Ost-Ausschuss-Kolumne: Was bringt der Wirtschaft Europa?

Ost-Ausschuss-Kolumne: Was bringt der Wirtschaft Europa?

Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um die Europawahl und den Segen, den die europäische Integration der Wirtschaft des Kontinents einbrachte.

Der „Kampf um Europa“

Es wird gewählt. Schon wieder, ist man geneigt zu denken. Aber dieses Mal geht es um Europa. Von einer Schicksalswahl, einem „Kampf“ um Europa, die Freiheit und die Demokratie ist die Rede. Politiker aller Couleur werden nicht müde zu betonen, von welch immenser Bedeutung dieser Wahlgang ist. Alle nur erdenklichen Argumente von Sozial-, Arbeitsmarkt-, Außen- und Sicherheits- und Migrationspolitik werden ins Feld geführt. Die deutschen Sozialdemokraten gehen u.a. mit dem Slogan „Europa ist die Antwort“ ins Rennen um die Wählergunst. Worauf, möchte man fragen? Aber merkwürdigerweise scheint sich keiner der Kandidaten dem Thema Wirtschaft als Erfolgsfaktor des Kontinents und vor allem der Europäischen Union nähern zu wollen. Dabei gibt es unzählige Gründe, genau dieses Thema in den Mittelpunkt zu stellen.

Wohin mit dem Kleingeld?

Wenn ich in der Schweiz mit einer EC-Karte bezahle, erscheint fast immer ein Auswahlmenü, in dem ich mich für die Zahlung in Franken oder Euro entscheiden kann. Verbunden mit dem Hinweis, dass die Begleichung in Landeswährung in der Regel billiger ist. Soweit in der Schweiz überhaupt irgendetwas billig sein kann. Wieder zu Hause in Deutschland, werfe ich das verbliebene Kleingeld in eine Dose. Zwar nehme ich mir vor, dieses Geld beim nächsten Mal unbedingt mitzunehmen und auszugeben, aber die zunehmende Existenz solcher Behältnisse mit Münzgeld aus aller Herren Länder spricht eine deutlich andere Sprache. In Österreich, Spanien, Italien, Frankreich, Lettland oder der Slowakei muss ich mir keine Gedanken um Wechselkurs, Kleingeld oder Zahlungsmodalitäten machen. Es gilt der Euro. So wie in den 19 Ländern, die Mitglied des Euro-Währungsgebietes sind. Für die Menschen ist das ein großer Vorteil – und für die Wirtschaft.

Europäische Union – größter Wirtschaftsraum der Welt

Die profitiert in noch stärkerem Maß vom gemeinsamen Wirtschaftsraum – dem europäischen Binnenmarkt. Er ermöglicht den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen innerhalb seines Geltungsbereiches – keine Zölle, keine Grenzkontrollen, keine Warteschlangen für LKW, weitestgehend harmonisierte Standards und Normen, ein großes Angebot an grenzüberschreitenden Dienstleistungen und nicht zuletzt Rechtssicherheit. Und für die Bürger heißt das ganz konkret, dass sie ihren Wohnort, Arbeitsplatz, ihren Studienort oder auch ihren Altersruhesitz frei wählen können – und ihre Rente im Zweifel auch nach Mallorca überwiesen wird. Um von einem Mitgliedsland ins andere zu kommen, brauchen sie kein Visum, keine Aufenthaltsgenehmigung, keine Verdienstbescheinigungen, noch nicht einmal einen Pass. Nicht umsonst hat die Eurasische Wirtschaftsunion sich viele der EU-Regeln zum Vorbild genommen. Denn sowohl gesamtwirtschaftlich als auch für den Einzelnen ist die EU ein Erfolgsmodell. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung kommt zu dem Schluss, dass „nicht jeder gleichermaßen profitiert, aber alle gewinnen“ und dass der Binnenmarkt der „größte Treiber für unseren Wohlstand“ ist. Liebe Briten, vielleicht denkt ihr doch noch einmal über eure Zukunft – in Europa – nach.

BIP-Steigerung signifikant

Im Schnitt haben, mit Ausnahme Kroatiens, alle Länder der EU ihr BIP seit ihrem Beitritt deutlich steigern können. In der Wahrnehmung ist Deutschland der größte Profiteur. In absoluten Zahlen ist das korrekt, in Prozent liegt Irland mit durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten von 6,9 Prozent vorn, aber auch die baltischen Staaten, Polen und Luxemburg weisen Steigerungsraten von mehr als fünf Prozent auf, im EU-Durchschnitt sind es 2,9 Prozent. Dass Großbritannien heute – noch – die zweitgrößte europäische Volkswirtschaft ist, hat es dem Beitritt zur Europäischen Union zu verdanken.

EU attraktiv für Investoren

Und noch etwas ist augenfällig. Die EU als Wirtschaftsraum ist hoch attraktiv für Investoren und investiert ihrerseits kräftig in anderen Regionen. Die weitaus meisten Investitionen fließen nach Nordamerika und von dort nach Europa. Mit großem Abstand folgt die Schweiz und noch auf niedrigerem Niveau, aber stetig steigend China. Die höchsten Zuwächse verzeichnet der Dienstleistungssektor, gefolgt vom Verarbeitenden Gewerbe. Insgesamt lässt sich eine deutliche Tendenz zu Investitionen in Industriestaaten und aus Industrieländern erkennen. Davon profitieren zwar nicht alle EU-Mitgliedsstaaten in gleichem Maße, aber die EU insgesamt. Und noch interessanter ist der Blick auf die Investitionen von Mitgliedsländern in anderen Mitgliedsländern. Vor allen Dingen in den seit 2002 beigetretenen Ländern haben die „alten“ Mitglieder kräftig investiert. Hinzu kommt die Entwicklungsstrategie der EU für einzelne Regionen. Zum Beispiel für den Ostsee- und den Donauraum, die adriatischen und ionischen Länder und den Alpenraum.

Keine realistische Alternative in Sicht

Und was hat die deutsche Wirtschaft von der EU, dem Euro und dem europäischen Binnenmarkt? Auch deutsche, vor allem mittelständische Unternehmen exportieren den größten Teil ihrer Waren in die Länder der EU und haben damit ihren Markt von 82 Millionen potentiellen Kunden auf über 500 erweitert. Es gibt praktisch kein Währungsrisiko, keine Zollgebühren, keine umständlichen Zertifizierungs-, Akkreditierungs- und Normungsverfahren. Deutschlands Fachkräftemangel wird augenblicklich zum großen Teil aus anderen EU-Staaten gedeckt. Der Standort ist hoch attraktiv für qualifizierte Arbeitskräfte, nicht immer zum Vorteil für die Herkunftsländer der Experten. Sicher ist das Projekt Europäische Union, der gemeinsame Wirtschafts- und Währungsraum und die zahllosen Institutionen in all ihrer Anonymität nicht ideal, aber im Augenblick gibt es weit und breit keine wirklich realistische Alternative. Schon gar nicht, wenn man weiter im Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten und China bestehen will. Die Unternehmen wissen das. Schön wäre, die Politik würde sich dieser Tatsache stärker bewusst werden.

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: Alexandros Michailidis / Shutterstock.com
^*^