Kriegswirtschaft

Wie wirkt sich die Kriegswirtschaft auf Russlands Produktion aus?

In 2024 wuchs die russische Kriegswirtschaft erneut viel stärker als fast alle Beobachter vor einem Jahr erwartet hatten. Inzwischen gehen die meisten Experten davon aus, dass sich die erstmals Anfang September von der russischen Regierung veröffentlichte Wachstumsprognose von 3,9 Prozent weitgehend bestätigen dürfte. Allerdings rechnet die große Mehrheit der Beobachter damit, dass sich Russlands Wirtschaft in den Jahren 2025 und 2026 deutlich stärker abkühlen wird als die russische Regierung in ihrer Haushaltsplanung mit Wachstumsraten von 2,5 Prozent im Jahr 2025 und 2,6 Prozent im Jahr 2026 annimmt.

Wie wirkt sich Kriegswirtschaft auf die russische Wirtschaft aus?

Aber selbst wenn das Wachstum 2025 auf nur noch rund 1,5 Prozent sinken sollte, kann man wohl wie einige russische Analysten von einer „sanften Landung“ der überhitzten russischen Konjunktur sprechen (RBC.ru, Bloomberg). Umstritten ist, ob die Wirtschaft 2026 wieder mehr Fahrt aufnehmen wird. Das Konjunkturforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften (IEF RAS) prognostiziert zwar, dass der Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts schon 2026 fast wieder 3 Prozent erreicht. Bei der jüngsten Analysten-Umfrage der russischen Zentralbank erwarteten die Teilnehmer aber für 2026 im Durchschnitt nur 1,7 Prozent Wachstum. Viele meinen, der russische „Kriegskeynesianismus“ habe inzwischen seine Grenzen erreicht, zumindest was die Steigerung des Wachstums durch höhere Rüstungsausgaben betrifft.

Nachstehend Hinweise auf aktuelle Einschätzungen des russischen „Kriegskeynesianismus“ von bekannten deutschen und russischen Experten (Felix Jaitner, Katharina Bluhm, Alexandra Prokopenko und Nikolai Kulbaka), ergänzt durch eine Übersicht der Prognosen zur Entwicklung des russischen Bruttoinlandsprodukts bis 2026.

Felix Jaitner: Der „Kriegskeynesianismus“ ist nicht nur Konjunkturpolitik

Der Berliner Politikwissenschaftler Felix Jaitner, Autor des Buches „Russland – Ende einer Weltmacht“ will den „Kriegskeynesianismus“ in Russland nicht allein als Konjunkturprogramm zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage verstanden wissen. Er sieht die stark gestiegenen Militärausgaben auch als Teil einer langfristigen politischen Strategie zur Stärkung der Stellung Russlands in der sich bildenden „multipolaren Weltordnung“. Jaitner skizziert im IPG-Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung in seinem Artikel „Putins Kurswechsel“ den russischen „Kriegskeynesianismus“ so:

„Im Kern beschreibt der Kriegskeynesianismus eine staatlich gelenkte makroökonomische Politik, die darauf abzielt, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch höhere Militärausgaben zu steigern. Seit der Invasion in der Ukraine hat Russland seine Militärausgaben verdreifacht. Allein auf den Verteidigungshaushalt entfallen 40 Prozent der Staatsausgaben, verglichen mit 14 bis 16 Prozent vor 2022. Die steigende Industrieproduktion treibt die russische Volkswirtschaft aus der jahrelangen Stagnation. Im Jahr 2023 wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 3,6 Prozent…“ .

Felix Jaitner stellt heraus, dass die Diskussion über den „Kriegskeynesianismus“ als Teil eines Konfliktes zwischen „Nationalkonservativen“ und „Neoliberalen“ in der russischen Elite zu sehen ist:

„Der Kriegskeynesianismus sollte nicht auf wirtschaftspolitische Maßnahmen in Kriegszeiten reduziert werden. Er ist vielmehr Teil einer langfristigen politischen Strategie, die insbesondere von nationalkonservativen Fraktionen in der russischen Elite vertreten wird und darauf abzielt, die starke Abhängigkeit des Landes vom Rohstoffexport zu verringern und somit den russischen Einfluss auf die sich herausbildende multipolare Weltordnung zu stärken.

