamentswahl
Nach der Dumawahl am letzten Wochenende diskutieren russische Fachleute über die Bedeutung des Ergebnisses für die Zukunft. Vor allem in der Innenpolitik gibt es hier Entwicklungen.
Von Roland Bathon
Außenpolitik entsteht nicht in der Duma
Die Frage nach der Bedeutung des aktuellen Wahlergebnisses zur Russischen Staatduma, bei der die Kremlpartei „Einiges Russland“ ihre beherrschende Position mit leichten Verlusten und unter nicht zweifelsfreien Umständen verteidigen konnte, ist nur in einem Bereich schnell beantwortet. Bei der Außenpolitik hat dieses Ergebnis praktisch keine Bedeutung, denn die wird im Kreml und einer Regierung gemacht, die politisch, anders als in Deutschland, kaum vom Wohlwollen des Parlaments abhängt. Hier ist also mit keinerlei Änderung zu rechnen, auch nicht gegenüber Deutschland.
Die Außenpolitiker im Parlament flankieren mehr oder weniger, was vom Team um Putin in der Präsidialverwaltung vorgegeben wird. Selbst wenn das anders wäre, gäbe es keinen Anlass, eine Änderung zu erwarten. Denn beispielsweise beim Verhältnis zum Westen strebt keine der fünf Fraktionen in der neuen Staatsduma in eine andere Richtung als die Regierung. Im Gegensatz dazu fallen die Links- bzw. Rechtsnationalistischen Parteien Gerechtes Russland und Schirinowskis LDPR eher durch harte Töne im Bereich Außenpolitik auf, etwa für eine Anerkennung der selbsternannten Rebellenrepubliken im Donbas. Hier geht es um die eigene Profilierung – was genau dort gewollt wird, spielt für die Leitlinien der tatsächlichen externen Politik Russlands keine Rolle.
„Neue Leute“ als Kreml-Wirtschaftsflügel
Viel mehr Diskussionen und unterschiedliche Meinungen gibt es jedoch unter den Experten darüber, wie es in Russlands Innerem weitergeht. Denn hier ist beispielsweise eine neue Partei ins Parlament eingezogen, die „Nowy Ludi“ (Neuen Leute), die geschickt den Wunsch vieler Russen nach neuen Gesichtern in der Politik genutzt haben – er wurde zu ihrem Markenzeichen ebenso wie ihre Ausrichtung auf kleinere Unternehmer. Für eine echte inhaltliche Erneuerung stehen sie trotz ihrem betont wirtschaftsliberalen Programm nicht.
Das russische Medienportal RBK sieht sie als Zweig der Regierungspartei mit machtnaher Herkunft und vertritt hier eine weit verbreitete Meinung, nicht nur wegen Doppelmitgliedschaften der Führung der „Neuen Leute“ in Kremlnahen Vereinigungen. Der Politikwissenschaftler Alexander Poschalow sieht die Neuen Leute denn auch mehr als moderne Marke eines technischen Politikprojekts aus dem Machtumfeld als Partei.
Die Moskauer Politologin Tatjana Stanowaja geht sogar noch weiter und spricht von einer direkten Kontrolle der Partei durch die Drahtzieher der Innenpolitik in der Regierung, die den bisherigen Parlamentsparteien Stimmen gekostet hat. Zwar gelten auch mehrere andere Parlamentsparteien als Kremlnah, hätten aber eigene Ansichten, Ambitionen und Erfahrungen. Im Gegensatz dazu seien die „Neuen Leute“ eine „synthetische Einheit“, die als Flankenkraft der Regierungspolitik auch im konservativen Machtzirkel für Unruhe sorgen könnte – denn sie seien eine Strömung des Apparates, eine innere Fraktion. Ob man ihr zugesteht, etwa im Sinne der russischen Wirtschaft etwas nach vorne zu bringen, wird nicht von ihr selbst abhängen.
Liberale Opposition ist ein Verlierer
Stanowaja rechnet durch diese Kraft daneben auch mit einem Anpassungsdruck auf die sogenannte „Systemopposition“ im Parlament, die Angst davor habe, das Schicksal der übrigen Opposition zu erleiden. Diese Strömungen, die das System Putin wirklich ablehnen, gehören zu den großen Verlierern der Wahl und ihrer Begleitumstände. Nawalnys Bewegung wurde im Vorfeld als extremistisch verboten, die gemäßigtere liberale Partei Jabloko, die antreten durfte, erhielt nicht einmal zwei Prozent der Wählerstimmen, alle anderen sind bedeutungslos.
