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Strategische Wende: Europas neuer Kurs in Zentralasien


Mit dem ersten Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und den zentralasiatischen Staaten Anfang April 2025 in Samarkand wurde ein geopolitischer Meilenstein gesetzt. Der EU Zentralasien Gipfel 2025 markierte den Beginn einer neuen Partnerschaft zwischen beiden Regionen – wirtschaftlich, politisch und technologisch. Im Zentrum des Treffens standen nachhaltige Investitionen, strategische Rohstoffe und die Rolle Zentralasiens als Schnittstelle zwischen Europa, China und Russland. In einer Zeit globaler Unsicherheiten sendet die EU damit ein klares Signal: Zentralasien ist kein weißer Fleck mehr auf der außenpolitischen Landkarte Europas, sondern ein Schlüsselpartner der Zukunft.


Neuer Anlauf für eine strategische Partnerschaft

Am 3. und 4. April 2025 trafen sich in Samarkand hochrangige Vertreter der Europäischen Union und der fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan und Turkmenistan. Mit dabei: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Präsident des Europäischen Rates, António Costa. Es war das erste Gipfeltreffen dieser Art – und es markierte einen Neubeginn.

Zentralasien rückt zunehmend in den Fokus der EU-Politik. In einer Region, in der China und Russland traditionell stark vertreten sind, will Europa neue Allianzen und Kooperationsmodelle aufbauen. Der Gipfel war ein Erfolg für beide Seiten: Der Grundstein für langfristige Projekte und Partnerschaften wurde gelegt.

Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen und Präsident der Republik Kasachstan Kassym-Schomart Tokajew in Verhandlungen (Foto @aqorda_press, Pressedienst des Präsidenten der Republik Kasachstan)

Europas neue geopolitische Strategie – Die Eckpfeiler

Unabhängigkeit stärken: Europa will sich von Energie- und Rohstoffabhängigkeiten (v. a. gegenüber Russland und China) lösen.
Diversifizierung fördern: Neue Lieferländer, alternative Handelsrouten und resiliente Wertschöpfungsketten stehen im Fokus.
Global Gateway statt Belt & Road: Mit Investitionen in nachhaltige Infrastruktur bietet die EU eine Alternative zu Chinas Einfluss.
Geopolitik durch Wirtschaft: Investitionen, Handelsabkommen und Technologietransfer werden als strategische Werkzeuge genutzt.
Partnerschaft auf Augenhöhe: Die EU setzt auf faire, langfristige Zusammenarbeit – basierend auf gemeinsamen Werten.
Fokus auf Zukunftsthemen: Künstliche Intelligenz, grüne Energie, Bildung und Forschung sind Schlüsselfelder der Kooperation.

12-Milliarden-Euro-Paket: Die EU setzt auf Infrastruktur und Rohstoffe

Im Rahmen der Investitionsstrategie „Global Gateway“ kündigte Ursula von der Leyen ein Investitionspaket in Höhe von 12 Milliarden Euro an. Ziel ist es, die Infrastruktur, Digitalisierung, Energieversorgung und Konnektivität der Region zu stärken. Insbesondere Investitionen in den Transport, kritische Rohstoffe, saubere Energie und digitale Vernetzung stehen im Mittelpunkt.

Zentralasien spielt eine immer wichtigere Rolle als Rohstofflieferant – von Öl und Gas über Uran bis hin zu seltenen Erden, die für moderne Technologien wie Windkraftanlagen, Smartphones oder Elektroautos unverzichtbar sind. Durch den Ukraine-Krieg und die gestörten Lieferketten ist das Interesse der EU an alternativen Bezugsquellen massiv gestiegen.

Stabilität und Eigenständigkeit als Botschaft aus der Region

Die zentralasiatischen Staatschefs betonten während des Gipfels zwei Kernbotschaften: Erstens sei Zentralasien heute eine stabile, geeinte Region mit funktionierenden nachbarschaftlichen Beziehungen. Zweitens werde man als verlässlicher Partner wahrgenommen – sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch.

Zentralasien sieht sich selbst zunehmend als aktiver Mitgestalter auf der internationalen Bühne – nicht als bloßes Spielfeld der Großmächte. Die Region will nicht zwischen Russland, China und Europa zerrieben werden, sondern ihre strategische Lage selbstbestimmt nutzen.

Kasachstan: Der Schlüsselstaat der Region

Besonders im Fokus stand Kasachstan. Das Land gilt als wirtschaftliches Schwergewicht in der Region – mit Abstand größter Handelspartner der EU. Über 40 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Kasachstan stammen aus der EU, das Handelsvolumen liegt bei rund 50 Milliarden US-Dollar.

Präsident Kassym-Schomart Tokajew kündigte auf dem Gipfel an, die Exporte in die EU auf über zwei Milliarden US-Dollar in 175 Produktkategorien steigern zu wollen. Dabei geht es nicht nur um Rohstoffe: Auch der Ausbau grüner Energie, der Bau neuer Transportrouten und technologische Kooperationen stehen auf der Agenda.