Seit der Invasion in der Ukraine hat die russische Regierung partiell ihre traditionell monetaristische Finanzpolitik aufgegeben. Die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen, die höhere Besteuerung von Unternehmensgewinnen oder die Ersetzung des Einheitssteuersatzes (flat tax) zugunsten eines progressiven Systems wurden von den Wortführern des neoliberalen Lagers, wie der Zentralbankchefin Elvira Nabiullina, stark kritisiert, konnten aber nicht verhindert werden. Stattdessen wurde das national-konservative Lager durch die Ernennung des Verteidigungsministers Andrej Beloussow weiter gestärkt.“

Jaitner im AHK-Podcast: Aufrüstung ist keine langfristig wirksame Industriepolitik

Im Podcast „Zaren.Daten.Fakten“ der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer diskutierte Felix Jaitner Thesen seines Buches mit Thomas Baier. Dabei äußerte er sich am Schluss auch zu den Perspektiven der russischen Wirtschaft (ab Min. 46).

Jaitner meint, „kurzfristig“ sei es möglich, dass Russland seinen mit dem Kriegskeynesianismus eingeschlagenen wirtschaftspolitischen Kurs fortsetzen kann, zumal die staatlichen Ausgaben ja auch den Konsum „befeuern“ und damit rückwirkend auch wieder die Industrieproduktion antreiben. Allerdings seien natürlich auch die Kosten des Krieges gegen die Ukraine sowie die Kosten der „Entkoppelung“ der russischen Wirtschaft vom Westen extrem hoch.

„Mittelfristig“, in den nächsten 4 bis 5 Jahren, hält es Jaitner aber für möglich, dass sich der Aufschwung der russischen Wirtschaft erschöpft. Es sei keine langfristige industriepolitische Strategie, die mit dem Kriegskeynesianismus verfolgt werde, da er sich einseitig auf die Entwicklung der Rüstungsindustrie konzentriere, die aber kein „Innovationstreiber“ sei. Jaitner hält es für dringend erforderlich, dass die russische Führung stattdessen die Entwicklung von Konsumgütern vorantreibt, die einen breiten Innovationsprozess auslösen könne. Das sei aber nicht erkennbar.

Katharina Bluhm: Zugespitzter Konflikt zwischen „Kriegsfalken“ und Zentralbank

Der Frage „Was wird aus Russlands Kriegskeynesianismus?“ geht auch Katharina Bluhm, Professorin am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, in einem Beitrag für „Makroskop“ nach. Die Autorin des Buches „Russland und der Westen. Ideologie, Ökonomie und Politik seit dem Ende der Sowjetunion“ sieht wie Felix Jaitner die Diskussion über den russischen Kriegskeynesianismus als Symptom für Konflikte innerhalb der russischen Elite. Den Befürwortern immer höherer Kriegsausgaben, Bluhm nennt sie „Kriegsfalken“, stünden die Zentralbank und das Finanzministerium als Anhänger von Prinzipien einer „konservativen Geld- und Fiskalpolitik“ gegenüber. Der Konflikt zwischen diesen Fraktionen habe sich zugespitzt. Dabei stehe insbesonders die Geldpolitik der russischen Zentralbank im Fokus.

Katharina Bluhm verweist darauf, dass die Zentralbank im Oktober ihren Leitzins auf 21 Prozent angehoben hat, den höchsten Stand seit 2 Jahrzehnten. Bei einer Inflationsrate von 8,6 Prozent habe der Realzins im Oktober 12,4 Prozent erreicht. Er sei damit einer der weltweit höchsten. Die Zinsentscheidung der Zentralbank signalisiert, so Bluhm, „dass ihre Geldpolitik die Ausgaben der Regierung nicht auf unbestimmte Zeit zu stützen bereit ist, wenn dies zu einem nachhaltigen Anstieg der Inflation führt.“

Das Moskauer „Center for Macroeconomic Analysis And Short term Forecasting, CMASF“ rechnet in seiner „Analyse makro-ökonomischer Trends“ vom 19. Dezember vor, dass der Realzins in Russland im November 2024 noch nahe an seinem seinem historischen Höchstwert lag. Die Differenz zwischen dem nominalen Leitzins von 21 Prozent und dem jährlichen Anstieg des Indexes der Verbraucherpreise von 8,9 Prozent verringerte sich im November nur geringfügig auf 12,1 Prozent (siehe rote Markierung in der folgenden Abbildung).