Das ist nicht nur eine Folge des Drucks, der tatsächlich von den Behörden auf diese Kräfte ausgeübt wird, etwa durch die Behinderung ihres Wahlkampfs, sondern auch ihrer Uneinigkeit. Jabloko-Chef Jawlinski legte unmittelbar vor dem Urnengang großen Wert auf seine Abgrenzung von den Nawalnisten, was ihm viele oppositionell gesinnte, urbane Russen negativ ankreideten. Dabei geht es nicht darum, dass Nawalnys Positionen unter liberalen Russen allgemein geteilt werden. Jedoch bestand der Eindruck, dass Jawlinski auf den schon am Boden liegenden Oppositionsführer quasi nochmal eintritt, was nie Sympathien schafft und Jawlinskis Partei nun selbst zu Boden brachte.
Kommunisten mit wichtigerer Rolle
Eine wichtige Rolle für nicht mit dem System einverstandene Russen spielte auch durch die Schwäche der Liberalen unverhofft die Kommunistische KPRF. Sie schien vielen als „überzeugendste Oppositionspartei“, wie es RBK ausdrückt. Sie sind auch oppositioneller, als die übrigen Dumaparteien, eine Folge vor allem der Aufnahme junger, nicht systemtreuer Kandidaten, der Politologe Alexander Kynjew „eigentlich eher Sozialdemokraten“ nennt, die nicht unbedingt das Wirtschaftssystem der UdSSR zurückbringen wollen.
Ihnen gegenüber steht in der Partei aber nach wie ein Block von sowjetnostalgischen Altkommunisten bis hin zu Stalinverehrern, die teilweise auch über Jahre mit dem Kreml brav geklüngelt haben. So ist es die Frage, inwieweit die KPRF erfolgreich eine moderne linke Oppositionsarbeit machen wird. Die Abgeordnetenzahl dafür hat sie aufgrund ihres Wahlerfolgs.
Wie geht die Parteipolitik des Machtapparats weiter?
In welche Richtung die russische Innenpolitik jedoch hauptsächlich geht, hängt in Russland vor allem vom Machtapparat ab, von dem man sich die Gewinnerpartei „Einiges Russland“ nur als integriertes Element vorstellen muss. Ein Element übrigens, dass trotz des aktuellen Wahlsiegs gar nicht so entscheidend ist. Putin, Lawrow und Schoigu selbst kamen dieses Mal nicht einmal zur Siegesparty und der bekannte Politikjournalist Andrej Perzew rechnet jetzt auch damit, dass sich Putin selbst jetzt wieder aus der Parteipolitik herauszieht. Vier der fünf Spitzenkandidaten der Partei werden ihren gewonnenen Dumasitz gar nicht besetzen, sondern Leuten aus der zweiten Reihe des Apparates überlassen.
Perzew vermutet, dass Projekte wie die „Neuen Leute“ in der russischen Politik allgemein Schule machen könnten. Das würde bedeuten, dass weitere Kreml-„Marken“ für die Wählerzielgruppen entstehen und sogar „Einiges Russland“ zu einer solchen Marke, etwa für konservative Kreml-Unterstützer degenerieren könnte, garniert mit ein paar bekannten Gesichtern wie TV-Moderatoren oder Schauspielern. Kreml-Parteipolitik könnte nach Meinung von Perzew dann zu einer Art Marketing-Wettbewerb werden, der von Putin dann endgültig nur noch beaufsichtigt wird und er nicht mehr selbst daran teilnimmt.
Wird die Phase der politischen Repressionen enden?
Beim innenpolitischen Kurs der russischen Regierung macht manchen für die Zeit nach der Wahl Hoffnung, dass bei einigen Repressionen der letzten Monate – zahlreiche Erklärungen von oppositionsnaher Presse und Vereinigungen zu „ausländischen Agenten“ oder – was einem Arbeitsverbot gleich kommt – zu „unerwünschten Organisationen“ immer wieder die kommende Dumawahl als möglicher Hintergrund genannt wurde. Wird sich nun die Innenpolitik wieder etwas entspannen? Der bekannte Journalist und Kolumnist der Zeitungen Vedomosti und gazeta.ru Michail Kolesnikow glaubt nicht daran.Durch die Dumawahl gäbe es nur minimale Änderungen im politischen System.
Der Trend zu mehr Repressionen werde sich nach seiner Ansicht fortsetzen. Er hinge nicht mit den Wahlen, sondern mit der strategischen Linie der Behörden zusammen. Diese haben in Russland oft eine wichtigere Rolle als das Parlament, das oft mehr oder weniger die Aufgabe hat, die Linie der Bürokratie gesetzgebend zu unterstützen.