Die NATO und die neue Politik der Stärke

Die NATO und die neue Politik der Stärke

Ein NATO-Generalsekretär, der die Reduzierung der Rüstungsetats in Europa lobt? Klingt nicht sehr wahrscheinlich, aber genau das hat Jens Stoltenberg am Rande der Sicherheitskonferenz getan. Das Forum dafür bot ihm die Veranstaltung „Eine zeitgemäße Sicherheitspolitik für Europa“ der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft.

Stoltenbergs Äußerung, dass die „Einlösung der Friedensdividende nach dem Ende des Kalten Krieges“, sprich die deutliche Verringerung der Rüstungsetats nach 1989, nachvollziehbar und sinnvoll war, gehörte zu den nachdenklichen Worten an diesem Nachmittag. Doch in Bezug auf die aktuellen Forderungen an die Europäer gab sich Stoltenberg weniger philosophisch. Das Ziel bleibe die Erhöhung der Verteidigungsetats auf mindestens 2 Prozent des Bruttosozialproduktes.

Stoltenberg zeigte aber ein gewisses Verständnis für die europäische Politik: „Investitionen in die Verteidigung sind bei Politikern häufig nicht populär. Zumal dies oft Belastungen für die Steuerzahler bedeutet.“ Umso wichtiger war es dem NATO-Generalsekretär, die Last steigender Rüstungsausgaben für die Bürger zu rechtfertigen: „Die NATO ist das erfolgreichste Militärbündnis der Geschichte.“ Und weiter: „Die Beendigung der Kriege im Kosovo und in Bosnien sowie der Anti-Terror-Kampf gehören zu den Erfolgen der NATO.“

Die Annexion der Krim sortiert Osteuropa neu

Als weitere Rechtfertigung für mehr Rüstungsausgaben fügte Stoltenberg an, dass aufgrund der schwierigen Sicherheitslage in Osteuropa „militärische Infrastruktur und Transportwege ausgebaut werden müssen“. Stoltenberg sprach davon, dass nach der Annexion der Krim durch Russland eine neue Lage in Osteuropa entstanden sei. Die osteuropäischen EU-Staaten fühlten sich bedroht. Belege für eine ernsthafte Bedrohung des Baltikums oder Polens durch Russland lieferte Stoltenberg aber nicht.

Auch auf andere Einsätze der NATO ging Stoltenberg ein: „In Afghanistan und im Irak werden wir nun verstärkt Berater und Ausbilder für die dortigen Streitkräfte einsetzen und weniger eigene Kampftruppen.“ Stoltenberg verschwieg, dass die nationalen Streitkräfte im Irak und besonders in Afghanistan, trotz Schulung durch westliche Spezialisten, bisher wenig erfolgreich agieren. Ebenso ging er nicht auf die Entscheidung Trumps ein, die Zahl der amerikanischen Kampftruppen in Afghanistan zu erhöhen.

Europa hat Verteidigungsstrukturen deutlich erhöht

Zur neuen europäischen Verteidigungsinitiative PESCO äußerte sich Stoltenberg vorsichtig. Grundsätzlich „ein gutes Projekt“, doch es müsse in die NATO-Strukturen eingebunden werden: „EU-Programme dürfen nicht parallel zur NATO laufen.“ Immerhin erkannte Stoltenberg an, dass sich die Verteidigungsanstrengungen der Europäer seit 2015 deutlich erhöht haben, auch in Deutschland.

Prof. Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, wünschte sich einen Ausbau des europäischen Pfeilers in der NATO, der aber verbunden sei mit steigenden Belastungen für die Bürger. Dies könnte zu Einsparungen in anderen Bereichen führen, zum Beispiel bei den Sozialausgaben. Die Politik müsse dies den Wählern erklären.

Die harte Linie der Verteidigungspolitik vertrat Patrick Keller, Koordinator für Außenpolitik der Adenauerstiftung. Seine Aussage „Verteidigung sollte stets die erste Priorität vor Entwicklungspolitik haben“ war eine indirekte Kritik an der Linie der Bundesregierung, die sich ein Gleichgewicht bei den Ausgaben für Entwicklungshilfe und Verteidigung zum Ziel gesetzt hat. Keller plädierte für wachsende Verteidigungsausgaben Deutschlands im Rahmen der NATO. Zugleich will er eine Unterordnung der Initiativen der Europäer unter die NATO-Politik. China ist für Keller eine „strategische Herausforderung“. Die Hochrüstung der NATO in Osteuropa rechtfertigte er ohne Einschränkungen.

Angesichts des einseitig besetzten Podiums mit Befürwortern erhöhter Rüstungsausgaben und einer harten sicherheitspolitischen Linie der NATO, kam dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann fast schon die Rolle der Taube unter lauter Falken zu. Herrmann betonte, dass „bei allen Meinungsverschiedenheiten stets auch der Dialog mit Russland gesucht werden muss“.

Doch die anderen Sprecher auf der Konferenz signalisierten, dass sie den Problemen einer Welt im Krisenmodus vor allem durch eine Politik der Stärke begegnen möchten. Diese Äußerungen hinterließen bei vielen Zuhörern einen sehr zwiespältigen Eindruck, wie der spärliche Applaus am Ende zeigte. Letztendlich war aber auch diese Veranstaltung bezeichnend für eine Sicherheitskonferenz des verpassten Dialogs.

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