Realzins in Russland in Prozent pro Jahr (rote Markierung), Differenz von Leitzins (schwarze Linie) und Inflationsrate (blaue Linie)

Realzins in Russland in Prozent pro Jahr

Center for Macroeconomic Analysis And Short term Forecasting, CMASF: Analysis of macroeconomic trends, 19.12.24

Die „Kriegsfalken“ setzten eine weitere Erhöhung der Militärausgaben durch

Zum aktuellen Stand des Konfliktes zwischen den Anhängern einer „konservativen Geld- und Fiskalpolitik“ und den „Kriegsfalken“ meint Frau Professor Bluhm:

 „Der Haushaltsentwurf für die Jahre 2025 bis 2027 zeigt, dass sich die Zentralbank und das Finanzministerium nicht gegen die Kriegsfalken durchgesetzt haben und eine weitere Ausweitung der Militärausgaben nicht stoppen konnten.

Der Druck, die Inflations- und Haushaltsziele zu erreichen, wird jedoch zu erheblichen Kürzungen der Ausgaben für zivile Bereiche führen – vor allem bei den Sozialausgaben, die nichts mit dem Krieg zu tun haben und deren Kürzung die Regierung bisher vermieden hat.“

Auch Alex Isakov, Bloomberg-Ökonom für Russland und Mittel- und Osteuropa, meinte kürzlich, Putin könne Russland nicht länger „sowohl Kanonen als auch Butter“ garantieren (Bloomberg; Novaya Gazeta Europe).

Carnegie-Expertin: Russlands Wirtschaft steht an der Wende zur Stagnation

Alexandra Prokopenko, Fellow des „Carnegie Russia Eurasia Center“ in Berlin, konstatiert in einer am 20. Dezember veröffentlichten Analyse, dass Russlands Wirtschaftswachstum in den letzten beiden Jahren zwar mit beneidenswert hohen Raten gewachsen sei. 2023 sei das Bruttoinlandsprodukt um 3,6 Prozent und 2024 voraussichtlich um 4 Prozent gestiegen. Gleichzeitig meint sie aber, dass wir jetzt in Russland eine „unumkehrbare Wende hin zu einer wirtschaftlichen Stagnation“ erleben.

Auch Prokopenko betont, die rasche Ausweitung der Staatsausgaben für den „militärisch-industriellen Komplex“ sei der Hauptmotor für Russlands Wirtschaftswachstum gewesen. Inzwischen schwäche sich das Wachstum in vielen Wirtschaftsbereichen jedoch ab. Sie verweist auf folgende aktuelle Konjunkturtrends:

Bis zum dritten Quartal 2024 verlangsamte sich das BIP-Wachstum gegenüber dem Vorjahresquartal auf 3,1 Prozent, nachdem es im zweiten Quartal noch 4,1 Prozent erreicht hat.

Die mit der Rüstungsproduktion verbundenen Industrien wachsen zwar weiterhin. Ihr  Wachstumstempo liegt aber weit unter dem Niveau des Vorjahres.

Andere Sektoren schwächeln: Die Rohstoffindustrie sieht sich aufgrund niedrigerer Kohlenwasserstoff-Exportpreise und Produktionskürzungen der OPEC+ mit einem Rückgang der Produktion konfrontiert. Auch die Produktion in der Landwirtschaft hat an Dynamik verloren.

