SPIEF 2019: Wie Russland für Wachstum sorgen will

Was Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin für mehr Wachstum tun will

Im Zentrum der russischen Wirtschaftspolitik steht immer wieder die Frage, wie das schwache Wachstum der Wirtschaft beschleunigt werden kann. Das zeigt auch der Titel einer Diskussion beim Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg am Donnerstag: „The Russian Economy seeking ways to boost growth“. Teilnehmer waren unter anderem Wirtschaftsminister Oreschkin, Rechnungshof-Präsident Kudrin, Zentralbank-Präsidentin Nabiullina und Finanzminister Siluanow.

Kurz vor dem Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg war Wirtschaftsminimister Maxim Oreschkin am 03. Juni zu einem Gespräch bei Staatspräsident Putin geladen. Der Minister informierte den Staatspräsidenten bei diesem „Arbeitstreffen“ über die aktuelle Wirtschaftslage und die wichtigsten Entwicklungen der Volkswirtschaft wie das Ministerium in einer Pressemitteilung berichtete.

Oreschkins Prognose: Die Inflation sinkt, das Wachstum zieht an

Oreschkin zeichnete im Gespräch mit Putin ein recht zuversichtliches Bild. Die Inflation habe nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer mit einem Anstieg um 5,3 Prozent im März ihr Maximum überschritten. Sie verlangsame sich jetzt.

Das Wirtschaftswachstum sei im ersten Quartal 2019 zwar gesunken (auf 0,5 Prozent). Damit habe die Regierung aber gerechnet. Der Produktionsanstieg der Wirtschaft werde sich bis zum Jahresende beschleunigen.

Der Wirtschaftsminister will seine Wachstumsprognose von 1,3 Prozent aber nicht anheben, obwohl abzusehen sei, dass die Entwicklung günstiger sein könnte als man derzeit annehme.

Rechnungshof-Präsident Kudrin erwartet weniger Wachstum als Oreschkin

Seine Prognose bekräftigte Oreschkin gegenüber Journalisten auch am 05. Juni vor der Eröffnung des Wirtschaftsforums in Sankt Petersburg. Am Tag zuvor hatte die Weltbank in einer neuen Ausgabe von „Global Economic Prospects“ ihre Prognose für das Wachstum der russischen Wirtschaft im Jahr 2019 auf 1,2 Prozent gesenkt.

Auch bei der Diskussion auf dem SPIEF meinte Oreschkin zu seiner Prognose von 1,3 Prozent, es sei wahrscheinlich, dass sie übertroffen werde. Kudrin prangerte in seiner Stellungnahme (Video-Minute 19 bis 24) als Wachstumshindernis sehr scharf die fehlende Rechtssicherheit an. Er wiederholte seine Einschätzung, das Wirtschaftswachstum werde in diesem Jahr 1 Prozent nicht übersteigen. In den „nächsten Jahren“ werde es nicht höher als 2 Prozent sein (Video Minute 22).

Ist die rasch wachsende Verschuldung der Verbraucher ein Wachstumsrisiko?

Das größte Risiko für eine Rezession in Russland, so Oreschkin in der Diskussion, sei die zunehmende Verschuldung der Verbraucher (Minute 36). Das Wachstum der Konsumentenkredite übersteige mit rund 30 Prozent das Wachstum der Einkommen bei weitem. Diese „Blase“ könne 2021 platzen.

Zentralbank-Präsidentin Nabiullina widersprach ihm jedoch entschieden (Minute 37). Die Verschuldung der russischen Privat-Haushalte sei auch im internationalen Vergleich gering. Es gebe kein Risiko für die finanzielle Stabilität. Bei nicht sehr stark steigenden Einkommen nähmen die Haushalte allerdings die Kredite zur Sicherung ihres Lebensstandards auf.

Oreschkins Plan: Differenzierte Förderung von Regionen und Branchen

Wirtschaftsminister Oreschkin berichtete im Gespräch mit Staatspräsident Putin auch, welche Strategie die Regierung zur Stärkung des Wachstums verfolgt. Er erwähnte, dass 2018 mit 2,3 Prozent das höchste Wachstum seit 2012 erreicht worden sei. Ziel der Regierung sei aber eine Wachstumsrate von mehr als drei Prozent.

Im Wirtschaftsministerium verfolge man vor allem zwei Wege, um dies zu erreichen. Zum einem arbeite man eng mit den Regionen zusammen. Um den unterschiedlichen Bedingungen in den Regionen mit differenzierten Maßnahmen zur Förderung des Wachstums gerecht zu werden, habe man 15 Indikatoren zur Beschreibung der sozio-ökonomischen Situation identifiziert.

