Interview mit der IHK Düsseldorf zu den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen
Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHK Düsseldorf Dr. Gerhard Eschenbaum zieht in einem Interview Bilanz zu den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen.
Das Interview führte Dr. Daria Boll-Palievskaya. Erstveröffentlichung bei Russland.Ru.
Herr Dr. Eschenbaum, seit drei Jahren laufen die Sanktionen gegen Russland. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie für die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen?
Dr. Eschenbaum: Wenn man die Entwicklung Revue passieren lässt, waren das in der Tat keine guten Jahre. Gemessen an den Handelsbilanzzahlen sind wir jetzt fast beim halben Wert von 2012. Damit will ich aber auch zum Ausdruck bringen, dass der Rückgang im bilateralen Handel schon vor Verhängung der Sanktionen eingesetzt hat, weil die russische Wirtschaft schon davor Strukturprobleme hatte. Die Sanktionen haben das Leben natürlich nicht leichter gemacht. Im Moment sieht es so aus, dass wir das Tal durchschritten haben und es langsam aufwärtsgeht.
Die ersten Zahlen deuten das auch an. Trotzdem sind sich alle Beobachter darüber einig, dass wir nicht wie etwa 1998 oder 2010 nach der Krise einen scharfen Anstieg erleben werden. Die Sanktionen bleiben ja weiterhin in Kraft. Und die russische Wirtschaftspolitik hat andere Rahmenbedingungen gesetzt: Es wird auf Importsubstitution gesetzt und darauf gedrängt, dass man einen höheren Lokalisierungsanteil erbringen muss, wenn man als russisches Unternehmen behandelt werden möchte. Diese neuen Bedingungen sind für alle Unternehmen eine Herausforderung. Das erklärt aus meiner Sicht, warum sich ein Teil der bisher in Russland präsenten deutschen Firmen leider vom russischen Markt entfernt hat.
Die deutsche Wirtschaft ist aber dafür bekannt, dass sie auch in schwierigen Zeiten dem russischen Markt treu bleibt.
Dr. Eschenbaum: Das stimmt auch. Nach wie vor ist die deutsche Unternehmerschaft die größte ausländische Unternehmergruppe in Russland. Gleichwohl fordert die nun schon einige Zeit anhaltende Krise ihren Preis. Die Zahlen, die mir vorliegen, sprechen davon, dass gemessen an den rund 6.000 deutschen Unternehmen in Russland im Jahre 2014 seitdem etwa 800 deutsche Unternehmen Russland verlassen haben.
Das macht mir schon Sorgen. Denn in früheren Krisen, ob 1998 oder 2008, hat es ebenfalls eine gewisse Konsolidierung gegeben, aber keine so starke. Offensichtlich glauben viele Unternehmen nicht, dass der Umschwung in die andere Richtung schnell kommt. Vor allem für exportierende Mittel- und Kleinunternehmen ist es schwierig geworden, weil ihre Produkte einfach zu teuer für den russischen Markt sind.
Am Anfang der Sanktionen herrschte in Russland die Stimmung, wir kommen auch ohne euch zurecht.
Dr. Eschenbaum: Grundsätzlich halte ich eine Reaktion: Wir besinnen uns auf eigene Stärken, für gar nicht schlecht. Wenn das bedeutet, dass man seine Wirtschaft auch in Bereichen, die nichts mit Gas und Öl zu tun haben, ankurbelt. Das Grundproblem ist in Russland doch seit Jahren, dass man zu wenig für eine Diversifizierung der Wirtschaft getan hat.
Wenn diese Reaktion allerdings zum Ausdruck bringen soll, dass es Alternativen zu Deutschland gibt, so ist natürlich nicht zu übersehen, dass Firmen aus anderen Ländern verstärkt in die Lücke gegangen sind, die deutsche Unternehmen hinterlassen haben. Das ist bedauerlich, weil diese somit ihr Terrain verloren haben, und zwar für längere Zeit. Denn wenn man beispielsweise eine Anlage kauft, so läuft sie 10 oder 15 Jahre. Und zudem hat dann die Konkurrenz auch zumeist das Preisniveau gedrückt.
Dann müssten die Deutschen an der Preisschraube drehen – und das können sie sich nicht leisten.
Dr. Eschenbaum Ja, daraus resultiert ja auch die Notwendigkeit für Unternehmen, die weiterhin vom russischen Markt partizipieren möchten, einen Teil der Wertschöpfung in Russland zu tätigen, um zu russischen Konditionen fertigen zu können. So kann man sich wettbewerbsfähig halten. Die Firmen, die einen hohen Produktionsanteil in Russland hatten, sind besser durch die Krise gekommen. Henkel z.B. produziert in Russland und hat, in Rubel gerechnet, die letzten Jahre relativ gut überstanden. Allerdings sieht die Bilanz in Euro natürlich anders aus.
Mit welchen Fragen kommen die Firmen heute zu Ihnen?
