Morgenkommentar am 29. März 2017

Wie ein Spuk sind die Demonstrationen am Sonntag, als auf einen Aufruf des Korruptionsjägers Alexej Nawalny hin zehntausende auf die Straße gingen, übers Land gerauscht. Seither herrscht weitgehend Stelle. In den staatlichen Medien sowieso, denn der Staat weiß keine Antwort. Der unerwartete Protest hat ihn kalt erwischt. Aber auch die Opposition schweigt – es gibt sie nicht. Oder nur in Gestalt von Nawalnys Team, und das ist verhaftet, also vorerst zum Schweigen verurteilt.

Stille herrscht vor allem, weil hinter dem Protest keine Bewegung steht. Selbst im Internet, wo offen und scharfsinnig diskutiert wird, herrscht Ratlosigkeit. Klar ist, dass ein virales Video der Auslöser war: Nawalnys Enthüllungsstreifen “Dimon”, in dessen Mittelpunkt die dolce vita des Premierministers steht. Demnach verfügt Dimitri Medwedew über beliebigen Zugriff auf Villen, Yachten und sogar Weinberge im In- und Ausland,  offiziell im Eigentum von Stiftungen und Offshore-Firmen, finanziert von russischen Oligarchen.

Klar ist auch, das es die vermeintlich unpolitische, nur an Marken und sozialen Medien interessierte Studenten- und Schülergeneration war, die am Sonntag auf die Straße ging. Glaubt man den Bildern, war es kein Ernst der Empörung, der die jungen Menschen erfüllte. Aus den Gesichtern spricht die Lust am Abenteuer jenseits des Monitors. Viele lachen, während die Polizei sie wegträgt und busladungsweise abtransportiert.

Nariman Abu Namasow, Administrator der anonymen Plattform Dwatsch, Tummelplatz von Millionen russischer Teenager, erzählt, dass der Link zu “Dimon” von jedem seiner Nutzer durchschnittlich fünf Mal weitergeleitet wurde. Über 13 Millionen Klicks verzeichnet das Youtube-Video – in der Regel bringen die Nawalny-Streifen es auf rund eineinhalb.

Die in Russland so verbreitete Mischung aus Patriotismus und zynischer Verachtung des Staats lernt erst der Erwachsene. Die Jungen, deren Coolsein immer nur aufgesetzt ist, glauben noch, dass es eine Wahrheit gibt. Korruption ist das eine große Thema. Blogger, die sich ihm widmen, gelten als in: Wylsacom (3 Millionen Abonnenten), Kamikadzedead (912.000), Danil Poperetschnij (748.000).

Der Protest am Sonntag war wie ein Flashmob, der aus dem Ruder lief. Noch kann von einer Bewegung keine Rede sein. Eins jedoch steht fest: Die Korruption wird zur Achillesferse des Systems.