Einigung beim eu-Zentralasien-Gipfel von Präsident der Republik Kasachstan Kassym-Schomart Tokajew und Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen
Einigung von Präsident der Republik Kasachstan Kassym-Schomart Tokajew und Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen (Foto @aqorda_press, Pressedienst des Präsidenten der Republik Kasachstan)

Der Gipfel wird die Handelsbeziehungen vertiefen und die Zusammenarbeit in den Bereichen Transport, kritische Rohstoffe, digitale Konnektivität, Wasser und Energie ausweiten.

Ursula von der Leyen (Präsidentin der Europäischen Kommission)

Neue Transportkorridore und grüne Energie

Kasachstan, Usbekistan und Aserbaidschan entwickeln gemeinsam eine neue Stromtrasse über das Kaspische Meer, um grüne Energie nach Europa zu liefern. Gleichzeitig wird der sogenannte „Mittlere Korridor“ – eine alternative Handelsroute über das Kaspische Meer, den Südkaukasus und die Türkei – ausgebaut, da die bisherigen Wege über Russland oder den Iran geopolitisch blockiert sind.

Kasachstan produziert 19 von 34 für die EU strategisch wichtigen Rohstoffen, darunter Uran, Kupfer, Lithium und Kobalt. Die Zusammenarbeit mit europäischen Unternehmen wie Total, Eni und Svevind beim Ausbau erneuerbarer Energien sowie der grünen Wasserstoffproduktion wird intensiviert.

Zentralasien im globalen Kräftemessen: EU vs. Russland vs. China

Russland – historischer Einfluss, aber bröckelnde Bindung
Stärken:
* Sprachliche, kulturelle und wirtschaftliche Nähe (v. a. durch die Zeit der Sowjetunion)
* Militärische Präsenz (z. B. in Tadschikistan, Kirgistan)
* Informelle politische Netzwerke
Schwächen:
* Vertrauensverlust durch den Krieg in der Ukraine
* Wirtschaftlich durch Sanktionen geschwächt
* Abhängigkeit der Partner von russischer Infrastruktur wird zunehmend als Risiko gesehen
Tendenz: Russland verliert an Einfluss – nicht abrupt, aber stetig. Selbst traditionelle Partner wie Kasachstan suchen vorsichtige Distanz.

China – der dominante Investor
Stärken:
* Massive Investitionen in Infrastruktur (Belt and Road Initiative)
* Handelsvolumen weit über dem der EU
* Präsenz in Energie, Bergbau, Logistik, Telekommunikation
Schwächen:
* Wachsende Skepsis in der Bevölkerung wegen Schuldenabhängigkeit
* Wenig Interesse an politischem Dialog oder gesellschaftlicher Entwicklung
* Hohes strategisches Misstrauen gegenüber China (v. a. in Kasachstan & Kirgistan)
Tendenz: China bleibt wirtschaftlich dominant – wird aber zunehmend als übermächtig wahrgenommen, was Türen für europäische Angebote öffnet.

Die EU – spät, aber mit starkem Hebel
Stärken:
* Größter Handelspartner Kasachstans
* Nachhaltige Investitionen mit Fokus auf Resilienz, Umwelt und Bildung
* Politisch kalkulierbarer, wertbasierter Partner
* Kein koloniales oder geopolitisch dominantes Erbe
Schwächen:
* Bisher geringe Sichtbarkeit in der Region
* Langsame Umsetzung großer Projekte
* Kein einheitliches außenpolitisches Auftreten (z. B. unterschiedliche Interessen einzelner EU-Staaten)

Innovationsstandort Zentralasien: Technologie und Bildung

Auch in der digitalen Transformation will sich Kasachstan stärker als Partner Europas positionieren. Ein Internationaler Beirat für Künstliche Intelligenz wurde gegründet, ein Innovationscampus „Zentralasien–EU“ ist im Aufbau. Ein Ausbildungsprogramm für 100.000 IT-Fachkräfte wurde gestartet, unterstützt von EU-Programmen wie Erasmus+.

Parallel dazu wurde die Einrichtung eines regionalen Forschungszentrums für seltene Erden vorgeschlagen. Schwerpunktbereiche sollen neben KI auch Wasserressourcenmanagement und Biotechnologie sein.

Foto von USGS auf Unsplash

„Zentralasien und die Europäische Union sind traditionelle Partner, und die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit nimmt weiter zu.“

Schawkat Mirsijojew, Präsident der Republik Usbekistan

Internationale Sicherheit und globale Verantwortung

Der Gipfel griff auch sicherheitspolitische Themen auf. Präsident Tokajew rief zur Achtung der UN-Charta und des Völkerrechts auf. Er sprach sich für diplomatische Lösungen internationaler Konflikte aus – auch im Hinblick auf die Ukraine. In einer Welt im Umbruch will Kasachstan als Vermittler auftreten und Stabilität garantieren.

