Frühjahrsprognosen: Wachstum in Russland und Osteuropa

Frühjahrsprognosen im Vergleich: Wachstum in Russland, in Mittel- und Osteuropa und in Deutschland

In der letzten Woche haben führende deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute und das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche neue Konjunkturprognosen veröffentlicht. Sie geben auch Hinweise zur Entwicklung der russischen Wirtschaft. Wir haben die Prognosen insbesondere im Hinblick auf folgende Fragen ausgewertet:

  • Wie stark wird die russische Wirtschaft voraussichtlich wachsen?
  • Wie entwickelt sich das Wachstum in Russland im Vergleich mit den Staaten in Mittel- und Osteuropa?
  • Was sagen die Institute zum Wirtschaftswachstum in Deutschland?

Abschließend außerdem: Welche Hauptaufgaben die russische Wirtschaftspolitik nach Meinung von Präsident Putin jetzt anpacken muss, um für mehr Wachstum zu sorgen – und wie skeptisch der Moskauer Carnegie Think Tank die Chancen für eine nachhaltige Wachstumsbelebung sieht.

Wachstum der russischen Wirtschaft: Oreschkin gibt sich optimistisch

Wirtschaftsminister Oreschkin bekräftigte am letzten Donnerstag in einer Rede beim russischen Unternehmerverband seine schon Mitte Februar geäußerte Einschätzung, die russische Wirtschaft werde in diesem Jahr um 2 Prozent wachsen. Ähnlich optimistisch äußerten sich allerdings bisher nur die Konjunkturforscher der Higher School of Economics. Sie halten 2017 ein Wachstum von 1,9 Prozent für möglich – aber nur bei einem Anstieg des Ölpreis auf 55 Dollar/Barrel im Jahresdurchschnitt (in den ersten zwei Monaten betrug er 53,32 Dollar; + 80 Prozent gegenüber Januar/Februar 2016).

Weit oben im Prognose-Spektrum liegt auch die am letzten Donnerstag veröffentlichte Frühjahrsprognose des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Die österreichischen Forscher glauben, das Wachstum in Russland werde in diesem Jahr auf 1,7 Prozent anziehen, dieses Tempo 2018 halten und 2019 auf 2,0 Prozent steigen.

Deutsche Institute deutlich skeptischer als russische Regierung

Von den deutschen Konjunkturforschungsinstituten, die im März im Rahmen ihrer Frühjahrsprognosen zur deutschen Wirtschaft auch Einschätzungen zur russischen Wirtschaft vorlegten, teilt nur das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) den Optimismus, Russlands Wirtschaft werde in diesem Jahr um 1,7 Prozent wachsen. Die anderen drei Institute glauben, sie werde 2017 mit 1,0 Prozent (RWI Essen) oder 1,1 Prozent (DIW Berlin und IfW Kiel) nur etwa halb so stark wachsen wie Minister Oreschkin erwartet.

IfW Kiel: Russland fehlen Voraussetzungen für „dynamische Erholung“

Das Institut für Weltwirtschaft konstatiert zwar eine Aufwärtsentwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion und einen Rückgang der Inflation. Auch bei einer weiteren Lockerung der Geldpolitik werde sich das Wachstum aber selbst 2018 nur auf 1,5 Prozent erhöhen. Hauptgrund: Russlands Wirtschaftspolitik ist nach Ansicht der Kieler Forscher nicht geeignet, das Vertrauen der Investoren zu gewinnen:

„Im zweiten Halbjahr 2016 war das Bruttoinlandsprodukt offenbar wieder aufwärts gerichtet. Im vierten Quartal trug hierzu insbesondere eine wieder spürbar steigende Industrieproduktion bei. Für das gesamte Jahr weist das russische Statistikamt einen nur noch leichten Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion aus, nach einem Einbruch um 2,8 Prozent im Jahr zuvor. …

