Interview mit Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschuss – Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft
Der Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft (OAOEV) hat rund 350 Mitgliedsunternehmen und -verbände. Der OAOEV ist jährlich an rund 100 Veranstaltungen beteiligt. Organisiert werden Fachkonferenzen und Delegationsreisen sowie Gesprächsrunden mit Regierungsmitgliedern der Partnerländer.
Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ berichtet, dass der deutsche Osthandel weiterhin überdurchschnittlich wächst. Wo sehen Sie das stärkste Potential – und wo gibt es Herausforderungen?
Die Handelszahlen für die 29 Länder unserer Region entwickeln sich weiterhin positiv. Nach einem starken Wachstum von über zehn Prozent im vergangenen Jahr, gab es im ersten Jahresdrittel ein Plus von über sechs Prozent. Besonders in Mittelosteuropa und Südosteuropa läuft die Konjunktur weiterhin sehr gut. In dieser Region gibt es leider das Problem, dass qualifizierte Fachkräfte zunehmend fehlen, sonst könnte das Wachstum noch größer sein. Bremsspuren sind leider aktuell für Russland und seine Nachbarländer zu beobachten. Hier wirken sich beispielsweise die US-Sanktionen negativ aus.
Aus den wenigen Ländern, mit denen der bilaterale Handel zurückgegangen ist, sticht insbesondere Turkmenistan heraus. Woran liegt das?
Das Niveau des bilateralen Handels zwischen Deutschland und Turkmenistan ist generell niedrig. Daher kann es bei den Handelszahlen zu starken Ausschlägen kommen, wenn ein einzelnes Geschäft wegfällt. Darüber hinaus hat sich die wirtschaftliche Situation in Turkmenistan eingetrübt. Das liegt vor allem am Verfall der Rohstoffpreise und an der Schwierigkeit, Abnehmer für turkmenisches Gas zu finden. Russland kauft seit einigen Jahren nichts mehr, auch der Iran agiert zurückhaltend. Deshalb bleibt nur noch die Pipeline nach China. Falls eine Lösung für den Status des Kaspischen Meeres gefunden werden sollte, dann könnte dies dazu führen, dass die Transkaspische Pipeline gebaut wird. Aber das ist Zukunftsmusik. In Turkmenistan gibt es sehr interessante Projekte mit kolossalen staatlichen Investitionen, die Vermarktung ist aber eine Herausforderung.
Inwiefern kann die deutsche Wirtschaft von der Eurasischen Wirtschaftsunion profitieren? Wie gut funktioniert die Angleichung von Normen und Standards innerhalb der Union?
Die Eurasische Wirtschaftskommission in Moskau bemüht sich, die Normen und Standards innerhalb der fünf Länder der Wirtschaftsunion anzugleichen. Das geschieht nicht über Nacht, ist aber mehr oder weniger geregelt. Für Investoren in der EAWU ist das natürlich attraktiv, wenn dieser Binnenmarkt einmal voll funktioniert. Daraus entsteht dann die große Chance, die EAWU-Normen und EU-Normen anzupassen, um Barrieren für westliche Investoren zu reduzieren. Je größer und offener die Märkte füreinander sind und je mehr gemeinsame Regeln bestehen, desto besser für deutsche Firmen. Natürlich ist das Gewicht Russlands in der EAWU gewaltig, sodass die Union häufig als ein rein russisches Projekt wahrgenommen wird. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit: Russland muss häufig Kompromisse eingehen und sich mit den anderen vier Ländern einigen. Diese Prozesse führen letztlich zu einem fairen und regelbasierten Handelssystem. Deshalb würden wir intensivere Verhandlungen zwischen der EU und der EAWU sehr begrüßen.
Sehen Sie Chinas „Neue Seidenstraße“ als Chance oder als Gefahr für deutsche Unternehmen?
Die Neue Seidenstraße kann zum Problem werden, wenn wir keine eigene Strategie entwickeln. Das Projekt dient in erster Linie dazu, die Wirtschaftspotentiale in Westchina anzuheben. Doch wenn wir es klug angehen, dann sehe ich eine riesige Chance zur Entwicklung der Länder entlang der Seidenstraße. Vor allem an den Transportrouten werden sich zahlreiche Industrien ansiedeln, die eine große Relevanz für die Entwicklung der Wirtschaft haben. Aber wir dürfen diese Wirtschaftsräume nicht der chinesischen Regierung überlassen. Deutschland und die EU müssen sich selbst darum kümmern und Instrumente schaffen, um Firmen zu unterstützen, die sich in diesen Ländern etablieren wollen. Es geht nicht um Worte, jetzt müssen Taten folgen. Bisher passiert zu wenig.
Welche Faktoren bremsen das deutsche Russlandgeschäft?
In Russland hatten wir vor der Krise eine sehr positive Entwicklung, die von zwei Faktoren getrieben war: Rohstoffexporte bei hohen Ölpreisen und ein starker Binnenkonsum. Beide Faktoren sind infolge der Wirtschaftskrise nach 2014 unter Druck geraten. Deshalb kam es in Russland zu einem enormen Rückgang der Wirtschaft. Letztes Jahr verzeichneten wir erstmals wieder ein Wachstum, doch dieses ist selbst nach russischer Einschätzung viel zu bescheiden. Russland benötigt Wachstumsraten von drei oder vier Prozent, nicht von unter zwei Prozent, wie aktuell prognostiziert. Den deutschen Firmen in Russland geht es nicht schlecht, aber die Euphorie von 2017 hat nachgelassen. Die Zeiten, in denen die Firmen teilweise zweistellige Wachstumsraten hatten, sind vorbei. Ursache für die Probleme sind Faktoren, die auch in jeder Rede Wladimir Putins vorkommen: Zu viel Staatseinfluss, zu wenig Mittelstand, mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit, mangelnde Innovationen. Wir sollten versuchen, das gemeinsam anzugehen. Ich glaube, dass die russische Politik die Probleme erkannt hat und stark auf eine Partnerschaft mit deutschen Firmen setzt. Es sollte auch in unserem Interesse sein, die Effizienz der russischen Industrie anzuheben, weil wir Maschinen bauen und unsere technischen Lösungen anbieten können. Davon würden letztlich alle Seiten profitieren.
Sie befürchten, dass Nord Stream 2 unter dem Druck US-amerikanischer Sanktionen scheitern könnte. Wie kann sich Europa dagegen wehren?
Wir unterstützen Nord Stream 2 und halten das Projekt für wichtig, um die Energiesicherheit in Europa zu erhöhen. Noch gibt es keine US-Sanktionen und wir gehen davon aus, dass dies auch so bleibt, schließlich hat es von Seiten der USA Zusagen gegeben, dass Verträge vor dem 2. August 2017 nicht sanktioniert werden. Mit der gegenwärtigen US-Administration hat Europa aber ein prinzipielles Problem, das weit über die Themen Nord Stream 2 und Russland hinausgeht. Das sehen wir an den Sanktionen gegen den Iran, deren Befolgung von Seiten der EU durch ein Blocking-Statut verboten wurde. Europa muss weiter demonstrieren, dass es souverän agiert und seine Interessen verteidigen kann. Zur Schlichtung von Streitigkeiten wäre es gut, multilaterale Institutionen wie die Welthandelsorganisation zu stärken. Europa ist immer noch der größte Binnenmarkt der Welt und kann erhebliches wirtschaftliches Gewicht in die Waagschale werfen.
Glauben Sie, dass der anstehende Trump-Putin-Gipfel in Helsinki neue Bewegung in die Sanktionsfrage bringen könnte?
Man sollte nicht zu viel erwarten, aber der Gipfel und direkte Gespräche auf mehreren Ebenen sind generell ein sehr gutes Zeichen. Natürlich ist die Rolle der USA bei sicherheitspolitischen Themen entscheidend, auch im Ukraine- und im Syrienkonflikt. Wenn wir Europäer im Austausch mit den USA Lösungen in diesen Fragen voranbringen könnten, hätte das unmittelbar eine positive Auswirkung auf die Wirtschaft. Ich sehe die aktuellen Entwicklungen zwischen Russland und den USA vorsichtig optimistisch.
Sie engagieren sich im Rahmen der „Deutsch-Russischen Initiative für Digitalisierung“ (GRID). Welche Pläne verfolgen Sie konkret?
Die GRID ist eine sehr gute Plattform für bilaterale Initiativen im digitalen Bereich. Uns freut es besonders, dass die gemeinsamen Projekte keine Einbahnstraße sind, in der deutsche Firmen ihre Technologien nach Russland liefern. Auch russische Unternehmen sind in diesem Sektor sehr stark, vor allem Software-Entwickler und Mobilfunkanbieter. Organisationen wie Rostelekom, Zifra oder Skolkowo sind unglaublich aktiv und nehmen an der Initiative teil. Die Entwicklung führt dazu, dass wir innovative russische Start-up-Unternehmen mit deutschen Konzernen wie SAP, Bosch und Siemens zusammenbringen. Es geht bei der GRID auch darum, die digitalen Rahmenbedingungen für Unternehmen in beiden Ländern zu verbessern und die unterschiedlichen Regulierungen aufeinander abzustimmen.
Warum haben Sie sich zur Vereinigung von „Ost-Ausschuss“ und „Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ entschieden?
Wir wollten die Zersplitterung der deutschen Verbände in unserer Region beenden. Es gab die merkwürdige Situation, dass viele Unternehmen eine Doppelmitgliedschaft in beiden Verbänden hatte. Die Firmen sind selbst auf uns zugekommen und haben eine Fusion angeregt. Wir sind sehr froh über diesen Prozess, weil er zu einer stärkeren Aufstellung in Verbindung mit geringeren Kosten führt. Hinzu kommt, dass wir gemeinsam gegenüber der Politik ein größeres Gewicht auf die Waagschale legen können.
Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Harms.
Dieses Interview führte Ostexperte.de-Chefredakteur Thorsten Gutmann.