Schneemangel in der Hauptstadt: Moskaus warmer Winter
Dieser Winter macht den Einwohnern der russischen Metropole zu schaffen. Anders als sonst liegt das aber nicht an erdrückenden Schneemengen, sondern an deren Abwesenheit.
Von Patrick Volknant
Russland und Moskau, das bedeutete für den Rest der Welt schon immer: Kälte, Eis und Schnee. Während sich die allseits ersehnte weiße Weihnacht in Mitteleuropa scheinbar vollständig zur Utopie entwickelt hat, sollte sie doch zumindest auf dem Roten Platz möglich sein. Die Realität sah am Ende des vergangenen Jahres allerdings anders aus: „Er ist schon beige und grau geworden“, wurde ein betrübter, als Väterchen Frost verkleideter Moskauer in den Medien zitiert. Gemeint ist der Kunstschnee, den die Stadtverwaltung an prominenten Stellen Moskaus verteilen ließ. Die grobe weiße Masse hatte man sich von den Eislaufbahnen der Stadt zusammengekratzt.
Es war der verzweifelte Versuch, trotz milder Temperaturen für zusätzliche Weihnachtsstimmung zu sorgen. Bei manch einem erreichten die Behörden damit jedoch eher das Gegenteil. In den sozialen Medien wurden die kleinen Schneehäufchen zum Gespött. Etwas verloren und zum Teil von Absperrungen beschützt lagen sie in den Moskauer Straßen herum. Bereits zuvor war der fehlende Schnee zum großen Thema im Netz geworden. Es kursierten Videos von Straßenarbeitern, die sich vom exotischen Wetter nicht beeindrucken ließen und pflichtbewusst unsichtbaren Schnee schippten – ein Phänomen, das auch in anderen Gegenden Russlands beobachtet werden konnte.
Getrübte Stimmung zu Weihnachten
Hohn von den Bürgern! Dabei hatte die Stadt für alles gesorgt: Gut 230 Millionen Rubel, fast dreieinhalb Millionen Euro, wurden dieses Jahr für die festliche Dekoration Moskaus ausgegeben. Doch das Wetter präsentierte sich unbestechlich. Die russische Hauptstadt erlebt gerade einen der wärmsten Winter ihrer Geschichte. Mit einer Temperatur von 5,4 Grad Celsius am 18. Dezember wurde ein Wärmerekord aus dem Jahre 1886 gebrochen. Die eigentliche Durchschnittstemperatur zu dieser Zeit liegt laut des Hydrometeorologischen Zentrums Russland bei minus 6,2 Grad. Es dauerte bis zum 11. Januar, dass sich die Wolken über Moskau erbarmten und die Stadt in Weiß hüllten. Nur wenige Tage später, zum Redaktionsschluss der MDZ, sind davon nichts als Pfützen geblieben. Viele Hauptstädter stimmt das traurig, doch ein Teil der Wahrheit ist auch, dass sie sich sonst um diese Jahreszeit über das eisige Wetter beschweren und die Schneemassen verfluchen würden.
Es ist noch kein Jahr her, da stand Moskau noch kurz vor einem neuen Rekordwinter. Allein in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 2019 fielen rund elf Zentimeter Neuschnee und stellten die Bewohner der wohl größten Metropole Europas vor erhebliche Schwierigkeiten. Mehr als 10 000 Schneepflüge und 60 000 Arbeiter kamen im Kampf gegen die weiße Flut zum Einsatz, die in der ganzen Stadt für Staus, Unfälle und abgesagte Flüge sorgte. Moskau muss im Winter normalerweise Millionen dafür ausgeben, um Schnee aus der Stadt zu bringen. Was im Krieg gegen Napoleon oder die Nationalsozialisten half, was Ausdruck der russischen Seele und irgendwie auch des eigenen Stolzes ist, wird in der Großstadt schnell zur kostspieligen Last.
Luschkow wollte den Schnee loswerden
Bereits vor Jahren wollte der damalige Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow deshalb dem Schneetreiben ein Ende bereiten. Wie man einst bei der Olympiade in Peking die schweren Wolken mit Silberjodid vor den Stadtgrenzen zum abregnen bringen wollte, so sollte eines Tages auch der Schnee aus Moskau ferngehalten werden. Neun Millionen Euro wollte Luschkow so einsparen. Die Pläne wurden letztlich verworfen und als Scharlatanerie abgetan. Doch auch der alltägliche Kampf auf den Straßen verärgert die Bürger bisweilen. Hier und da wird nicht genug gestreut, an anderen Stellen dann aber wieder zu rücksichtslos. Das Streusalz, das die Winterdienste verteilen, beschädigt den Asphalt, sorgt für grauen, matschigen Schneebrei und treibt hartnäckige Chemikalien unter die Fußsohlen der Passantinnen und Passanten. Ein Winter in Moskau reicht meist aus, um teure, brandneue Schuhe in entsorgungsbedürftige Latschen zu verwandeln.
Nun blüht eine Zukunft, in der das Leder an den Füßen wohl länger durchhalten wird. Der Klimawandel macht auch vor Russland nicht Halt, es bekommt die Veränderungen teilweise sogar stärker zu spüren als andere Teile der Welt: Eisbären ziehen auf der Suche nach Futter durch russische Wohngebiete und Gemeinden, die auf nun schmelzendem Permafrost errichtet wurden, siedeln um. Jäger und Fischer müssen ihre Arbeits- und Lebensweise an die neuen Wege der Tiere anpassen.
Die russische Regierung hat vor der Jahreswende einen Plan für die Anpassung an den Klimawandel bis 2022 vorgelegt und diesen damit indirekt anerkannt. Auch wenn der Kreml das unschöne Thema in der Öffentlichkeit meidet, ist man sich der drohenden Veränderungen bewusst. Bisher wird sich jedoch vor allem auf neue Möglichkeiten für die Industrie konzentriert, statt sich der Ursachenbekämpfung zu widmen. So soll eine neue Flotte von Eisbrechern in die sich erwärmende nördliche Seeroute stoßen. Das schmelzende Eis legt außerdem bessere Zugänge zu fossilen Energieträgern frei. Dem Moskauer Schneefall dürfte das alles jedoch weniger zuträglich sein.
Dieser Text erschien zuerst in der Moskauer Deutschen Zeitung.
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