Die Stabilisierung der Wirtschaft wurde begleitet von einer Aufwertung des Rubel, der gegenüber dem US-Dollar seit Februar 2016, als er ein historisches Tief erreicht hatte, um fast 25 Prozent aufgewertet hat. In der Folge ließ auch der Preisauftrieb nach, die Inflationsrate ist von rund 15 Prozent am Beginn des vergangenen Jahres auf zuletzt nur noch 5 Prozent gefallen. Die russische Notenbank hat ihren Leitzins zuletzt im September gesenkt und seither auf dem Stand von 10 Prozent belassen. Wir erwarten angesichts des deutlichen Rückgangs der Inflation, dass in den kommenden Monaten eine weitere Lockerung der Geldpolitik erfolgt.

Dies wird aber wohl nicht dazu führen, dass sich die Wirtschaft dynamisch erholt. Hierfür fehlen auch weiterhin die Voraussetzungen angesichts einer Politik der Regierung, die nicht geeignet ist, das Vertrauen der Investoren, insbesondere auch aus dem Ausland, zu gewinnen. Hinzu kommt, dass gegenwärtig die Ölproduktion gedrosselt wird, um im Verein mit der OPEC und anderen Förderländern den Angebotsüberhang am Ölmarkt zu beseitigen.

Auch angesichts einer Finanzpolitik, die bei dem der Prognose zugrunde gelegten nur geringfügig höheren Ölpreis weiterhin restriktiv ausgerichtet sein wird, erwarten wir für das russische Bruttoinlandsprodukt in den Jahren 2017 und 2018 nur moderate Zuwächse von 1,1 bzw. 1,5 Prozent.“

Etwas zuversichtlicher äußerten sich zuletzt die meisten Bank-Analysten. Sie rechnen im Durchschnitt für 2017 mit einem Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent (FocusEconomics-Umfrage) oder 1,4 Prozent (Economist-Umfrage). 2018 halten sie eine weitere Beschleunigung auf 1,7 bis 1,8 Prozent für wahrscheinlich.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der gestern eine Aktualisierung seines Jahresgutachtens veröffentlichte, rechnet auch mit etwas mehr Wachstum in Russland als die Forschungsinstitute IfW, DIW und RWI.

Prognosen gesamtwirtschaftliche Produktion in Russland

Schätzung des Bruttoinlandsprodukts, real gegenüber dem Vorjahr, angegeben in Prozent (Stand: 21. März 2017).
InstitutDatum201620172018
Sachverständigenrat2017/03/20-0,61,41,8
Standard & Poor‘s2017/03/17-0,21,51,7
Raiffeisen Bank International, Wien2017/02/17-0,21,01,5
Commerzbank, Frankfurt2017/03/17-0,61,32,0
Wirtschaftsminister Oreschkin2017/03/16- 0,22,0
WIIW Wien2017/03/16-0,21,71,7
DIW Berlin2017/03/15-0,21,11,5
RWI Essen2017/03/15-0,21,01,5
IWH Halle2017/03/15-0,41,71,8
Economist Intelligence Unit, London2017/03/15-0,20,91,3
OPEC2017/03/14-0,20,9
GTAI2017/03/14-0,21,2 – 1,7
Kieler Institut für Weltwirtschaft2017/03/09-0,21,11,5
Economist-Umfrage2017/03/091,41,8
Deutsche Bank, Frankfurt2017/03/09-0,21,62,0
Deka Bank, Frankfurt2017/03/08-0,21,21,4
FocusEconomics Consensus Forecast2017/03/07-0,21,31,7
Berenberg Bank, Hamburg2017/03/03-0,31,72,1
Reuters-Umfrage2017/03/021,2
VTB-Deputy President Moos2017/03/011,5
Higher School of Economics-Poll2017/02/151,5; 1,9 (50 $; 55 $/b)
EU-Kommission2017/02/13-0,60,81,1
Bloomberg-Umfrage2017/02/09-0,51,11,5
SEB, Stockholm2017/02/07-0,21,01,5
Higher School of Economics2017/02/07-0,21,5; 1,9 (50 $; 55 $/b)
BNP Paribas, Paris2017/01/31-0,51,02,5
Russian Academy of Sciences2017/01/30-0,61,61,2
Eurasian Development Bank2017/01/27-0,60,81,4
Gaidar Institute;
Basis-Szenario
2017/01/25-0,61,4 (50 $/b)2,2 (50 $/b)
Gaidar Institute; konservatives Szenario2017/01/25-0,60,6 (40 $/b)1,7 (40 $/b)
IWF2017/01/16-0,61,11,2
Weltbank2017/01/11-0,61,51,7
Zentralbank,
Basis-Szenario
2016/12/22- 0,5 bis -0,7 (41 $/b)0,5 bis 1,0 (40 $/b)1,5 bis 2,0 (40 $/b)
Wirtschaftsministerium,
Basis Plus-Szenario; Duma-Vorlage
2016/10/28-0,6 (41$/b)1,1 (48$/b)1,8 (52$/b)
Wirtschaftsministerium,
Basis-Szenario; Duma-Vorlage
2016/10/28-0,6 (41$/b)0,6 (40$/b)1,7 (40$/b)