Präsident der Republik Kasachstan Kassym-Schomart Tokajew und der Präsident des Europäischen Rates, António Costa (Foto @aqorda_press, Pressedienst des Präsidenten der Republik Kasachstan)

Fazit: Europa entdeckt Zentralasien neu

Der EU-Zentralasien-Gipfel in Samarkand war mehr als ein diplomatisches Signal. Er zeigt, dass Europa bereit ist, geopolitisch neu zu denken – und dabei Länder einzubinden, die bislang unter dem Radar liefen. Zentralasien entwickelt sich vom Randgebiet zum Brückenbauer zwischen Europa und Asien. Die Europäische Union hat erkannt, dass wirtschaftliche Interessen, Rohstoffsicherheit und globale Verantwortung in dieser Region Hand in Hand gehen. Jetzt kommt es darauf an, die Ankündigungen in konkrete Projekte zu übersetzen.

Foto von Marjan Blan auf Unsplash

Vorschau:
Astana International Forum 2025: Bühne für Partnerschaften und Perspektiven der Zukunft

Am 29. und 30. Mai 2025 wird Astana Gastgeber des Astana International Forum (AIF2025) – dem größten Wirtschaftsevent der Region, das Entscheidungsträger, Investoren und Experten aus aller Welt zusammenbringt. Unter dem Motto „Connecting Minds, Shaping the Future“ stehen Themen wie internationale Sicherheit, Energie, Klimawandel sowie Wirtschaft und Finanzen im Mittelpunkt.

Rund 600 internationale Gäste, darunter führende Politiker, Vertreter internationaler Organisationen und Unternehmenslenker, werden erwartet. Das Forum bietet Raum für offenen Dialog, fördert Investitionen und unterstützt Initiativen für nachhaltiges Wachstum. Begleitet wird das AIF von bilateralen Wirtschaftsforen mit Frankreich und Italien, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit vertiefen sollen.

Es verspricht, ein bedeutender Impulsgeber für globale Partnerschaften und nachhaltige Entwicklung zu werden.

Bekanntmachungen seit dem Gipfel

Gemeinsame Erklärung zur strategischen Partnerschaft
Die EU und die fünf zentralasiatischen Staaten haben eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, in der sie ihre Zusammenarbeit in folgenden Bereichen vertiefen wollen:​
* Ausbau nachhaltiger Transportverbindungen, insbesondere durch die Unterstützung der Koordinierungsplattform für den Transkaspischen Transportkorridor.
* Bekämpfung des Klimawandels durch den Beitritt aller zentralasiatischen Partner zur Global Methane Pledge.
* Innovative Wasser-Energie-Kooperation, um den Schutz und die effiziente Nutzung von Wasserressourcen sicherzustellen.
* Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, einschließlich der Unterstützung der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien. ​SEAE+2centralasianlight.org+2International Partnerships+2

Fortschritte bei Global Gateway-Initiativen
Im Rahmen der Global Gateway-Strategie wurden mehrere Projekte angekündigt:​
Transkaspischer Transportkorridor: Entwicklung eines nachhaltigen Verkehrskorridors zur Verbesserung der Handelsverbindungen zwischen Zentralasien und Europa.
Kooperation bei kritischen Rohstoffen: Unterzeichnung eines Vertrags über 3 Millionen Euro zur Förderung gemeinsamer Projekte und nachhaltiger Lieferketten im Bereich kritischer Rohstoffe.
Digitale Konnektivität: Initiativen wie das „Connectivity for Central Asia (C4CA)“-Projekt und das „Satellite Connectivity for Underserved Populations of Central Asia“-Projekt sollen den Zugang zu Hochgeschwindigkeitsinternet in der Region verbessern. ​International Partnerships+1centralasianlight.org+1

Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit im Fokus
Trotz des wirtschaftlichen und geopolitischen Schwerpunkts des Gipfels wurde auch die Bedeutung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit betont. Die EU wurde aufgefordert, demokratische Werte und bürgerliche Freiheiten nicht zu vernachlässigen, insbesondere angesichts von Bedenken hinsichtlich restriktiver NGO-Gesetze in Kirgisistan und Zwangsumsiedlungen in Usbekistan.


Über den Autor:

Dipl. Chem. Christian Grosse ist Gründer und President der Organisation Open International Dialogue, einer internationale Plattform zur Förderung des direkten Dialogs zwischen den Disziplinen Politik, Wirtschaft, Kunst, Kultur, Sport, Bildung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Ebenso ist er Landesvorsitzender des Bundesverbandes Liberaler Mittelstand Berlin e.V...

Dipl. Chem. Christian Grosse ist Gründer und President der Organisation Open International Dialogue


Fotos @aqorda_press (Pressedienst des Präsidenten der Republik Kasachstan)

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