Der Einzelhandel bleibt ein seltener Lichtblick, der von den Verbraucherausgaben getragen wird. Umfragen deuten jedoch auf eine Verlangsamung der Geschäftsaktivitäten  und steigende Inflationserwartungen sowohl bei Unternehmen als auch bei Haushalten hin.“

Überforderte russische Binnenwirtschaft: Der Rubel sinkt, die Inflation steigt

Prokopenko meint, die Grenzen der Produktionskapazität der russischen Wirtschaft seien deutlich erkennbar. Die Industrieanlagen seien zu 81 Prozent ausgelastet. 73 Prozent der Unternehmen meldeten einen Mangel an verfügbaren Arbeitskräften. Die Arbeitslosigkeit habe mit 2,3 Prozent einen Rekordtiefstand erreicht, schätzungsweise 1,6 Millionen Stellen seien nicht besetzt (siehe zu Angaben zur Kapazitätsauslastung der Industrie auch: Kommersant: Industry is growing with reserves, 25.12.24)

Da die russsische Binnenwirtschaft die staatlich angetriebene Nachfrage nicht befriedigen könne, wird die russische Wirtschaft, so Prokopenko, stärker von Importen abhängig. Dies wiederum erhöhe die Nachfrage nach Fremdwährungen. Der Rubel gerate so unter Abwertungsdruck und treibe die Inflation an.

Prokopenko: Russland treibt in eine „Stagnationsfalle“

Als Fazit hält Alexandra Prokopenko das von Russland entwickelte „neue Wirtschaftsmodell“ nicht für geeignet die chronischen Probleme, die die russische Wirtschaft seit langem plagten, zu lösen. Das erreichte Wirtschaftswachstum und die niedrige Arbeitslosigkeit vermittelten nur eine „Illusion von Stabilität“. Russlands Wirtschaftsmodell sei mit drei grundlegenden Hindernissen konfrontiert: dem Arbeitskräftemangel, erschöpften Produktionskapazitäten und stagnierenden Exporterlösen aufgrund der Sanktionen.

Prokopenko erwartet, dass die anhaltende Abhängigkeit vom Militärsektor die russische Wirtschaft in eine „Stagnationsfalle“ treibt, die durch geringes Wachstum und chronische interne Ungleichgewichte gekennzeichnet ist.

Einen „plötzlichen Zusammenbruch“ wie in den 1990er Jahren hält sie jedoch in Russland für unwahrscheinlich: Die Regierung verfüge noch immer über Ressourcen, um ein Mindestmaß an Ordnung und Kontrolle aufrechtzuerhalten.

Nikolai Kulbaka: Die Kriegskeynesianismus scheitert in Russland

Zu den Skeptikern hinsichtlich der Wachstumsaussichten der russischen Wirtschaft in den nächsten Jahren gehört auch der russische Ökonom Nikolai Kulbaka. Auch er erwartet aber „derzeit keine großen Implosionen“.

Kulbaka war als Professor an der Moskauer RANEPA-Hochschule („Russian Presidential Academy of National Economy and Public Administration“) tätig. Er ist Autor zahlreicher Artikel für das Internet-Magazin „Republic“, das von der russischen Regierung im Herbst 2021 als „ausländischer Agent“ eingestuft wurde (siehe Dekoder-Bericht). Es erscheint inzwischen als „Exilmedium“ (MDR: Wie russische Exilmedien ihre Landsleute erreichen).

Die russische Journalistin Tatiana Rybakova, ebenfalls Autorin für „Republic“, berichtet in dem von der „George Washington Universität“ veröffentlichten Internet-Magazin „Russia Post“ von einem Gespräch mit Nikolai Kulbaka zur Entwicklung des russischen „Kriegs-Keynesianismus“ („The End of ‘Military Keynesianism’ in Russia“).

Laut Kulbaka liegt der Grund für das Scheitern des „militärischen Keynesianismus“ in Russland darin, dass er nur dann gut funktioniert, wenn es viele freie Produktionskapazitäten und Arbeitskräfte gibt. Ein klassisches Beispiel dafür seien die USA. Dort hätten mit den Rüstungsausgaben während des Zweiten Weltkriegs Produktionskapazitäten und Arbeitskräfte eingesetzt werden können, die seit der „Großen Depression“ nicht mehr genutzt wurden.

Doch in Russland habe es schon vor 2022 in der Industrie keine großen freien Kapazitäten gegeben. Die Arbeitslosigkeit sei seit einem Jahrzehnt stetig gesunken. Zuletzt habe es bei einer Arbeitslosenquote von 2,3 Prozent praktisch keine Arbeitslosigkeit mehr gegeben.