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Bald neue Szenarien von Wirtschaftsministerium und Zentralbank

Im letzten Basisszenario der russischen Regierung, das im Oktober der Haushaltsplanung zugrunde gelegt wurde, wurde davon ausgegangen, dass sich die russische Wirtschaft bei einem Ölpreis von nur 40 Dollar/Barrel 2017 nur um 0,6 Prozent erholt. Angesichts der inzwischen von Minister Oreschkin wiederholt geäußerten Wachstumserwartung von 2 Prozent wird das Ministerium in seinen neuen Szenarien, die bis Ende März erstellt werden sollen, vermutlich von einem deutlich stärkeren Wachstum ausgehen.

Die Zentralbank wird wohl schon vorher anlässlich der Sitzung des Zentralbankrates am 24. März neue Prognosen vorlegen. Ihr Basisszenario vom Dezember geht – ähnlich wie die Regierung – bei einem Ölpreis von 40 Dollar/Barrel von einem Wachstum um 0,5 bis 1,0 Prozent aus.

Finanzminister Siluanow ließ am Rande des Treffens der Finanzminister und Zentralbankpräsidenten der G-20 Staaten in Baden-Baden laut TASS bereits verlauten die Wachstumsprognose der Regierung für 2017 werde von 0,6 Prozent auf 1,5 bis 2 Prozent angehoben.

Wachstum in Russland deutlich langsamer als in Mittel- und Osteuropa

Das WIIW rechnet in seiner neuen Frühjahrsprognose im Vergleich mit anderen Prognosen zur russischen Wirtschaft zwar mit einem überdurchschnittlich starken Anziehen des Wachstums. Selbst bei dem erwarteten Produktionsanstieg um 1,7 Prozent in den beiden kommenden Jahren und 2,0 Prozent im Jahr 2019 wird Russland den Wiener Forschern zufolge aber deutlich hinter den Zuwächsen der Staaten in Mittel- und Osteuropa und der Türkei zurückbleiben. Ähnlich schwach wie Russland werde voraussichtlich nur die Wirtschaft im benachbarten Weißrussland wachsen.

Rumänien wächst doppelt so stark wie Russland

Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber Vorjahr in Prozent

Rumänien wächst doppelt so stark wie Russland
WIIW: Vorsichtiger Aufschwung in MOSOE: verfolgt vom Gespenst der Ungewissheit; 16.03.2017. Lesetipp dazu: Leopold Stefan: Wann wird die Politik den Osteuropaboom abwürgen? nzz.at, 17.03.

