Kolumne: Der Wettbewerb der Systeme

Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik

Die Globalisierung sollte allen Ländern mehr Reichtum und Teilhabe am technologischen Fortschritt bringen. Stand heute ist das nicht überall gelungen. Der Machtkampf zwischen den Giganten USA und China führt dazu, dass sich Unternehmen und Länder anpassen und entscheiden müssen. Welche Rolle Europa im Systemwettbewerb wird spielen können, bleibt abzuwarten. Wohin Russland sich orientiert, ist unklar.

Ohne Liebe

„Wir müssen den Chinesen etwas entgegensetzen. Die kommen mit billigem Staatsgeld und ohne Liebe. Aber wir Deutsche werden von den Russen immer noch bewundert.“ Diese fast schon poetische Beschreibung des Status Quo, ausgesprochen von einem deutschen Unternehmer mit russischen Wurzeln, könnte schon der Schlusspunkt unter diese Kolumne sein. Erlauben Sie mir trotzdem ein wenig weiter auszuholen. Es ist noch keine zehn Jahre her, da war Deutschland der wichtigste Handelspartner der Russischen Föderation und unangefochten auch der beliebteste. Der damalige Außenminister Steinmeier prägte den Begriff von der deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft. Seitdem haben sich die politischen, die wirtschaftlichen und die gesellschaftlichen Beziehungen ziemlich stark verändert. Und beide Seiten, so hat man das Gefühl, stehen immer noch ein bisschen ratlos vor dieser Situation. Modernisiert werden muss Russlands Wirtschaft immer noch in großem Stil, nur übernehmen chinesische Firmen heute oft diese Aufgabe und schaffen Fakten, die bei einer hoffentlich baldigen Annährung des „Westens“ und Russlands nur sehr schwer wieder rückgängig zu machen sind.

Die Hand an den Tech-Riesen

Um die gesamte Tragweite der Situation zu verstehen, muss man den Blick weiten auf die internationalen Interdependenzen. Eigentlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann der Konflikt um die globale Vorherrschaft zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China eskaliert. Die gegenseitigen Handelsbeschränkungen der Ära Trump waren nur ein erster Vorgeschmack auf das, was die Welt erwartet. Und schon dieser Prolog hat die Weltwirtschaft und vor allem die exportorientierte deutsche Wirtschaft nachhaltig erschüttert. Das Säbelrasseln um Taiwan hat neben dem geopolitischen deshalb auch einen ganz handfesten wirtschaftlich-technologischen Background. Taiwan ist der Technologieführer bei der Chip-Produktion, der Weltmarktführer TSMC hat einen Marktanteil von über 50 Prozent. Wie gigantisch die Auswirkungen sind, wenn die Lieferkette in diesem Produktionsprozess reißt oder stockt und wie viele unterschiedliche Branchen davon betroffen sind, wird in diesen Tagen überdeutlich. Wer seinen Einfluss auf Taiwan vergrößern kann, hat automatisch auch die Hand an den großen Tech-Konzernen und dem „Rest“ der Weltwirtschaft.

Es braucht politischen Willen und sehr viel Geld

Die neuerdings sehr gern kolportierte Diversifizierung der Lieferketten und der Bau eigener Produktionsanlagen in Europa werden Zeit und sehr viel Geld kosten, vom Know-how und den Spezialisten, die man dafür braucht, ganz zu schweigen. Die Verteilung der Lieferanten über den gesamten Globus folgte ja eben dem Prinzip der permanenten Verfügbarkeit bei gleichbleibender Qualität und wettbewerbsfähigen Preisen, die man in Europa nicht garantieren konnte und kann. Zurück zu den Halbleitern: Der Bau einer Chip-Fabrik kostet je nach Größe und Kapazität mehrere Milliarden Euro. Am Beispiel der Maskenproduktion lässt sich allerdings sehr gut illustrieren, wie schnell das Interesse der politischen Entscheidungsträger erlahmt. Und politischer Wille ist für den Aufbau eigener Produktionskapazitäten unabdingbar. Auf dem Höhepunkt der ersten Welle der Pandemie, und der an schlechte Mafiafilme erinnernden Beschaffung mit Geldkoffern auf Flughafenrollfeldern, forderten viele Politiker sofort mit der Produktion in Deutschland zu beginnen und versprachen großzügige Förderung. Heute kommt der Großteil der medizinischen Masken immer noch aus China. Deutsche Produkte wurden nicht geordert, weil sie zu teuer sind, die Unternehmer mit ihren Bemühungen allein gelassen!

Kann Europa eine Rolle spielen?

Die größte Herausforderung für zahlreiche deutsche und europäische Unternehmen besteht darin, sich so aufzustellen, dass sie jetzt und in Zukunft den amerikanischen und den chinesischen Markt beliefern können. Beide gleichzeitig aus Deutschland zu bedienen, scheint so gut wie ausgeschlossen. Viele globale Konzerne arbeiten schon intensiv an der juristischen Trennung der Unternehmensteile, um auf den Fall der Fälle vorbereitet zu sein, lokale Produktionen inklusive. Ob Europa bei diesem Kräftemessen eine signifikante Rolle spielen kann, hängt von Europa ab. Nur ein konsolidiertes Auftreten wird dem Kontinent die wirtschaftliche Stärke und politisches Gehör verschaffen. Danach sieht es aktuell nicht aus. Aber, kein einziges europäisches Land hat auch nur annähernd die Ressourcen, um im Konzert der Großen mitzuspielen. Womit wir wieder bei Russland wären. Unter Präsident Putin ist das Land politisch und militärisch wieder ein internationaler Akteur von Gewicht geworden. Wirtschaftlich gesehen ist Russlands Bedeutung eher gering. Daran ändert auch die permanente Überhöhung der Bedeutung als Öl- und Gaslieferant nichts.

Schon wieder Lokalisierung

Es gibt de facto keinen Wirtschaftsbereich in dem Russland Weltspitze ist, klammert man den Rüstungssektor aus. Neuestes Militärgerät braucht eines allerdings in großer Zahl: Hochleistungs-Chips, die in Russland bisher nicht produziert werden. Die reflexartige Reaktion der Regierung besteht in der Forderung nach Lokalisierung. Abgesehen von den enormen Kosten, die dafür notwendig wären, fehlt es an Maschinen und Anlagen für die Produktion von Halbleitern. Fraglich scheint auch, wie sinnvoll eine Entwicklung von Prozessoren nur für den russischen Markt ist. Gerade im Bereich der Mikroelektronik ist internationale Kooperation Standard, werden Produkte auf ihre Interoperabilität hin entwickelt und sollten kompatibel mit gängiger Software sein. Die oben beschriebene Anpassung des Geschäftsmodells europäischer Produzenten macht eine weitere Produktion in Russland eher unwahrscheinlich.

Mehr Staat, weniger Markt

Das größte Manko dieses Plans ist jedoch die staatliche Steuerung ohne wirkliche Marktorientierung. Gerade im Bereich der Chips und Prozessoren ist die Entwicklung atemberaubend schnell. Getrieben von den Forderungen der Industrie nach Angeboten im Bereich künstliche Intelligenz, Plattform-Ökonomie, oder auch Smart Manufacturing arbeiten weltweit Spezialisten an den besten Lösungen. Nationale Standards und Insellösungen sind nicht wettbewerbsfähig und in aller Regel auch zu teuer. Chinesen und Amerikaner entwickeln ja gerade nicht nur für den heimischen Markt, sondern um Ihren Standard international durchzusetzen. Die gebündelte Intelligenz der europäischen Wissenschafts-Hubs könnte diese Monopole brechen. Für Russland stellt sich wie so oft die Frage: Wo gehöre ich hin? Mit den USA und China zu konkurrieren, erscheint illusorisch. Wenn das mit der Bewunderung der Deutschen auch nur ansatzweise stimmt, ist klar, wo Russlands Zukunft liegt. In Europa. Der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de.

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