Russlands Industrie stützt die Konjunktur

Russland: Industrieproduktion stützt Konjunktur

Russlands Wirtschaft hat sich insgesamt nur sehr langsam von der Rezession im Jahr 2015 erholt. 2018 war die gesamtwirtschaftliche Produktion nur knapp 2 Prozent höher als vor der Rezession im Jahr 2014. Deutlich kräftiger gestiegen ist dagegen die russische Industrieproduktion.

Sie wuchs von 2014 bis 2018 um 6,5 Prozent und stützte so die Konjunkturerholung. Der Rohstoffbereich der Industrie erhöhte seine Produktion sogar um 9,5 Prozent. Damit ist allerdings die Abhängigkeit der russischen Wirtschaft von den stark schwankenden Rohstoffpreisen wieder gestiegen. Im ersten Halbjahr 2019 setzen sich diese Trends weitgehend fort.

Überdurchschnittliches Wachstum des Rohstoffsektors

Auch im Juli 2019, so die gestern veröffentlichten Rosstat-Daten, stieg die Produktion im Rohstoffbereich stärker (+ 3,0 Prozent gegenüber Juli 2018) als im Verarbeitenden Gewerbe (+ 2,8 Prozent). Analysten meldeten an den Rosstat-Berechnungen zum Anstieg der Produktion im Rohstoffbereich nach einem Bericht von rbc.ru allerdings erhebliche Zweifel an, vor allem weil Rosstat gleichzeitig meldete, dass die Fördermengen von Kohle und Erdöl im Juli gesunken seien.

Im Zeitraum Januar bis Juli nahm die Rohstoffproduktion laut Rosstat mit einem Anstieg um 3,9 Prozent fast doppelt so stark zu wie die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe (+ 2,0 Prozent). Insgesamt war die Industrieproduktion von Januar bis Juli 2,6 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum.

Rückblick 2014-2018

Das Analysezentrum der russischen Regierung hat in seinem jüngsten Monatsbericht („Aktuelle Trends der russischen Wirtschaft“) die Entwicklung der Industrie seit 2014 untersucht.

Die folgende Abbildung aus der Studie zeigt, wie sich die gesamte Industrieproduktion und ihre von der Statistikbehörde Rosstat ausgewiesenen vier Hauptbereiche in den letzten 4 Jahren entwickelten.

Index der Industrieproduktion in Russland, 2014 bis 2019; 2014 = 100

Industrie insgesamt
Bergbau, Förderung von Rohstoffen
Verarbeitendes Gewerbe
Produktion und Verteilung von Strom, Gas, Wärme
Wasserversorgung und Entsorgung.
Quelle: Analytical Center of the Russian Government: Current trends of the Russian Economy; Dynamics of industrial production in Russia: outstripping growth of the mining sector; 07.08.2019

 

 

 

 

Am stärksten wuchs seit 2014 die Produktion im Bereich „Bergbau“, der auch die Förderung von Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas umfasst und einen Anteil von rund 37 Prozent an der gesamten Industrieproduktion stellt (blaue Linie). Die Produktion im Bergbau war 2018 rund 9,5 Prozent höher als 2014. Das überdurchschnittliche Wachstum war auch der Tatsache zu verdanken, dass die Produktion im Rohstoff-Bereich auch im Rezessionsjahr 2015 zunahm, obwohl gleichzeitig die gesamte Industrieproduktion um 0,8 Prozent sank und die gesamtwirtschaftliche Produktion um 2,3 Prozent abnahm.

Die Produktion des „Verarbeitenden Gewerbes“ (graue Linie; Anteil an gesamter Industrieproduktion rund 50 Prozent) erhöhte sich von 2014 bis 2018 um 6,5 Prozent. Sie stieg damit so stark wie die Industrieproduktion insgesamt (schwarze Linie).

Industrie kam viel schneller aus der Rezession als die Gesamtwirtschaft

Die gesamte Industrieproduktion verzeichnete von 2014 bis 2018 damit ein gut 3 Mal stärkeres Wachstum als die gesamtwirtschaftliche Produktion. Das Bruttoinlandsprodukt war im letzten Jahr nur 1,9 Prozent höher als 2014 (Wachstumsrate 2016: + 0,3 Prozent; 2017: +1,6 Prozent; 2018: + 2,3 Prozent).

Die Produktion im Bergbau (einschl. Erdöl und Erdgas) erhöhte sich sogar rund 5 Mal so stark wie das BIP. Die Abhängigkeit der russischen Wirtschaft von den stark schwankenden Rohstoffpreisen ist entsprechend gewachsen. Ziel der Regierung ist hingegen eine stärkere Diversifizierung der Wirtschaft mit einer Verringerung der „Rohstofflastigkeit“.

Rückblick auf das erste Halbjahr 2019: Rohstofflastigkeit wächst weiter

Von Januar bis Juni 2019 setzten sich die Trends der letzten 4 Jahre weitgehend fort wie eine Tabelle auf Seite 6 im Bericht des Analysezentrums zeigt.