Auch die Investitionsentwicklung in den verschiedenen Wirtschaftszweigen sei sehr verschieden. Insgesamt seien die Investitionen im letzten Jahr zwar um 4,3 Prozent und in den letzten beiden Jahren zusammen sogar um 9,1 Prozent gestiegen. Im letzten Jahr habe aber auch einem Anstieg der Investitionen um mehr als 7 Prozent im Verarbeitenden Gewerbe und um mehr als 5 Prozent in der Landwirtschaft eine negative Entwicklung im Öl- und Gassektor und in Wohnungsbau gegenüber gestanden.

Bei der Beseitigung von Hindernissen für mehr Investitionen sei zwar in den letzten 10 Jahren schon eine Menge Arbeit geleistet worden. Ein Indikator dafür sei, dass Russland im „Doing Business Ranking“ der Weltbank auf Platz 31 vorgerückt sei. In jeder Branche gebe es aber noch Möglichkeiten für ein beschleunigtes Wachstum der Investitionen.

Oreschkins Rede zur Wachstumsstrategie im Wirtschaftsministerium

Ausführlich hatte Wirtschaftsminister Oreschkin seine Wachstumsstrategie am 23. Mai in einer Rede im Wirtschaftsministerium erläutert.

Er gab zu, dass es bislang kein „fertiges Modell“ gebe, um das Wirtschaftswachstum in Russland auf 3 Prozent und mehr zu beschleunigen, damit Russland wie angestrebt in den Kreis der fünf größten Volkswirtschaften der Welt vorrücken könnte. Die Wachstumsrate der Investitionen von rund 4 Prozent reiche dazu nicht aus.

Oreschkin hält für mehr Investitionen und mehr Wachstum Maßnahmen auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite für erforderlich, wie sie in ähnlicher Weise auch vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gefordert werden.

Auf der Angebotsseite sollen, so Oreschkin, administrative Hindernisse beseitigt werden. Die Wirtschaft soll „entbürokratisiert“ werden. Die Effektivität staatlicher Ausgabenprogramme müsse verbessert werden. Das gelte auch für die Investitionen von Unternehmen mit staatlicher Beteiligung. Verbesserungen seien auch im Rechtswesen erforderlich

Auf der Nachfrageseite müsse vor allem daran festgehalten werden, den Anteil der Investitionen an den Haushaltsausgaben zu erhöhen. Wichtig für mehr Wachstum sei auch, für fairen Wettbewerb zu sorgen, insbesondere im Interesse der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen.

Oreschkin unterstrich: Damit Russland in den Kreis der fünf weltweit größten Volkswirtschaften vorstoßen kann, ist es notwendig, Investitionen und Beschäftigung zu fördern, die Arbeitsproduktivität zu steigern und die außenwirtschaftlichen Aktivitäten der russischen Wirtschaft weiter zu entwickeln.

Skeptische Aufnahme der Versprechen Oreschkins

Professor Andrey Nechaev, der 1992/1993 russischer Wirtschaftsminister war und die liberale Partei „Bürgerinitiative“ gründete, ist aber offenbar nicht davon überzeugt, dass Oreschkins Versprechungen realisiert werden. Er meinte in einem Kommentar zu Oreschkins Rede:

„Russlands Wirtschaftsminister Maxim Oreshkin gestand … bei einer Sitzung des  Wirtschaftsministeriums offen ein, dass es bislang kein fertiges Modell zur Steigerung des Wirtschaftswachstums gäbe. (…)

Die russische Regierung muss dringend nach neuen Impulsen zur Förderung der Wirtschaft suchen. Dies ist ohne eine radikale Änderung der Wirtschaftspolitik meiner Meinung nach unmöglich. Hierzu zählen die Liberalisierung der Wirtschaft, die Förderung des freien Wettbewerbs sowie eine weniger dominierende Rolle des Staates.“

Weitere Informationen zum früheren Wirtschaftsminister Nechaev bietet dieser Ostexperte-de Artikel.

Titelbild
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Quellen und Lesetipps:

Neue Weltbank-Prognose:

Arbeitstreffen von Präsident Putin mit Wirtschaftsminister Oreschkin:

Reden von Ministerpräsident Medwedew und Wirtschaftsminister Oreschkin

SPIEF 2019: