Russlands Wirtschaft: Regierung wird optimistischer

Wirtschaftsminister kündigt neue Prognosen an

Vergangenen Freitag kündigte Minister Reshetnikov neue Prognosen anRusslands Wirtschaft erhole sich stärker als erwartet. Das sei vor allem auf höhere Staatsausgaben und Sozialleistungen zurückzuführen.

Russlands Wirtschaftsministerium hat seit langem keine Wachstumsprognosen mehr verlauten lassen. Am letzten Freitag kündigte Minister Reshetnikov bei einem Forum in Krasnodar aber an, er werde in einer Woche bei einem Treffen der Regierungskommission für die Haushaltsplanung neue Prognosen vorstellen. Zuletzt war Mitte Juni über Entwürfe für Prognosen des Wirtschaftsministeriums berichtet worden. Sie nahmen an, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt 2020 um 4,8 Prozent sinken wird.

Reshetnikov: Russlands Wirtschaft erholt sich schneller als erwartet

Der Minister teilte laut TASS am letzten Freitag in Krasnodar aber mit, seine Einschätzung der Entwicklung der russischen Wirtschaft sei inzwischen viel günstiger als vor zwei Monaten. Die Wirtschaft erhole sich stärker als erwartet. Das sei vor allem auf höhere Staatsausgaben und Sozialleistungen zurückzuführen. Zusätzlich würden Ausgaben der Regionen durch Überweisungen aus dem föderalen Haushalt unterstützt. Kreditprogramme für die Unternehmen spielten auch eine wichtige Rolle.

In den Medien wurde über erste Details der neuen Prognosen des Wirtschaftsministeriums berichtet. Die Bank Loko-Invest wies dazu bereits am letzten Freitag auf ihrer Telegram-Seite RussianMacro auf eine Meldung der Telegram-Seite Nonzygar hin. Laut einer dort abgebildeten Tabelle rechnet das Wirtschaftsministerium für 2020 nur noch mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 4,2 Prozent.

Heute berichtet Kommersant erste Details zu der neuen Prognose. Danach sinkt das Bruttoinlandsprodukt 2020 sogar nur um 3,9 Prozent. Dabei nehmen der reale Einzelhandelsumsatz und auch die Anlageinvestitionen um jeweils 6,6 Prozent ab. 2021 soll sich die gesamtwirtschaftliche Produktion so rasch erholen, dass sie bereits im dritten Quartal wieder auf dem Niveau vor der Corona-Krise ist.

HSE-Umfrage ergab leicht verbesserte Wachstumsperspektiven

Wenn die neue Prognose des Wirtschaftsministeriums für 2020 von einem weniger starken Rückgang des Bruttoinlandsprodukts als bisher ausgeht, kann Minister Reshetnikov darauf verweisen, dass auch die neue Umfrage der Moskauer „Higher School of Economics“ nur einen Rückgang um 4,2 Prozent erwarten lässt. Gegenüber der letzten Umfrage vor einem Vierteljahr Anfang Mai (- 4,3 Prozent) ergab sich eine etwas günstigere Einschätzung der Konjunkturentwicklung. Auch die Wachstumsprognose für 2021 hat sich geringfügig von 3,0 Prozent auf 3,1 Prozent verbessert.

Die Umfrage zeigt auch im Hinblick auf die Entwicklung der Inflation, des Ölpreises und des Wechselkurses relativ günstige Perspektiven:

  • Der Anstieg der Verbraucherpreise bleibt 2020 und 2021 knapp unter 4 Prozent und stabilisiert sich auf längere Sicht beim von der Zentralbank angestrebten Inflationsziel von 4 Prozent,
  • Der Ölpreis erholt sich 2020 und 2021 stärker als bisher erwartet.
  • Der Rubel macht bis Ende 2020 einen Teil der bisherigen kräftigen Abwertung in diesem Jahr wett.

Der Preisanstieg bleibt 2020 und 2021 unter dem Inflationsziel der Zentralbank

Die Beschleunigung des Anstiegs der Verbraucherpreise bis Ende 2020 wird von den Analysten in der neuen HSE-Umfrage deutlich niedriger veranschlagt als bisher. Während sie im Mai noch davon ausgingen, dass sich die Inflationsrate bis zum Jahresende auf 4,7 Prozent erhöht und damit das Inflationsziel der Zentralbank deutlich übertreffen wird, rechnen sie jetzt für Dezember nur noch mit 3,8 Prozent höheren Verbraucherpreisen. Bis zum Jahresende 2021 wird sich der Preisanstieg nach ihren Erwartungen auf 3,6 Prozent verlangsamen.

Die Ölpreiserwartungen sind in der HSE-Umfrage gestiegen

Mit der Einhaltung der Vereinbarungen zur Begrenzung der Ölförderung im Rahmen der OPEC+ erwarten die Analysten jetzt höhere Urals-Ölpreise. Rechneten sie im Mai im Jahresdurchschnitt 2020 nur mit einem Urals-Preis von 34.9 Dollar/Barrel, so gehen sie jetzt von 41,1 Dollar/Barrel aus. 2021 wird eine weitere Erholung auf 48 Dollar erwartet.

Obwohl der Rubel gegenüber dem Dollar im bisherigen Verlauf des Jahres 2020 kräftig abgewertet hat, gehen die Experten davon aus, dass sich der Rubel-Kurs stabilisiert und ein Dollar am Jahresende 2020 nur noch 72,7 Rubel/Dollar kosten wird. Ende 2021 soll der Wechselkurs kaum anders sein (72,1 Rubel/Dollar).

FocusEconomics-Umfrage zeigt Eintrübung der Wachstumserwartungen

Im Gegensatz zur HSE-Umfrage zeigte sich in der monatlichen Umfrage des Research-Unternehmens „FocusEconomics“ allerdings bisher keine Aufhellung der Wachstumserwartungen für die russische Wirtschaft. Bei FocusEconomics ergab sich in den Umfragen von Anfang Mai bis Anfang August als Konsens eine kontinuierliche Verschlechterung der BIP-Prognose für Russland. Sie sank von – 4,1 Prozent auf – 5,0 Prozent.

Eine Erklärung dürfte sein, dass die HSE-Umfrage zu rund zwei Dritteln Prognosen russischer Institutionen erfasst, während unter den rund 40 von FocusEconomics befragten Banken, Instituten und Rating-Agenturen nur wenige russische sind. Die ausländischen Experten orientieren sich wahrscheinlich mehr an den Prognosen von IWF (- 6,6 Prozent) und Weltbank (- 6,0 Prozent), die mit einem stärkeren Rückgang der Wirtschaftsleistung in Russland rechnen als die russische Zentralbank und die Regierung.

Am 08. September wird die neue Umfrage von FocusEconomics veröffentlicht.

Wachstumsprognosen 2020 bis 2022
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

   202020212022
Commerzbank, Frankfurt08/28/2020-41.8
Helaba, Frankfurt08/28/2020-33
HSE-Umfrage08/26/2020-4.23.12.3
Moody’s08/26/2020-5.52.2
Berenberg Bank, Hamburg08/24/2020-53.52.5
Alfa Bank08/21/2020-32.5
Economist Intelligence Unit, London08/18/2020-6.12.61.4
OPEC, Wien08/12/2020-4.72.9
J.P. Morgan08/12/2020-43.6
ING Bank, Amsterdam08/11/2020-2.522.2
DekaBank, Frankfurt08/07/2020-5.63.5
Fitch Rating Agency08/07/2020-5.2
FocusEconomics
Consensus Forecast
08/04/2020-53.42.7
Russische Zentralbank,
Basisszenario
07/24/2020- 4,5 bis - 5,5
Urals 38 $/b
3,5 bis 4,5
Urals 40 $/b
2,5 bis 3,5
Urals 45 $/b
Weltbank, Basisszenario07/06/2020-62.73.1
Weltbank, Stress-Szenario07/06/2020-9.60.1
Internationaler Währungsfonds06/24/2020-6.64.1
Russisches Wirtschaftsministerium,
Basisszenario laut RBK
06/17/2020-4.8
Urals 39,9 $/b
3.2
Urals 43,3 $/b
2.9
Urals 45,6 $/b

Die russische Zentralbank wiederholte in ihrem am Freitag veröffentlichten  Konjunkturbericht für Juli ihre Prognose vom 24. Juli, dass sie 2020 einen Rückgang des BIP von 4,5 bis 5,5 Prozent erwartet.

Zentralbank: Einbruch des privaten Verbrauchs bremste am meisten

Die Zentralbank analysierte in ihrem Konjunkturbericht unter anderem die Ursachen für den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal, in dem das BIP nach ersten Berechnungen der Statistikbehörde Rosstat 8,5 Prozent niedriger war als vor einem Jahr.

Nach Einschätzung der Zentralbank trug zu dem Rückgang die Abnahme des Verbrauchs der privaten Haushalte am meisten bei. Der private Verbrauch sei zum einen wegen der behördlichen Beschränkungen der Geschäftstätigkeit von Einzelhandels- und Dienstleistungsunternehmen gesunken. Außerdem hätten sich die real verfügbaren Einkommen der Haushalte verringert.

Laut Zentralbank führten die Verunsicherung der Unternehmen und Störungen beim Import im zweiten Quartal aber auch zu einer deutlichen Einschränkung der Investitionen der Unternehmen. Um die verbliebene Nachfrage zu bedienen, hätten  die Unternehmen auf Lagerbestände zurückgegriffen, wenn die Produktion und die Lieferketten zeitweilig gestört gewesen seien. Die Brutto-Anlageinvestitionen und die Importe hätten sich so im zweiten Quartal erheblich verringert.

Zur Abnahme der gesamtwirtschaftlichen Produktion habe außerdem der Rückgang der Nachfrage aus dem Ausland und die Verringerung der Ölproduktion im Rahmen der Vereinbarungen mit der OPEC+ beigetragen.

Im laufenden dritten Quartal führt die Lockerung der Produktionseinschränkungen im Ausland und in Russland nach Ansicht der Zentralbank aber zu besseren Wachstumsbedingungen, insbesondere durch die Erholung der inländischen Nachfrage.

Auch Russlands Fiskalpolitik gibt Wachstumsimpulse

Wirtschaftsminister Reshetnikov begründete in Krasnodar seine optimistischere Sicht der russischen Konjunktur auch mit finanzpolitischen Wachstumsimpulsen. BOFIT, das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, hat am Freitag dazu die folgende Abbildung zur Entwicklung der Ausgaben im konsolidierten Staatshaushalt veröffentlicht. Sie zeigt die prozentuale Veränderung der gesamtstaatlichen Ausgaben in den jeweils letzten sechs Monaten im Vergleich zum Vorjahr.

Besonders stark erhöht wurden zuletzt die Ausgaben für folgende Zwecke:

  • Gesundheitswesen (rechte Grafik, blaue Linie):              rd. + 35 Prozent
  • Wirtschaft; Infrastruktur (linke Grafik, braune Linie):        rd. + 26 Prozent
  • Öffentliche Verwaltung (linke Grafik, graue Linie):                       rd. + 20 Prozent
  • Sozialleistungen (rechte Grafik, rote Linie):                       rd. + 20 Prozent

Main spending categories of the Russian government budget sector (consolidated budget) show considerable increases this year

BOFIT; Bank of Finland: Russian government budget revenues decline precipitously, spending soars; BOFIT Weekly, 28.08.2020

Laut BOFIT stiegen die gesamten Ausgaben sowohl im ersten als auch im zweiten Quartal im Vorjahresvergleich um jeweils rund 17 Prozent. Bei relativ moderaten Preissteigerungen seien die Ausgaben auch real deutlich gewachsen und hätten so die Wirtschaft stimuliert, stellt BOFIT fest.

Bei stark sinkenden Einnahmen, hat sich nach Berechnungen von BOFIT im Zeitraum Juni 2019 bis Juni 2020 im konsolidierten Gesamthaushalt ein Defizit von 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ergeben. 2018 und 2019 waren Überschüsse verzeichnet worden.

Zum aktuellen Defizit trug der Rückgang der Einnahmen bei. Im zweiten Quartal waren sie 13 Prozent niedriger als im Vorjahr. Im gesamten ersten Halbjahr gingen sie um 4 Prozent zurück.

Titelbild
Titelbild: Promenade in St. Petersburg. Quelle: Unsplash.com
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Quellen und Lesetipps:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Wirtschaftsministerium hebt voraussichtlich seine Wachstumsprognosen an

Entwicklung des Rubelkurses

Konjunkturberichte Juli 2020 von Zentralbank, Wirtschaftsministerium und Rosstat

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte (wöchentlich, monatlich, vierteljährlich)

Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland