Alexei Kudrin: Armut in Russland ist beschämend
Laut des ehemaligen Finanzministers zählt Armut zu den größten Herausforderungen für Russland. Auch technologische Rückständigkeit, internationale Isolation und Angst vor Veränderungen seien lähmende Faktoren, sagte Alexei Kudrin auf dem Allrussischen Bürgerforum 2017. Dies berichtet die russische Wirtschaftszeitung Wedomosti.
Kudrin kritisierte die fehlende Hartnäckigkeit bei der Entwicklung der russischen Wirtschaft. Er verwies auf eine Umfrage des Lewada-Zentrums, nach der in der russischen Bevölkerung kein Verständnis für das Thema „Strategien“ vorhanden sei. Entwicklungsprogramme der Regierung seien für die Bevölkerung etwas „Abstraktes, Unwirkliches, Unerfülltes“, kommentierte der Ex-Finanzminister. Viele Russen hätten nach der Krise den Glauben an eine Strategie verloren.
Man müsse zugeben, dass frühere Strategien „wenig bekannt“ gewesen seien, so Kudrin. Zudem sei die Regierung in der Vergangenheit häufig von ihren Plänen abgewichen, weshalb bei den Russen keine Hoffnung auf eine Umsetzung bestehe. Kudrin, Vorsitzender des Zentrums für strategische Studien, hatte Putin im Mai eine Strategie für die Wirtschaft vorgelegt.
Armut und technologische Rückständigkeit
Als größtes Risiko für das Land nannte Kudrin die Armut. Der Lebensstandard sinke im dritten Jahr infolge, obwohl das Ziel das Wohlergehen der Menschen sein müsse. „Für ein Land mit diesem BIP ist das Niveau der Armut beschämend. Die Vorschläge, die wir seit mindestens fünf Jahren vorbereiten, könnten die Armut um ein Viertel oder ein Drittel reduzieren.“
Als zweites Risiko bezeichnete der Ex-Finanzminister die technologische Rückständigkeit des Landes. „Wir leben in einer Welt der Veränderungen, und wir sind nicht wirklich vorbereitet.“ Alleine das autonome Fahren könne dazu führen, dass 13 Prozent der Jobs verloren gingen. „Unsere Bildung und unser Wirtschaftsmodell schaffen es nicht, bei den Veränderungen mitzuhalten. Es ist eine Herausforderung, die alle betrifft“, erklärte Kudrin.
Politische Isolation und öffentliche Verwaltung
Eine dritte Gefahr sei die politische Isolation des Landes, die „wir selbst erschaffen“, so der Ex-Finanzminister. Dazu zähle auch die Angst vor Veränderungen. Das Teilen von Wissen und Technologien auf internationaler Ebene werde in Zukunft zunehmen.
Die Qualität der öffentlichen Verwaltung werde den aktuellen Herausforderungen nicht gerecht, kritisierte Kudrin. „In ihrem jetzigen Zustand kann sie nicht die Probleme lösen, über die wir sprechen.“ Zudem sei eine Reform der Justiz notwendig. Auch das Wahlsystem und die parlamentarischen Institutionen seien nicht zufriedenstellend. Der ehemalige Finanzminister forderte auch, die Anzahl der offiziellen Regierungsmitarbeiter zu reduzieren.
Allrussisches Bürgerforum
Das allrussische Bürgerforum findet 2017 zum fünften Mal statt. Dort sind zahlreiche prominente Vertreter, darunter Gesundheitsministerin Weronika Skworzowa, Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin sowie Vize-Wirtschaftsminister Oleg Fomitschew. Sberbank-Chef Herman Gref musste seine Teilnahme absagen.
Der gesetzliche Mindestlohn beträgt in Russland aktuell 7.500 Rubel im Monat, das sind 123 Euro. Olga Golodez, in der russischen Regierung für Soziales zuständig, beziffert die Zahl der russischen Arbeitnehmer, die in dieser Höhe entlohnt werden, auf 4,9 Millionen. Das sei ein unhaltbarer Zustand, so die stellvertretende Ministerpräsidentin: „Selbst ein Schulabgänger hat mehr verdient als das.“