Im ersten Halbjahr 2024 war Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion voraussichtlich 4,7 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum. Diese Schätzung veröffentlichte das russische Wirtschaftsministerium am 31. Juli nach Bekanntgabe der Konjunkturdaten für Juni (Finmarket.ru).
Im zweiten Halbjahr 2024 wird die russische Wirtschaft im Vorjahresvergleich aber nicht mehr so stark wachsen. Die monatliche Analysten-Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters, die Ende Juli/Anfang August durchgeführt wurde, lässt jedenfalls erwarten, dass die russische Wirtschaft im Gesamtjahr 2024 wie 2023 um 3,6 Prozent wachsen wird. Im zweiten Halbjahr 2024 ist demnach ein deutlich niedriges Wachstum gegenüber dem Vorjahr zu erwarten als im ersten Halbjahr mit +4,7 Prozent erreicht wurde.
Zentralbank-Prognose: Das jährliche BIP-Wachstum sinkt von Quartal zu Quartal
Die russische Zentralbank hob in ihrer mittelfristigen Prognose vom 26. Juli ihre Prognose für Russlands Wirtschaftswachstum im Jahr 2024 auf 3,5 Prozent bis 4,0 Prozent an.
In einem Kommentar zu ihrer mittelfristigen Prognose äußerte sich die Zentralbank am 07. August zur vierteljährlichen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts. Sie veranschlagt das jährliche BIP-Wachstum im zweiten Quartal 2024 auf 4,4 Prozent. Diese Schätzung ist etwas höher als die Schätzungen des Statistikamtes Rosstat vom 09. August und des Wirtschaftsministeriums vom 31. Juli (beide: + 4,0 Prozent).
Die Zentralbank rechnet in ihrem Kommentar mit einer Abschwächung der jährlichen Wachstumsrate auf +3,2 Prozent im dritten Quartal und auf +2,0 bis +3,0 Prozent im vierten Quartal 2024 (s. untere Zeile der Tabelle).
Entwicklung von Inflation und realem Bruttoinlandsprodukt
Anstieg gegenüber dem Vorjahresquartal in Prozent
Russische Zentralbank: Kommentar zur mittelfristigen Prognose der Zentralbank, 07.08.24
Rückblick: Rasche Erholung vom BIP-Einbruch im ersten Halbjahr 2022
Wie sich das reale Bruttoinlandsprodukt saison- und kalenderbereinigt von Monat zu Monat und von Quartal zu Quartal entwickelte, analysiert das Forschungsinstitut der Wneschekonombank, der staatlichen Bank für Außenwirtschaft. Es berechnet monatlich einen Index der Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts, der um saison- und kalenderbedingte Einflüsse auf die Produktion bereinigt wird.
Die folgende Abbildung der Entwicklung des BIP-Indexes zeigt ein ziemlich stetiges Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion seit Mitte 2022. Bereits Mitte 2023 war das reale BIP wieder etwas höher als am Jahreswechsel 2022/2023 kurz vor dem Beginn des Ukraine-Krieges. Ende 2023 sank die gesamtwirtschaftliche Produktion zwar, zog Anfang 2024 aber weiter an. Erst im Juni 2024 gab es einen deutlichen Rückgang gegenüber dem Vormonat.
Index des realen Bruttoinlandsprodukts, Januar 2008 = 100,
saison- und kalenderbereinigt
Vnesheconombank Institute: Monthly GDP Index, June 2024; 09.08.24
2024 bisher anhaltend starkes Wachstum von 0,6 Prozent zum Vorquartal
Trotz des Rückgangs im Juni stieg Russlands reales Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorquartal saison- und kalenderbereinigt unverändert stark um 0,6 Prozent (s. folgende Tabelle: erste Zeile, rechte Spalte). Das Wachstumstempo vom ersten Quartal 2024 wurde gehalten.
Reales Bruttoinlandsprodukt im Mai und Juni sowie im zweiten Quartal 2024, saison- und kalenderbereinigt:
erste Zeile: Veränderungen gegenüber dem Vormonat und dem Vorquartal in Prozent;
zweite Zeile: Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in Prozent
Wneschekonombank-Institute: World Economy and Markets Review, 02.08.24
Im Juni sank das Bruttoinlandsprodukt gegenüber Mai um 1,3 Prozent
Nachdem der BIP-Index im Mai gegenüber April noch um 1,0 Prozent gestiegen war, fiel er im Juni gegenüber Mai um 1,3 Prozent (s. erste Zeile der obigen Tabelle). Das VEB-Institut merkt an, dass dabei die Bauproduktion im Juni besonders stark um rund 5 Prozent sank, nachdem sie im April und Mai um insgesamt rund 8 Prozent gestiegen war.
Dass die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal saison- und kalenderbereinigt erneut um 0,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal stieg, war dem starken Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im Mai um 1,0 Prozent gegenüber April zu verdanken.
Im Vorjahresvergleich sank das BIP-Wachstum im zweiten Quartal 2024 merklich
Die Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahresmonat schwächte sich von 4,6 Prozent im Mai auf 2,5 Prozent im Juni ab (zweite Zeile der obigen Tabelle). Das VEB-Institut nennt als eine Ursache für diesen starken Rückgang einen „Kalenderfaktor“: Im Juni 2024 gab es zwei Arbeitstage weniger als im Juni 2023.
Im gesamten zweiten Quartal 2024 verlangsamte sich das Wirtschaftswachstum im Vorjahresvergleich auf 3,9 Prozent. Im ersten Quartal hatte der Anstieg noch 5,4 Prozent erreicht, so dass das reale Bruttoinlandsprodukt im gesamten ersten Halbjahr um 4,7 Prozent höher war als im ersten Halbjahr 2023.
Auch die Industrieproduktion nahm im Juni gegenüber Mai deutlich ab
Zum Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts um 1,3 Prozent von Mai auf Juni trug for allem der Rückgang der Industrieproduktion bei. Die Industrieproduktion war nach ersten Berechnungen des VEB-Instituts im Juni saison- und kalenderbereinigt insgesamt 1,8 Prozent niedriger als im Mai (siehe mittlere schwarze Linie in der folgenden Abbildung).
Dabei nahm die Produktion des „Verarbeitenden Gewerbes“ im Juni gegenüber Mai überdurchschnittlich stark ab (- 2,6 Prozent, obere dunkelgrüne Linie), vor allem aufgrund der Produktionsrückgänge in der Metallurgie, bei Erdölprodukten, in der Chemischen Industrie und einer Reihe von Branchen im Maschinenbau.
Im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ (untere hellgrüne Linie) sank die Produktion im Juni gegenüber Mai um 1,3 Prozent. Bei sinkenden Ölexporten und einer geringeren Nachfrage der Raffinerien nahm die Ölförderung ab.
Indizes der Produktion in der Industrie insgesamt und in den Industrie-Bereichen „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ sowie „Verarbeitendes Gewerbe“
(saison- und kalenderbereinigt; Jan. 2014 = 100)
Vnesheconombank Institute: World Economy and Markets Review, 26.07.24
Im Vorjahresvergleich stieg die Industrieproduktion im zweiten Quartal weiter
Insgesamt war die Industrieproduktion im zweiten Quartal 2024 um 3,7 Prozent höher als ein Jahr zuvor.
Im „Verarbeitenden Gewerbe“ stieg die Produktion im zweiten Quartal im Vorjahresvergleich um 7,3 Prozent. Sie nahm in vielen Branchen zu, „auch aufgrund der Aufträge aus der Verteidigungsindustrie“, so der Bericht des VEB-Instituts.
Im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffe“ war die Produktion im zweiten Quartal jedoch 1,7 Prozent niedriger als im Vorjahr. Die vereinbarten freiwilligen Beschränkungen der Ölförderung zeigten Wirkung. Der damit verbundene Rückgang der Nutzung von Öl-Pipelines führte zu einem Rückgang des realen Umsatzes im Transportgewerbe.
Entwicklung der Produktion in der Industrie insgesamt und in den Branchen: „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“, „Verarbeitendes Gewerbe“ und „Strom-, Gas- und Wasserversorgung“
Vnesheconombank Institute: World Economy and Markets Review, 26.07.24
Die Tabelle zeigt in den ersten drei Spalten die saison- und kalenderbereinigten Veränderungen der Produktion in den Monaten Mai und Juni sowie im zweiten Quartal 2024 gegenüber der entsprechenden Vorperiode in Prozent.
