Wirtschaft in Russland: Frühjahrsprognosen im Vergleich

Konjunktur in Russland: Frühjahrsprognosen im Vergleich

Westliche Experten halten Regierungsprognosen für zu hoch

Nach der OECD und dem Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche WIIW haben jetzt auch führende deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute und der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ neue Prognosen zur internationalen Konjunkturentwicklung veröffentlicht. Sie enthalten auch Hinweise zur Entwicklung der russischen Wirtschaft.

Wir haben die Prognosen in einer Tabelle verglichen und stellen sie den Wachstumserwartungen der russischen Regierung gegenüber. Nach der Tabelle finden Sie die ausführliche Analyse des Essener RWI zur russischen Konjunktur. Auszüge aus Kommentaren des Kieler IfW und von Peter Havlik, Russland-Experte des WIIW, zur russischen Wirtschaftspolitik sind am Schluss beigefügt.

Deutsche Institute und das WIIW sind skeptischer als die Regierung

Die russische Regierung hält bisher an ihrer im Herbst der Haushaltsplanung zugrunde gelegten Prognose fest, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft 2018 auf 2,1 Prozent beschleunigt.

Befragungen von Analysten durch die Nachrichtenagentur Reuters, das englische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ und „FocusEconomics“ ergaben Ende Februar aber übereinstimmend, dass 2018 im Durchschnitt nur mit einer Beschleunigung des Wachstums von 1,5 Prozent auf 1,8 Prozent gerechnet wird.

Die deutschen Konjunkturforschungsinstitute (DIW Berlin, IWH Halle, Institut für Weltwirtschaft Kiel, RWI Essen), die jetzt im Rahmen ihrer Frühjahrsprognosen zur deutschen und internationalen Konjunkturentwicklung auch Einschätzungen zur russischen Wirtschaft vorlegten, erwarten auch nicht, dass sich die Wachstumsziele der Regierung realisieren lassen. Sie trauen der russischen Wirtschaft nur eine leichte Beschleunigung des Wachstums zu.

So geht das Berliner Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW wie die meisten Analysten, die OECD, das WIIW und das Kieler Institut für Weltwirtschaft davon aus, dass Russland in diesem Jahr 1,8 Prozent Wachstum erreichen kann.

Etwas skeptischer ist das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) für 2018. Es erwartet in diesem Jahr nur 1,6 Prozent Wachstum. 2019 rechnet es aber mit einem Anziehen des Wachstums auf 1,9 Prozent. In diesem Punkt unterscheiden sich die neuen Prognosen ein wenig. Einige Institute erwarten, dass das Wachstum im nächsten Jahr noch etwas zunimmt, andere rechnen mit einer leichten Abschwächung.

Alle genannten Institute und der Sachverständigenrat bleiben aber unter den  Wachstumsprognosen der russischen Regierung (2018: 2,1 Prozent;  2019: 2,2 Prozent).

Prognosen gesamtwirtschaftliche Produktion in Russland (21. März 2018)

Schätzung des Bruttoinlandsprodukts, real gegenüber dem Vorjahr, angegeben in Prozent.
InstitutDatum201720182019
RWI Essen21.03.20181,51,71,8
IfW Kiel21.03.20181,51,81,5
Sachverständigenrat21.03.20181,51,91,7
Commerzbank, Frankfurt16.03.181,51,72,1
Berenberg Bank, Hamburg15.03.181,51,91,9
IWH Halle15.03.181,51,61,9
DIW Berlin14.03.181,51,81,9
OPEC14.03.181,51,8
WIIW Wien13.03.181,51,81,6
OECD13.03.181,51,81,5
Deka Bank13.03.181,51,71,8
Economist-Umfrage08.03.181,81,8
FocusEconomics Consensus Forecast06.03.181,51,81,8
Helaba, Frankfurt06.03.181,51,81,7
Reuters-Poll28.02.181,8
Standard&Poor‘s23.02.181,51,81,7
Eurasian Development Bank21.02.181,52,01,9
Economist Intelligence Unit14.02.181,81,71,8
Interfax-Umfrage09.02.181,7
SEB, Stockholm; Nordic Outlook06.02.181,52,22,0
INP/Russian Academy of Sciences06.02.181,51,22,4
Alfa Bank01.10.171,0
Rosstat-Schätzung 201701.02.181,5
BNP Paribas30.01.181,71,61,5
Gaidar Institute25.01.181,4
(53,1 $/b)
1,5
(56,5 $/b)
1,4
(54,3 $/b)
IWF22.01.181,81,71,5
ABN Amro11.01.182,02,01,5
Weltbank, Global Economic Prospects09.01.181,71,81,8
HSE Development Center30.12.171,8
Urals 53,3 $/b
0,4
Urals 55,0 $/b
0,4
Urals 52,0 $/b
Danske Bank19.12.171,92,02,1
Russische Zentralbank;
Basisszenario
15.12.171,7 bis 2,2
Urals 53$/b
1,5 bis 2,0
Urals 55 $/b
1,0 bis 1,5
Urals 45 $/b
Wirtschaftsministerium,
Basisszenario (Haushaltsgesetz)
27.10.172,1
Urals 49,9 $/b
2,1
Urals 43,8 $/b
2,2
Urals 41,6 $/b

RWI Essen zur Konjunktur in Russland

Das Essener Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat die Konjunkturentwicklung in Russland in seiner Frühjahrsprognose ausführlich analysiert (Zwischenüberschriften von Ostexperte.de eingefügt):

Wachstum 2017: Moderate Zunahme des BIP um 1,5 Prozent

„In Russland belebte sich im Vorjahr die Wirtschaftsaktivität nach zwei Jahren rückläufiger Dynamik etwas. Die Produktion nahm, trotz eines starken Anstiegs des Ölpreises, jedoch lediglich um 1,5% zu.

Getragen wurde die moderate Zunahme des BIP im Vorjahr von den Exporten, den Investitionen und dem privaten Konsum.

Das Plus bei den Investitionen war zum großen Teil auf öffentliche Investitionen zum Bau der Erdgas-Pipeline „Power of Siberia“ zurückzuführen. Diese Pipeline dürfte ab Dezember 2019 russisches Gas nach China transportieren. Zudem trug die Auffüllung der Läger stark zur Expansion der Wirtschaft bei.

Der private Konsum erhöhte sich hauptsächlich infolge einer äußerst dynamischen Kreditvergabe. Der öffentliche Konsum nahm hingegen leicht ab.

Die kräftige Zunahme der Importe, auch Folge der elfprozentigen Aufwertung des Rubel, hatte einen niedrigeren Beitrag der Nettoexporte zur Folge.“

Arbeitslosenquote trotz schwacher konjunktureller Erholung gesunken

„Trotz der schwachen konjunkturellen Erholung ging die Arbeitslosigkeit zurück. Ende 2017 betrug die Arbeitslosenquote lediglich 5,2%. Hauptgrund dafür ist die Abnahme der erwerbstätigen Bevölkerung. Trotz aller Maßnahmen, die Immigration qualifizierter Arbeitskräfte zu erleichtern, verlassen mehr Qualifizierte Russland als ins Land kommen (Gaidar Institut et al. 2017).

Leitzinssenkungen nach beschleunigtem Rückgang der Inflationsrate

„Im Einklang mit der schwachen Konjunktur ging die Inflation in Russland von 7,0 % im Durchschnitt des Jahres 2016 auf 3,7% im vergangenen Jahr deutlich zurück. Damit ist die Inflationsrate geringfügig unter dem Inflationsziel der russischen Zentralbank von 4,0%.

Angesichts einer verstärkten disinflatorischen Tendenz in den letzten Monaten, im Zuge derer die Inflation auf jeweils 2,2% in den Monaten Januar und Februar 2018 zurückging, senkte die Zentralbank den Leitzins zweimal, im Dezember 2017 um 50 und im Februar 2018 um 25 Basispunkte auf nunmehr 7,5%.

Zum Rückgang der Inflation trug allerdings auch eine überdurchschnittliche Ernte und die Aufwertung des Rubel bei. Insoweit diese Effekte Einmalcharakter aufweisen und somit im laufenden Jahr entfallen, zeichnet sich das Ende der Phase eines sinkenden Preisauftriebs ab. Eine allmählich wieder anziehende Inflation ist zudem aufgrund der weiteren Erholung des privaten Konsums und der Zunahme der Sozialausgaben im Vorfeld der Wahlen zu erwarten, so dass der geldpolitische Spielraum für weitere Leitzinssenkungen im Jahresverlauf sukzessiv abnimmt.“

Außenhandel und Sanktionswirkungen

„Das Tempo der konjunkturellen Erholung wird weiterhin vor allem von den Nettoexporten bestimmt. Der weltweite konjunkturelle Aufschwung dürfte den Export von Gas, Erdöl und Erdölprodukten stützen.

Die Wirkung der seit Jahren geltenden Sanktionen auf das Wirtschaftswachstum hat nachgelassen. Diese wird derzeit auf 0,5 bis 1,0 Prozentpunkte des BIP geschätzt, nachdem dieser Effekt im Jahr 2015 auf 1 bis 1,5 Prozentpunkte des BIP quantifiziert wurde (Knobel 2018).“

Wachstumsprognosen: 2018 + 1,7 Prozent; 2019 + 1,8 Prozent

„Allerdings dürfte sich die Binnennachfrage weiterhin schwach entwickeln. Aufgrund der sektoralen Strukturschwäche der russischen Wirtschaft und einer schlechten Infrastruktur ist zu erwarten, dass die Investitionsnachfrage verhalten bleibt. Ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften wird das gesamtwirtschaftliche Expansionstempo wohl ebenfalls dämpfen. Alles in allem ist für 2018 und 2019 mit einem Anstieg des russischen BIP um 1,7% bzw. 1,8% zu rechnen.“

Kommentare zur russischen Wirtschaftspolitik

Kieler Institut für Weltwirtschaft zur Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik

Neben dem RWI Essen kommentiert auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft die Konjunkturentwicklung in Russland relativ ausführlich und veröffentlicht Charts zur Entwicklung der russischen Wirtschaft im internationalen Vergleich. Das Institut nimmt auch zur Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik Stellung:

„Wir erwarten, dass in den kommenden Monaten eine weitere Lockerung der Geldpolitik erfolgt. Allerdings wird auch dies nicht dazu führen, dass sich die russische Wirtschaft dynamisch erholt.

Zwar gibt es finanzielle Spielräume für die russische Regierung, sofern der Ölpreis, wie von uns erwartet, deutlich über dem liegt, der der Budgetplanung zugrunde gelegt wurde. Damit dürfte die Finanzpolitik wohl weniger restriktiv ausgerichtet sein, als bisher vorgesehen war.

Nach wie vor ist die Politik der Regierung aber nicht geeignet, das Vertrauen der Investoren, insbesondere auch aus dem Ausland, zu gewinnen, die notwendig dafür sind, um bei dem schrumpfenden Arbeitskräftepotenzial für ein nachhaltiges kräftiges Wachstum zu sorgen.

Alles in allem erwarten wir, dass das russische Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 1,8 Prozent und im Jahr 2019 um 1,5 Prozent zulegen wird.“

Peter Havlik zur langfristigen Entwicklung der russischen Wirtschaftspolitik: „We have our doubts“

Peter Havlik, 1990 bis 2013 Stellvertretender Direktor des WIIW, kommentierte kurz vor der Präsidentschaftswahl die langfristige Entwicklung der russischen Wirtschaft in den beiden letzten Jahrzehnten und ihre Perspektiven. Eine Zusammenfassung einiger seiner Thesen:

Russland wirtschaftliche Entwicklung war in den letzten beiden Jahrzehnten vor allem wegen der schwankenden Energiepreise „volatil“. Die seit einigen Jahren gegebenen Versprechungen der Regierung, die Wirtschaft umzugestalten und auf Innovation auszurichten, haben sich bis heute lediglich als „leere Slogans“ erwiesen.

Das Bemühen um liberale Reformen wurde durch Versuche ersetzt, diverse industriepolitische Instrumente einzusetzen. Begleitet war dies von einer wachsenden Rolle des Staates, mehr Zentralisierung, bürokratischen Kontrollen und Protektionismus. Der Beitritt zur WTO im Jahr 2012 brachte auch nicht den erwarteten Modernisierungsschub.

Wegen des Konflikts mit dem Westen sind die Bemühungen um eine Integration mit Europa allmählich zu Gunsten einer Integration mit Eurasien aufgegeben worden.

Ohne eine „Normalisierung der außenpolitischen Beziehungen“ wird es keine signifikante Modernisierung und Diversifikation der russischen Wirtschaft geben. Ohne sie wird kein Ausbruch aus dem „Teufelskreis“ von Sanktionen, Protektionismus und dem Mangel an Investitionen und wirtschaftlicher Diversifikation gelingen.

Probleme der russischen Wirtschaft stellen neben der Abhängigkeit vom Energiesektor unter anderem die anhaltende Korruption und die Kapitalflucht dar. Sie belasten das Investitionsklima. Der Verfall der Infrastruktur und demografische Probleme müssen ebenfalls adressiert werden.

Es bleibt abzuwarten, ob Putin in diesen Problembereichen Lösungen liefern kann („We have our doubts“). Falls nicht, wird Russland wirtschaftlich wahrscheinlich nicht nur stagnieren, sondern sogar riskieren gegenüber anderen Staaten in Europa (weiter) zurückzufallen.

Quellen und Lesetipps zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland

Neue Konjunkturprognosen:

Russische Konjunkturstatistik:

Wirtschaftsministerium zur Konjunktur:

Zentralbank zur Konjunktur:

Sonstige Konjunkturberichte und -kommentare:

Berichte, Kommentare und Interviews zur Wirtschaftspolitik und zur Präsidentenwahl

Russland-Konferenz in Berlin am 01.03.2018

Putins Rede an die Nation:

Titelbild
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