Russland wächst 2017/2018 aber nicht schwächer als Deutschland

Andererseits entsprechen die in der jüngsten FocusEconomics-Umfrage für Russland erwarteten Wachstumsraten von 1,3 Prozent (2017) und 1,7 Prozent (2018) fast genau dem voraussichtlichen Wachstum der deutschen Wirtschaft. Die in der Tabelle aufgeführten deutschen Forschungsinstitute rechnen im Durchschnitt in ihren Prognosen 2017 mit einer Abschwächung des Wachstums in Deutschland von 1,9 Prozent auf 1,4 Prozent. 2018 erwarten sie auch in Deutschland eine leichte Belebung auf 1,7 Prozent.

Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft

Bruttoinlandsprodukt, real; Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent (Stand: 21. März 2017)
InstitutDatum201620172018
Durchschnitt1,91,41,7
DIW, Berlin2017/03/151,41,7
RWI, Essen2017/03/151,31,8
IWH, Halle2017/03/151,31,6
IfW, Kiel2017/03/091,72,0
HWWI, Hamburg2017/03/061,11,6
ifo Institut, München2016/12/161,51,7

Quellen: BDA: Prognosen des Bruttoinlandsprodukts 2017 und 2018; 15.03.2017; Dow Jones: Prognose-BIP-Entwicklung Deutschland 2017 bis 2019; tradesignalonline, 15.03.2017

Dass die deutsche Wachstumsrate im laufenden Jahr voraussichtlich um einen halben Prozentpunkt unter dem 2016 erreichten Anstieg um 1,9 Prozent liegen dürfte, ist übrigens nach Angaben des IWH rund zur Hälfte auf die geringere Zahl von Arbeitstagen zurückzuführen. Berücksichtigt man diesen „Kalendereffekt“ wächst die deutsche Wirtschaft also weiterhin sehr stetig.

Putin fordert Wachstum über dem globalen Durchschnitt

Wenn Russland seinen Anteil an der Produktion der Weltwirtschaft steigern will, dürfen die relativ niedrigen Wachstumsraten der deutschen Wirtschaft, die ein sehr hohes Wohlstandsniveau erreicht hat, für Russland jedoch kein Orientierungsmaßstab sein. Präsident Putin unterstrich in seiner Rede vor dem Industriellen- und Unternehmerverband in der letzten Woche das Ziel, das Wachstum der russischen Wirtschaft bis 2019/2020 so stark zu beschleunigen, dass die russische Wirtschaft schneller als die Weltwirtschaft wächst (die 2016 laut IfW einen Produktionsanstieg um 3,1 Prozent verzeichnete).

Als wichtigste wirtschaftspolitische Aufgaben nannte Putin eine „strukturelle Transformation“ der Wirtschaft, eine substantielle Steigerung der Arbeitsproduktivität, die beschleunigte Entwicklung und Anwendung modernster Technologien sowie Verbesserungen des Geschäftsklimas, um Investitionen anzuziehen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Maßnahmen für mehr Wachstum würden von der Regierung vorbereitet.

Viel Skepsis beim „Carnegie-Zentrum“: Wachstum ist „nicht nachhaltig“

Ob die Reformpläne angesichts der bevorstehenden Präsidentenwahl rasch umgesetzt werden, dürfte aber von vielen Experten bezweifelt werden. Besonders skeptisch äußerte sich kürzlich der Ökonom Andrej Mowtschan vom Moskauer Think Tank „Carnegie-Zentrum“ in einem Interview mit dem Schweizer Radio.

Bereits das bisher erreichte Wirtschaftswachstum sei nicht nachhaltig. Die kürzlich veröffentlichten Wachstumsdaten hätten sich nur verbessert, weil der Ölpreis gestiegen sei – und die Regierung mehr Geld für Waffen ausgebe. Zudem habe die Statistikbehörde die Methode geändert, mit der sie das Bruttoinlandsprodukt berechnet. Auch deswegen würden die Zahlen günstiger aussehen.

Das russische Wirtschaftswachstum beruhe auf einmaligen Effekten. „Gäbe es diese Effekte nicht, würde die Wirtschaft weiter schrumpfen“ meinte Mowtschan sogar. Russland leide an einer „strukturellen Rezession“. Das Hauptproblem sieht er im politischen System.

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