Russland in der Weltwirtschaft – Konjunkturprognosen aus Kiel und Moskau

Am Jahresende wird in aller Welt Bilanz gezogen und ein Blick in die Zukunft gewagt. Wir haben Prognosen für die russische Wirtschaft im Rahmen der weltwirtschaftlichen Entwicklung miteinander verglichen.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft veröffentlichte in der letzten Woche seinen Konjunkturbericht „Weltwirtschaft im Winter 2022“. Seine Prognosen decken sich für viele Länder weitgehend mit denen des Forschungsinstituts der staatlichen russischen Wneschekonombank („Bank für Entwicklung und Außenwirtschaft“).

Besonders bemerkenswert: Das Kieler IfW hat seine Prognose für den diesjährigen Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts halbiert. Die neue Rezessionsprognose des IfW stimmt mit 2,3 Prozent fast mit der Rezessionsprognose des Instituts der Wneschekonombank überein (2,5 Prozent). Die Einschätzung des VEB-Instituts, dass sich Russlands Rezessionstempo im nächsten Jahr auf 1,2 Prozent halbiert, teilt das IfW jedoch nicht. Im Gegenteil: Das IfW erwartet 2023 in Russland eine Beschleunigung der Rezession auf 2,8 Prozent.

Auch das Münchner ifo Institut und das Institut für Wirtschaftsforschung Halle erwarten in Russland im laufenden Jahr eine schwächere Rezession als bisher. Russlands Zentralbankpräsidentin Nabiullina meinte beim Leitzinsentscheid am 16. Dezember, bei einer günstigen Konjunkturentwicklung im November und Dezember könne der diesjährige Rückgang des Bruttoinlandsprodukts nahe bei 3 Prozent liegen. Die Zentralbank hielt angesichts einer Inflationsrate von rund 12 Prozent an ihrem Leitzins von 7,5 Prozent fest.

Weltwirtschaftswachstum wird 2023 noch schwächer

Andrei Klepach, Chefökonom der Wneschekonombank, erläuterte die Grundzüge der Mitte November veröffentlichten Prognosen des VEB-Instituts zur Entwicklung der Weltwirtschft am 20. Dezember in einem TASS-Interview. Eine Zusammenfassung:

Das Wachstum der Weltwirtschaft, das im Jahr 2021 in der Erholungsphase von der „Corona-Rezession“ rund 6 Prozent erreicht hat, wird sich im jetzt ablaufenden Jahr 2022 auf 2,5 Prozent abschwächen. 2023 dürfte es sich laut dem Basisszenario des VEB-Institutes noch weiter auf nur noch 1,8 Prozent verlangsamen.

Ein Abgleiten in eine globale Rezession ist im nächsten Jahr aber unwahrscheinlich, obwohl einige der größten Volkswirtschaften – die USA, Deutschland und Großbritannien – im Jahr 2023 in eine leichte Rezession geraten werden.

Auch im „Krisenszenario“ des VEB-Instituts wird für 2023 nicht mit einem Rückgang der Produktion der Weltwirtschaft gerechnet, sondern lediglich mit einer noch stärkeren Abschwächung des Wachstums der Produktion auf nur noch 1,3 Prozent. In einigen wichtigen westlichen Staaten gibt es zwar hohe Rezessionsrisiken. Die beiden großen asiatischen Volkswirtschaften China und Indien werden aber weiter wachsen.

Der Lebensstandard in der EU, Großbritannien und den USA sinkt bereits

Die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen durch die Geldpolitik ist, so Klepach, der Hauptfaktor für die zunehmende Gefahr einer Krise auf den Finanz- und Immobilienmärkten. Aufgrund stark gestiegener Hypothekenzinsen und einer gesunkenen Nachfrage gibt es auf den Immobilienmärkten einen Rückgang der Verkäufe und des Neubaus von Wohnungen.

Wegen der gestiegenen Energiepreise ist in der EU, Großbritannien und den USA bereits ein Rückgang des Lebensstandards bemerkbar. Diese Entwicklung wird sich wahrscheinlich im Jahr 2023 fortsetzen, vor allem wenn staatliche Hilfsprogramme, die die Belastung der privaten Haushalte durch die gestiegenen Energiepreise begrenzen, nicht verlängert werden.

„Schwaches Glied“ in der Weltwirtschaft ist Europa

Das schwache Glied der Weltwirtschaft ist laut Klepach Europa, das stark von Energieimporten abhängig ist. Auch in den großen europäischen Ländern gibt es eine hohe Inflation. Die Schuldenlast ist in einer Reihe von Ländern, darunter in Griechenland und Italien, erheblich. Die Bekämpfung der Inflation kann in einigen Ländern in einer „Stagflation“ enden.

Zur Konjunkturentwicklung in Europa meint Klepach:

„Europa ist die am stärksten gefährdete Region aufgrund der Verschlechterung der Beziehungen zu Russland. Es ist unwahrscheinlich, dass in Europa nächstes Jahr eine Rezession vermieden werden kann. Wir erwarten dort jedoch keine tiefe Rezession.“

Wachstumstreiber sind 2023 die asiatischen Volkswirtschaften

Motoren für das Wachstum der Weltwirtschaft im Jahr 2023 werden laut Klepach die asiatischen Länder Indien und China sein, auch wenn in China noch einige der Anti-COVID-Beschränkungen bestehen. Das werde das Wirtschaftswachstum in China zwar bremsen. Bis Ende 2023 könnte sich das BIP-Wachstum in China aber wieder beschleunigen.

Für Russland erwartet Klepach im Jahr 2022 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im TASS-Interview teilte er als neue Prognose für das nächste Jahr mit, Russlands BIP-Rückgang werde sich 2023 auf 1,2 Prozent verlangsamen.

Die russische Wirtschaft zeigt, so Klepach, gegenüber den verhängten „beispiellosen“ Sanktionen bisher eine hinreichende Widerstandskraft. Das wecke einen gewissen Optimismus. Im Jahr 2025 werde Russland die Rezession der Jahre 2022 und 2023 überwunden haben und das Bruttoinlandsprodukt etwas höher sein als 2021.

Ende November hatte das VEB-Institut den diesjährigen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in einer Prognose noch auf voraussichtlich 3,1 Prozent geschätzt. Nach einer Revision der Rosstat-Daten für die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts hob aber auch das VEB-Institut seine BIP-Schätzung in seinem Wochenbericht vom 16.12. an.

Der Index von Russlands realem Bruttoinlandsprodukts hat sich laut den neuen Berechnungen des Instituts im dritten Quartal gegenüber dem zweiten Quartal saisonbereinigt um 0,5 Prozent erholt (siehe folgende Abbildung). Bisher hatte das VEB-Institut nur einen sehr geringfügigen Anstieg vom zweiten zum dritten Quartal um 0,1 Prozent errechnet (gestrichelte Linie).

Index des realen Bruttoinlandsprodukts,
4. Quartal 2018 =100, saisonbereinigt

Vnesheconombank Institute: „World Economy and Markets Review“, 16.12.22

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft erwartet in seiner am 14.12. veröffentlichten „Winterprognose“ für das fast abgelaufene Jahr 2022 in vielen Ländern eine ähnliche Konjunkturentwicklung wie das VEB-Institut.

2023 rechnet das IfW aber in der Eurozone insgesamt (und auch in Deutschland) sowie vor allem in Indien mit einer merklich günstigeren Konjunkturentwicklung als das VEB-Institut.

BIP-Prognosen im Vergleich: VEB-Institut und Kiel Institut für Weltwirtschaft

Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Kiel Institut für Weltwirtschaft: Weltwirtschaft im Winter 2022, 14.12.2022; Dossier: Konjunkturdaten Welt

VEB-Institut: Global Economic Forecast: High Inflation and Slowing Growth, 18.11.2022

Russlands Konjunktur 2022 sieht das IfW noch optimistischer als das VEB-Institut

Seine bisherige Prognose für den Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion in Russland im Jahr 2022 schwächte das IfW in seiner „Winterprognose“ um die Hälfte ab.  Anfang September rechnete es noch mit einem Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts um 4,7 Prozent. Jetzt erwartet es mit einem Rückgang um nur 2,3 Prozent im Jahr 2022 sogar eine etwas schwächere Rezession in Russland als das VEB-Institut (- 2,5 Prozent).

Die Einschätzung des VEB-Instituts, dass sich Russlands Rezessionstempo im nächsten Jahr auf 1,2 Prozent halbiert, teilt das IfW jedoch nicht. Es erwartet im Gegenteil eine Beschleunigung der Rezession auf 2,8 Prozent.

Auch das ifo-Institut senkte seine Rezessionsprognosen für Russland

Ähnlich deutlich wie das IfW Kiel hat das Münchner ifo Institut seine Prognose für die diesjährige Rezession in Russland von 5,8 Prozent auf 3,1 Prozent gesenkt.

Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle hatte bereits im September den diesjährigen Produktionsrückgang der russischen Wirtschaft nur noch auf 3,5 Prozent veranschlagt. Es schätzt die diesjährige Rezession jetzt auf 3,2 Prozent.  Auch für 2023 erwartet das IWH in Russland jetzt einen etwas stärkeren weiteren Produktionsrückgang um 3,0 Prozent als das IfW Kiel (Rückgang um 2,8 Prozent) und das ifo Institut (2,3 Prozent)

Prognosen deutscher Institute für Russlands BIP 2022 bis 2023

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Neue Rosstat-Daten zur vierteljährlichen BIP-Entwicklung

Die Verringerung der Rezessionsprognosen für 2022 wird durch am 14. Dezember veröffentlichte neue Daten des russischen Statistikamtes gestützt. Das Research-Unternehmen FocusEconomics veröffentlichte zur vierteljährlichen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts laut Rosstat folgende Abbildung (Prognose ab Q4 2022):

Vierteljährliche Entwicklung des russischen Bruttoinlandsprodukts

Blaue Säulen: Veränderung gegenüber dem Vorjahresquartal in Prozent

Rote Linie: Saisonbereinigte Veränderung gegenüber dem Vorquartal in Prozent

FocusEconomics: Russia: GDP contracts again in the third quarter, 14.12.2022

Rosstat korrigierte seine erste Berechnung des Rückgangs des realen Bruttoinlandsprodukts im dritten Quartal 2022 gegenüber dem dritten Quartal 2021 von 4,0 Prozent auf 3,7 Prozent (blaue Säule; Finmarket.ru-Bericht).

Im dritten Quartal 2022 stieg das BIP saisonbereinigt gegenüber dem zweiten Quartal um 0,4 Prozent (rote Linie). Zuvor ist es im zweiten Quartal 2022 laut neuen Rosstat-Berechnungen gegenüber dem ersten Quartal um 5,2 Prozent eingebrochen (BOFIT-Weekly-Bericht).

In den ersten neun Monaten des Jahres 2022 war das russische Bruttoinlandsprodukt laut Rosstat nur 1,6 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum.

Zentralbank: BIP-Rückgang 2022 wahrscheinlich bei rund 3 Prozent

Auch Zentralbankpräsidentin Elwira Nabiullina nahm kürzlich zur Produktionsentwicklung der russischen Wirtschaft Stellung. Sie erinnerte am 16. Dezember in einer Pressekonferenz nach der Leitzinsentscheidung der Zentralbank an die Prognose der Zentralbank von Ende Oktober, dass Russlands BIP 2022 voraussichtlich um 3 bis 3,5 Prozent sinken werde. Die Zentralbank erwarte jetzt, dass der Rückgang „nahe bei der oberen Grenze, also nahe bei 3 Prozent,“ liegen werde. Bei einer günstigen Entwicklung im November und Dezember könne das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2022 um weniger als 3 Prozent sinken (Interfax). Ihre Prognose für den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im nächsten Jahr um 1 bis 4 Prozent wird die Zentralbank im Februar aktualisieren.

Zentralbank bleibt bei Leitzins von 7,5 Prozent

Die Zentralbankpräsidentin warnte am 16.12. vor dem Hintergrund der Teilmobilisierung von rund 300.000 Arbeitskräften vor einer zunehmenden Verknappung des Angebots von Arbeitskräften. “Das außenwirtschaftliche Umfeld bleibe für die russische Wirtschaft herausfordernd und beschränke die Aktivität der Wirtschaft deutlich“ meinte die Zentralbank. Die Möglichkeiten zur Erhöhung der Produktion seien durch die Lage auf dem Arbeitsmarkt weitgehend eingeschränkt. Die Arbeitslosenquote liege auf einem Rekord-Tief. Das Wachstum der Löhne könnte den Anstieg der Produktivität bald übertreffen. Das berichtet die „Moscow Times“.

Die Zentralbank warnte vor gestiegenen Inflationsrisiken als Folge der Teilmobilmachung.  “Unserer Meinung nach überwiegen derzeit die inflationsfördernden Faktoren, und zwar nicht nur mittelfristig, sondern auch auf kurze Sicht”, sagte die Zentralbankpräsidentin.

Angesichts der schwachen Produktionsentwicklung beließ die Zentralbank ihren Leitzins aber bei 7,5 Prozent (siehe auch BOFIT-Weekly-Bericht).

Leitzinsentwicklung im Jahr 2022

Kommersant: The key rate remained unchanged. The CBR kept the level of 7.5%, 16.12.2022

Verbraucherpreisanstieg im November auf 12,0 Prozent gesunken

Der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr ist im November auf 12,0 Prozent gesunken. In der Woche bis zum 12. Dezember stieg die jährliche Inflationsrate auf 12,6 Prozent, in der Woche bis zum 19. Dezember sank sie auf 12,3 Prozent (Interfax).

Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent

Anteile an der Inflationsrate: Lebensmittel (dunkelgrün), Sonstige Waren (hellgrün), Dienstleistungen (hellrot)

Vnesheconombank Institute: „World Economy and Markets Review“, 23.12.22

Zentralbankpräsidentin Nabiullina erwartet, dass die Inflationsrate im Verlauf des Jahres 2023 auf 5 bis 7 Prozent sinkt. 2024 soll das Inflationsziel der Zentralbank von 4 Prozent erreicht werden.

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

Titelbild
Pavel L Photo and Video / Shutterstock.com