Ukraine: Stimmen und Reaktionen nach Selenskys Sieg

Reaktionen auf die Präsidentschaftswahl in der Ukraine

Mit knapp 73 Prozent der Stimmen hat der Schauspieler und studierte Jurist Wolodymyr Selensky den amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko (etwa 26 Prozent) deutlich abgehängt. Der 41-Jährige hat damit das beste Ergebnis in der Geschichte der Präsidentenwahlen in der unabhängigen Ukraine eingefahren. 

Die Experten sind sich einig: die Wahl Selenskys war vor allem eine Abwahl Poroschenkos. In fünf Jahren Amtszeit konnte der amtierende Präsident das Leben der Ukrainer nicht verbessern. Die Ukraine ist nach Angaben des IWF das ärmste Land Europas. Als Milliardär steht Poroschenko für das Establishment und die verhasste, als korrupt geltende Elite. Die Ukrainer setzen nun auf ein politisch unverbrauchtes Gesicht und auf Pragmatismus: Eine Verbesserung der Lebensumstände und ein Frieden im Osten schienen den Wählern wichtiger als die von Poroschenko propagierte Nato-Annäherung und nationalistische Parolen.

Russlands Blick auf die Wahlen

In Russland hatte man sich stark für den Ausgang der ukrainischen Wahlen interessiert. Der Plattform “Dekoder” zufolge nicht ohne einen gewissen Neid: Eine Wahl mit überraschendem Ergebnis und einem unbeschriebenen Kandidaten sei in Russland undenkbar.

Es ist nach wie vor unklar, welche Bedeutung Selenskys Sieg nun für das Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland hat. In beiden Ländern erhoffen sich Menschen durch ihn bessere Chancen im Friedensprozess. Selensky stammt aus einem russischsprachigen Teil der Ukraine, wirkte als Darsteller auch in vielen russischen Filmen mit. Er gilt als weniger nationalistisch als Poroschenko, dem man nachsagt, die russische Kultur im Land verdrängen zu wollen.

Viele im Ausland lebende Ukrainer hatten wiederum befürchtet, Selensky wolle sich nun Russland annähern und stimmten für Poroschenko. In der Endphase des Wahlkampfes hatte sich dieser als Verteidiger der Ukraine gegen Putins Russland inszeniert.
Doch auch Selensky positionierte sich klar gegen den Kreml. Kurz vor der Stichwahl nannte er Russlands Präsidenten “selbstverständlich” einen “Feind” und schloss einen Sonderstatus für die Kriegsgebiete in der Ostukraine aus. Nach seinem Sieg verlautete er, er wolle „eine starke, mächtige, freie Ukraine aufbauen, die nicht die jüngere Schwester Russlands ist, die nicht ein korrupter Partner Europas ist, sondern unsere unabhängige Ukraine.“

Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew verkündete auf Facebook, nach dem Wahlsieg von Selenskyj bestehe “eine Chance, die Zusammenarbeit mit unserem Land zu verbessern”. Der russische Präsident Putin schwieg bislang zu dem Thema.

Staatsoberhäupter gratulieren

In einer am Vormittag veröffentlichten Pressemitteilung lud Bundeskanzlerin Angela Merkel den designierten Präsidenten nach Berlin ein. Die Stabilisierung der Ukraine sowie eine friedliche Konfliktlösung liege ihr ebenso am Herzen wie die Durchführung zentraler Reformen der Justiz, der Dezentralisierung sowie der Korruptionsbekämpfung, hieß es in der Mitteilung. Die Bundesregierung werde der Ukraine “insbesondere in ihrem Recht auf Souveränität und territoriale Integrität auch in Zukunft tatkräftig zur Seite stehen”.
Der französische Präsident Macron und US-Präsident Trump beglückwünschten Selensky am Telefon. Auch hochrangige Vertreter von EU und Nato ließen ihre Unterstützung und Glückwünsche verlauten.
Experten zufolge hätte man sich in Brüssel lieber den bereits bekannten Poroschenko gewünscht, als das politisch unbeschriebene Blatt Selensky.

Deutsche Medien kommentieren

Die ZEIT sieht in Selenskys Sieg einen “weiteren Schritt in Richtung rechtstaatliche Demokratie”. Sie lobte den Ablauf der Wahlen, die Anerkennung des Ergebnisses durch den Verlierer und die Besonnenheit der Ukrainer trotz der schwierigen Umstände. Andere Töne schlug die Süddeutsche Zeitung an: Sie nennt Selenskys Sieg den “Ausdruck eines kranken politischen Systems”. Die Medienlandschaft in der Ukraine befinde sich in den Händen von Oligarchen, denen Selensky seinen Sieg zu verdanken habe. Reformwillige, hoffnungsfrohe Kandidaten gebe es seit Jahren – nur bekomme von ihnen niemand etwas mit. Im Vorfeld war viel spekuliert worden, inwieweit Selensky abhängig sei von dem umstrittenen Oligarchen Ihor Kolomoisky, der dessen Wahlkampf finanzierte.

Das ukrainische Parlament wird nach wie vor von Abgeordneten aus dem Poroschenko-Lager dominiert. Sofern es nicht zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, wird es im Oktober wieder neu besetzt.

Titelbild
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