Die folgenden drei Spalten zeigen die Veränderungen der Produktion gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode.
Das Wachstum des privaten Verbrauchs verlangsamte sich im Juni
Als Indikatoren für die Entwicklung des Verbrauchs der privaten Haushalte weist das VEB-Institut in der folgenden Tabelle vor dem Hintergrund der Entwicklung der Reallöhne im Mai (erste Zeile) auf die Entwicklung des realen Einzelhandelsumsatzes (zweite Zeile) und des realen Umsatzes mit privaten Dienstleistungen (dritte Zeile) im Mai und Juni sowie im zweiten Quartal hin.
Saison- und kalenderbereinigte Entwicklung der Reallöhne und der realen Umsätze im Einzelhandel und mit privaten Dienstleistungen;
Vnesheconombank Institute: World Economy and Markets Review, 02.08.24
Die oberen drei Zeilen der Tabelle zeigen die Veränderungen gegenüber dem Vormonat und Vorquartal in Prozent. Die unteren drei Zeilen zeigen die Veränderungen gegenüber den jeweiligen Vorjahreswerten in Prozent.
Im Vorjahresvergleich wuchs der Einzelhandel noch viel stärker als die Dienstleistungen
Der reale Umsatz im Einzelhandel stieg im zweiten Quartal Im Vorjahresvergleich um 7,3 Prozent. Der reale Umsatz mit Dienstleistungen war im zweiten Quartal 4,1 Prozent höher als vor einem Jahr.
Für die Entwicklung der Reallöhne liegen noch keine Juni-Daten vor. Im Mai 2024 waren die Reallöhne 8,8 Prozent höher als ein Jahr zuvor (graue Linie).
Seit Jahresbeginn 2024 flaute das Wachstum im Einzelhandel stark ab
Der reale Einzelhandelsumsatz (zweite Zeile) war im zweiten Quartal 2024 nach Schätzung des VEB-Instituts saison- und kalenderbereinigt nur 0,5 Prozent höher als im Vorquartal (rechte Spalte). Dabei stieg er im Juni gegenüber dem Vormonat saison- und kalenderbereinigt real nur noch um 0,1 Prozent (s. schwarze Linie in der folgenden Abbildung).
Die Nachfrage nach privaten Dienstleistungen (dritte Zeile) war im Juni sogar 0,8 Prozent niedriger als im Mai. Im gesamten zweiten Quartal stieg der reale Umsatz mit Dienstleistungen gegenüber dem Vorquartal aber noch um 2,2 Prozent (siehe grüne Linie).
Reallöhne und Privater Verbrauch (Jan. 2014 = 100)
Vnesheconombank Institute: World Economy and Markets Review, 02.08.24
Die real verfügbaren Einkommen sind fast 10 Prozent höher als vor einem Jahr
Basis für das im zweiten Quartal 2024 verzeichnete starke jährliche Wachstum von Einzelhandel (+7,3 Prozent) und Dienstleistungen (+ 4,1 Prozent) war der noch stärkere Anstieg der Einkommen. Das Wachstum der verfügbaren Realeinkommen der Bevölkerung erreichte im zweiten Quartal 2024 im Vorjahresvergleich 9,6 Prozent. Gegenüber dem ersten Quartal 2024 stiegen die Realeinkommen im zweiten Quartal saison- und kalenderbereinigt lauf Schätzung des VEB-Instituts um 2,2 Prozent.
Real verfügbares Einkommen der Bevölkerung (4.Quartal 2013 = 100)
Vnesheconombank Institute: World Economy and Markets Review, 02.08.24
Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:
- ZDF Doku: Deutsche Maschinen für Putins Krieg. Gute Geschäfte trotz Sanktionen?
- Olga Belenkaya: Central Bank prepares to “significantly” raise inflation forecast
- Vladimir Milov: Russian Economy: Still Standing, But Stuck
- Uwe Klußmann im Podcast „Zaren, Daten, Fakten“: Russlands Magnaten
- Gaidar-Jahrbücher, russisch und englisch