Wie sich die Einschätzung der Kriegsfolgen in der Wirtschaft veränderte

Laut Nikolai Kulbaka kann man hinsichtlich der Einschätzung der wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges durch russische Unternehmen die folgenden drei Phasen unterscheiden:

In der ersten Hälfte des Jahres 2022 hatten die Unternehmen das Gefühl, dass der Krieg nicht lange dauern wird. Also beeilten sie sich, davon zu profitieren und die durch den Wegzug von westlichen Unternehmen und sanktionierte Einfuhren entstandenen Marktnischen zu besetzen. Ausscheidende ausländische Unternehmen hinterließen Produktionsressourcen.

Doch schon nach der „Mobilisierung“ zum Kriegsdienst im Herbst 2022 wurde den Unternehmen klar, dass sich der Krieg länger hinziehen würde. Damit begann die zweite Phase. Aus der staatlichen Haushaltsplanung gewannen die Unternehmen den Eindruck, dass enorm hohe Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit nur für 2023 und 2024 vorgesehen waren. In dieser Phase überschwemmten „Haushaltsspritzen“ die Wirtschaft mit Geld: Die Löhne stiegen, die Inflation und die Kosten stiegen, aber auch die Gewinne. Ende 2023/Anfang 2024 meinten viele Ökonomen, der „militärische Keynesianismus“ funktioniere, weil es viele Aufträge gab, die Länder des „globalen Südens“ auf der Seite Russlands standen, die Sanktionen überwunden waren und die umgeleiteten Logistikketten in Gang kamen.

Bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 begann diese Stimmung in der Wirtschaft in einer dritten Phase jedoch zu verblassen. Zu diesem Zeitpunkt fing die Zentralbank an, zur Bekämpfung der Inflation ihren Leitzins „aggressiv“ anzuheben. DieBRICS+-Staaten begannen, die westlichen Sanktionen brav zu befolgen, da sie nicht selbst sanktioniert werden wollten. Es wurde klar, dass sie eher auf der Seite des Westens standen. Die russische Wirtschaft erkannte, dass Investitionen aus dem Osten ausblieben, ebenso wie die Lieferung von Technologie. Nur einige Teile konnten noch auf Umwegen beschafft werden. Darüber hinaus erschwerten die Finanzsanktionen die Abwicklung von  Zahlungen.

Arbeitskräftemangel als vielleicht größtes Problem für die russische Wirtschaft

Nikolai Kulbaka hebt im Republic-Interview den Mangel an Arbeitskräften als das vielleicht größte Problem der russischen Wirtschaft hervor. Er sei „katastrophal“, obwohl die Zahl der Arbeitskräfte im „militärisch-industriellen Komplex“ nach seiner Einschätzung „nicht massiv“ zugenommen habe. Er gehe davon aus, dass die dort vorhandenen Arbeitskräfte eher gezwungen würden, länger zu arbeiten.

Die Erwerbsbevölkerung Russlands wird nach Angaben Kulbakas jedes Jahr aus demografischen Gründen um 300.000 bis 400.000 sinken. Der Krieg nehme dem Arbeitsmarkt jeden Monat weitere 20.000 bis 30.000 Arbeitskräfte weg (im Jahr also bis zu 360.000).

Der Mangel an Arbeitskräften habe die Löhne in die Höhe getrieben, folgert Kulbaka. Das bedeute für die Unternehmen geringere Gewinne. Die Schuldenlast der Unternehmen wachse. Man dürfe nicht vergessen, dass viele Unternehmen schon vor dem Krieg hoch verschuldet gewesen seien.

Der Arbeitskräftemangel in der Wirtschaft wird laut Kulbaka zudem durch ein anhaltendes Vorgehen gegen die Einwanderung von ausländischen Arbeitskräften verschärft, obwohl Migranten in einigen Branchen, wie etwa im Baugewerbe, den größten Teil der Belegschaft stellten. Es sei unmöglich, sie durch russische Staatsbürger zu ersetzen.

Als Fazit sieht Kulbaka die russische Wirtschaft an einem wichtigen Wendepunkt. Alle bisherigen Wachstumsmotoren seien erschöpft, negative Faktoren begännen gerade erst zu wirken. Er erwarte aber dennoch „derzeit keine großen Implosionen“.

Russische und deutsche Experten erwarten 2025 deutlich weniger Wachstum

Im gerade begonnenen Jahr 2025 wird Russlands starkes Wirtschaftswachstum laut im Januar veröffentlichten Analysten-Umfragen der Wirtschaftszeitung Vedomosti und der Nachrichtenagentur RIA Novosti um rund zwei Drittel auf nur noch rund 1,3 Prozent sinken. Ende Dezember erwarteten die Analysten bei Umfragen im Durchschnitt kaum mehr Wachstum für 2025 (Interfax-Umfrage: +1,5 Prozent; Reuters-Umfrage: +1,6 Prozent).

Diesen Umfrageergebnissen entsprechen auch die Einschätzungen der fünf führenden deutschen Konjunkturinstitute. Ihre Mitte Dezember veröffentlichten „Winterprognosen“ für das Wachstum der russischen Wirtschaft im Jahr 2025 reichen von 1,3 bis 1,7 Prozent (siehe Ostexperte.de). Die bekanntesten russischen Forschungsinstitute erwarten im neuen Jahr nur wenig mehr Wachstum:

Das Moskauer „Center for Macroeconomic Analysis and Short-term Forecasts, CMASF“ prognostiziert in seiner „Basisversion der Prognosen für 2024 bis 2027“, dass der Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts 2025 nur noch 1,5 bis 1,8 Prozent erreichen dürfte.

Das „Institute of Economic Forecasting of the Russian Academy of Sciences“ (IEF RAS) rechnet in diesem Jahr mit einem Rückgang des Wachstums auf 2,0 Prozent.

Sergey Drobyshevsky, Konjunkturexperte des „Gaidar Instituts für Wirtschaftspolitik“, meint in einer Mitte Dezember veröffentlichten Stellungnahme zur Konjunkturentwicklung 2024/2025, im wahrscheinlichsten Szenario könne 2025 ein Wachstum von 2,1 Prozent erreicht werden.

BIP-Prognosen 2024 bis 2026, Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

 202420252026
Vedomosti-Umfrage, Moskau10.01.25+ 1,3
RIA Novosti-Umfrage, Moskau04.01.25+3,9 bis +4,0+ 1,3
Reuters-Umfrage, Moskau und London27.12.24+ 3,9+ 1,6
Interfax-Umfrage, Moskau27.12.24+ 3,9+ 1,5
CMASF, Moskau20.12.24+3,7 bis +3,8+1,5 bis +1,8+ 1,5 bis +1,9
Allianz, München: Economic Outlook 2025-2619.12.24+ 2,8+ 1,8+ 2,0
IEF Russian Academy of Sciences16.12.24+ 3,9+ 2,0+ 2,9
 
Winterprognosen deutscher Institute
IfW Kiel12.12.24+ 3,9+ 1,5+ 1,0
RWI Essen12.12.24+ 3,8+ 1,3+ 1,3
DIW Berlin12.12.24+ 3,5+ 1,7+ 1,5
Ifo Institut München12.12.24+ 3,5+ 1,6+ 0,5
Institut für Wirtschaftsforschung Halle12.12.24+ 3,5+ 1,3+ 1,0
Zentralbank-Umfrage vor Leitzinsentscheid11.12.24+ 3,8+ 1,5+ 1,7
Russische Zentralbank, mittelfr. Prognose25.10.24+3,5 bis +4,0+0,5 bis +1,5+1,0 bis +2,0
Internationaler Währungsfonds22.10.24+ 3,6+ 1,3
Weltbank, Washington17.10.24+ 3,2+ 1,6+ 1,1
Wirtschaftsministerium Russlands06.09.24+ 3,9+ 2,5+2,6

Podcast-Tipps zu Russland:

Wir empfehlen den Podcast Zaren.Daten.Fakten. Der Podcast zur russischen Wirtschaft. Deutsch-Russische Auslandshandelskammer.

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Weitere Lesetipps und Quellen zu Russlands Wirtschaft im PDF-Dokument.

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