Dr. Eschenbaum In den „guten“ Zeiten wollten die Unternehmen wissen: Wie komme ich auf den russischen Markt? Als die Sanktionen kamen, standen Fragen wie: Was geht jetzt und was nicht? Welche Genehmigungen braucht man? im Vordergrund. Inzwischen haben die Firmen gelernt, mit dieser Situation umzugehen. Der Beratungsbedarf hat sich auf Themen des Krisenmanagements verlagert: Wie stelle ich mich unter den neuen Bedingungen erfolgreich in Russland auf? oder: Wie kann man von der Eurasischen Wirtschaftsunion profitieren?
Auch große Unternehmen müssen sich fragen, wie sie ihr Kapazitätsvolumen an den geschrumpften Markt anpassen oder vielleicht von Russland aus andere Märkte bedienen können. Eines ist mir aber wichtig zu betonen: Das Interesse in Deutschland an Russland ist weiterhin hoch. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass die Hürde für manches Unternehmen deutlich höher ist als früher. Man muss schon einen Weg finden, um über diese Hürde zu springen. Und bei einer insgesamt sehr guten Exportkonjunktur ist der Druck, sich mit den speziellen Problemen des russischen Marktes auseinanderzusetzen, etwas geringer.
Das Russland-Kompetenzzentrum bei der IHK Düsseldorf leistet da viel Arbeit.
Dr. Eschenbaum: Ja, zumal wir auch als Gesprächspartner für die russische Seit zur Verfügung stehen. Wenn sich z.B. eine russische Region bei uns meldet, ermuntern wir sie, hierher zu kommen und sich vorzustellen. Wir haben erfreulicherweise seit 2011 eine Verdreifachung der Zahl russischer Unternehmen in Düsseldorf feststellen können. Das ist ein gutes Zeichen. Zum einen bestätigt dies, dass es auch noch Unternehmen jenseits von Öl und Gas gibt, und dass die Erkenntnis gewachsen ist, dass man ins Ausland gehen muss, wenn man wachsen möchte.
Zum anderen ist das auch eine Reaktion auf die Wirtschaftskrise: Angesichts des geschrumpften Marktvolumens in Russland ist ein Ausgleich nur über Internationalisierung zu erreichen. Es gibt daher eine zunehmende Zahl russischer Unternehmen, die versuchen, sich auf dem nicht gerade einfachen deutschen Markt zu behaupten. Und weil wir bemerkt haben, dass diese Community gerade in Düsseldorf so stark wächst, haben wir gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung der Stadt Düsseldorf und NRWs ein Programm entwickelt, um diese Unternehmen zu unterstützen. Wir informieren sie z.B. über die rechtlichen und die Markbedingungen in Deutschland.
Aus welchen Branchen kommen die russischen Unternehmen?
Dr. Eschenbaum: Aus vielen Bereichen. Darunter sind Handelsunternehmen, etablierte Unternehmen aus der Metallindustrie und natürlich Firmen aus dem IT-Bereich, in dem Russland viel zu bieten hat.
Aber müssen die Russen nicht erstmal gegen ein schlechtes Image ankämpfen?
Dr. Eschenbaum: Natürlich spielt Image immer eine gewisse Rolle. Aber letztlich zählen Qualität und Preis. Und da sind russische Unternehmen nicht schlechter als andere. Zudem sind nach der Rubelabwertung russische Exporte verbilligt worden, was den Markteintritt erleichtert.
Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft zwischen Moskau und Düsseldorf fanden in Düsseldorf im Mai Moskauer Tage statt.
Dr. Eschenbaum: Das war ein würdiges Jubiläum. Die Stadt Düsseldorf hat immer alles dafür getan, die Beziehungen nicht einschlafen zu lassen. Als Kammer würden wir uns wünschen, dass auch die wirtschaftlichen Beziehungen weiter auf der Agenda blieben und eine wichtige Rolle spielen. Denn das war schon immer unser Ziel: über den Hebel Düsseldorf-Moskau Unternehmen in ganz NRW zu erreichen und mit Russland ins Geschäft zu bringen. Ich würde mir wünschen, dass man auch in Moskau sieht, dass die russische Hauptstadt von dieser Zusammenarbeit profitieren kann.
Der Minister für außenwirtschaftliche und internationale Beziehungen, Sergej Tscherjomin, hat im Wirtschaftsclub Düsseldorf Moskau als einen lukrativen Wirtschafts- und Investitionsstandort präsentiert.
Dr. Eschenbaum: Viele, die sich vorher nicht damit beschäftigt haben, haben dadurch ein neues Bild von Moskau bekommen, denn die russische Hauptstadt hat eine bemerkenswerte Veränderung erlebt. Leider weiß man hierzulande zu wenig darüber. Insofern war es eine sehr wichtige Veranstaltung. Durch diesen Perspektivwechsel hat man Interesse auf der deutschen Seite geweckt.
Dr. Eschenbaum, wir danken Ihnen für das Gespräch.