  • Die Rohstoff-Produktion wuchs gegenüber dem ersten Halbjahr 2018 überdurchschnittlich stark (+4,0 Prozent; 2018/2017: + 4,1 Prozent)
  • Die gesamte Industrieproduktion stieg um 2,6 Prozent (2018/2017: +2,9 Prozent)
  • Das Verarbeitende Gewerbe wuchs mit 1,9 Prozent (2018/2017: + 2,6 Prozent) etwas schwächer als die gesamte Industrie.

Gleichzeitig war das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im ersten Halbjahr mit 0,7 Prozent deutlich niedriger als das Wachstum der gesamten Industrieproduktion (+ 2,6 Prozent).

Rosstat veranschlagte in einer am Montag veröffentlichten ersten Schätzung das gesamtwirtschaftliche Wachstum im zweiten Quartal 2019 gegenüber dem Vorjahr auf 0,9 Prozent. Das war etwas mehr als das Wirtschaftsministerium geschätzt hatte (+ 0,8 Prozent). Nachdem das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal nur 0,5 Prozent höher war, stieg das BIP im ersten Halbjahr laut Berechnungen des Wirtschaftsministeriums voraussichtlich aber nur um 0,7 Prozent.

Wirtschaftsministerium bestätigt Wachstumsprognose 2019: + 1,3 Prozent

In einer Stellungnahme zur Rosstat-Schätzung schätzte das Wirtschaftsministerium, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal gegenüber dem ersten Quartal 2019 saisonbereinigt um voraussichtlich 0,4 Prozent gestiegen ist, nachdem es im ersten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 0,2 Prozent gesunken ist. Eine „technische Rezession“ mit einem Rückgang des BIP in zwei aufeinander folgenden Quartalen hat es also nicht gegeben (siehe auch DekaBank-Bericht von Daria Orlova: „Rezession ist abgesagt“).

Das Ministerium erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Halbjahr um 1,6 bis 1,8 höher sein wird als vor einem Jahr. Es geht davon aus, dass seine bisherige Wachstumsprognose von 1,3 Prozent für das gesamte Jahr 2019 erreicht werden kann. Dazu würden der vorgesehene Anstieg der föderalen Ausgaben und die Auswirkungen der Leitzinssenkungen der Zentralbank im Juni und Juli beitragen.

Der Überschuss im föderalen Haushalt erreichte im Zeitraum Januar bis Juli 2019 nach Mitteilung des Finanzministeriums 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Noch im August will das Wirtschaftsministerium neue Prognosen als Grundlage für die Haushaltsplanung in den nächsten Jahren vorlegen. Bisher geht es davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum in Russland 2020 auf 2,0 Prozent und 2021 auf 3,1 Prozent beschleunigt.

Macht eine baldige Weltwirtschaftskrise Russlands Wachstumspläne zunichte?

Der frühere russische Wirtschaftsminister Professor Andrey Nechaev sieht die russische Wirtschaft hingegen offensichtlich nicht vor einem kraftvollen Aufschwung. Er stellt in einem Kommentar die Frage: „Weltwirtschaftskrise ante portas?“

Nechaev meint, vieles deute darauf hin, dass sich die Weltwirtschaft an der Schwelle zu einer Rezession befinde. Die Anzeichen, dass 2020 oder 2021 mit der nächsten Weltwirtschaftskrise zu rechnen sei, seien immer deutlicher zu spüren.

Der frühere Wirtschaftsminister unter Staatspräsident Jelzin erinnert an den Einbruch der russischen Wirtschaft in der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008:

„Russland ist tief in die Weltwirtschaft integriert, weshalb die allgemeine Krise zweifellos nicht vor der russischen Wirtschaft haltmachen wird. Auch 2008 wurden die Illusionen der russischen Regierungsökonomen, wonach Russland in der schlimmsten Finanzkrise der Welt eine „Insel der Stabilität“ bleiben könnte, schnell zerstört. Vielmehr fiel der Rückgang der wichtigsten makroökonomischen Indikatoren stärker aus als in den europäischen Ländern.“

Was bei einem erneuten Verfall des Ölpreises auf rund 45 Dollar/Barrel passieren könnte, hat Sarah Pagung, Mitarbeiterin der Deutschen Gesellschaft für Politik, einfallsreich in ihrem „Risiko Report Russland“ in einem „worst case scenario“ beschrieben.

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: pan demin | Shutterstock.com
^*^

Quellen und Lesetipps

Konjunkturberichte von Wirtschaftsministerium, Rosstat und Zentralbank mit Analysten-Berichten:

Industrieproduktion im Juli

Bruttoinlandsprodukt – Wachstum im zweiten Quartal

Wirtschaftsministerium:„Bild der Wirtschaft“

Inflation im Juli

Zentralbank: „Talking Trends“

Zentralbank: Monatsbericht Wirtschaft

Wirtschaftsministerium: Monatsbericht Wirtschaft Juni 2019

IWF-Länderbericht:

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte (meist monatlich, vierteljährlich)

20 Jahre Putin an der Macht:

Sonstige Veröffentlichungen zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann seit Anfang Juli 2019: