Institut: Fiskalpolitik schuld an russischer Wirtschaftslage

Wirtschaftsinstitut kritisiert russische Fiskalpolitik ++ Ukraine arm wegen Geopolitik

Das vor allem durch seine Forschung zu Volkswirtschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa bekannte „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche“ (wiiw) hat die Fiskalpolitik der russischen Regierung deutlich kritisiert.

In einem Bericht zu Österreichs Wirtschaftsbeziehungen mit den MOSOE-Ländern, der auch am Donnerstag veröffentlichte neue Wachstumsprognosen des Instituts enthält, schreibt es zur Konjunktur in Russland:

„In Russland (…) hat der restriktive fiskalpolitische Kurs die Wirtschaft an den Rand einer Rezession gebracht.“

Wachstumsprognose für 2019 um 0,5 Prozentpunkte gesenkt

Das wiiw senkte in seiner „Sommerprognose“ seine Erwartung für das diesjährige Wachstum in Russland von 1,8 Prozent auf 1,3 Prozent. Unter den Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa sei dies die „zweitschlechteste Performance“, so das Institut. Schlechter werde sich die Konjunktur in diesem Jahr voraussichtlich nur in der Türkei mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 1,2 Prozent entwickeln.

In den anderen Ländern der Region kühle sich die Konjunktur zwar auch ab, aber viel weniger als noch im Frühjahr erwartet worden sei. Für die Mehrheit der Länder revidierte das wiiw seine Prognosen nach oben. Vor allem in der EU-MOE-Region habe sich das Wachstum vom Abschwung im Euro-Raum recht deutlich abgekoppelt.

Zur Erklärung der Abschwächung des Wachstums in Russland meint das Institut:

„Dafür ist vor allem der sehr restriktive fiskalpolitische Kurs verantwortlich, der darauf abzielt, die Widerstandsfähigkeit der russischen Wirtschaft gegenüber den westlichen Sanktionen durch Akkumulation von Reserven und Schuldenrückzahlung zu erhöhen.“

Auf seiner „Russland-Seite“, die einen tabellarischen Überblick zur Entwicklung wichtiger Konjunkturindikatoren bis 2021 bietet, wiederholt das wiiw diese Kritik der Politik der russischen Regierung.

In einer Pressemitteilung zur „Sommerprognose“ nennt das Institut neben der „sehr restriktiven Fiskalpolitik“ aber auch die niedrigeren Ölpreise als wichtigste Ursachen für den „Wachstumseinbruch in Russland“.

WIIW: „Sehr problematisches Investitionsklima“ in Russland

Das Wiener Institut weist außerdem darauf hin, dass das Investitionsklima in Russland „sehr problematisch“ sei, was zum großen Teil auf den nicht ausreichenden Schutz der Eigentumsrechte und die hohe Korruption und nur teilweise auf die Sanktionen zurückgeführt werden könne.

Das Institut berichtet, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion im ersten Quartal 2019 in Russland nur 0,5 Prozent höher war als vor einem Jahr. Russlands „relativ solides“ BIP-Wachstum von 2,3% im Jahr 2018 sei nicht zuletzt durch den Ölpreisanstieg und die fiskalpolitische Lockerung im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen und der Fußballweltmeisterschaft ermöglicht worden. Diese beiden Faktoren seien im laufenden Jahr nicht mehr wirksam.

Die Verschuldung der Verbraucher sieht auch das wiiw mit Sorge

Das wiiw greift in seinem Forschungsbericht auch die Diskussion über konjunkturelle Risiken der rasch wachsenden Verschuldung der Verbraucher in Osteuropa auf. Das Institut meint dazu:

„Vor allem in Russland geben diese Entwicklungen Anlass zur Sorge: hier wurde die leichte Zunahme des privaten Konsums im I. Quartal 2019 ausschließlich durch Kredite finanziert, während die Haushaltseinkommen erneut zurückgingen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte diese Entwicklung in Russland (und eventuell auch in der Ukraine) auf eine sich bildende Blase hindeuten, was mittelfristig in einer Bankenkrise resultieren kann.“

Ähnliche Befürchtungen hatte Russlands Wirtschaftsminister Oreschkin in einer Diskussion beim Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg geäußert (siehe Ostexperte.de-Bericht). Zentralbank-Präsidentin Nabiullina widersprach  diesen Befürchtungen jedoch entschieden. Die Diskussion über die Risiken der Verbraucherverschuldung flammte zwischen Wirtschaftsministerium und Zentralbank seither immer wieder auf.

WIIW: Wachstum wird trotz Infrastruktur-Programm unter 2 Prozent bleiben

In den kommenden Jahren wird sich das Wachstum in Russland laut wiiw nur leicht beschleunigen. 2020 rechnet das Institut mit einem Anstieg des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts auf 1,7 Prozent, 2021 erwartet es 1,9 Prozent Wachstum.

Zur Erklärung meint das Institut in seinem Forschungsbericht:

„Der Hauptgrund für die erwartete mäßige Beschleunigung ist die geplante Implementierung von Infrastrukturprojekten, die darauf abzielen, Russland bis 2024 (das Jahr der nächsten Präsidentschaftswahl) zu einer der Top-5-Volkswirtschaften der Welt zu machen. Insgesamt sollen bis 2024 etwa 345 Mrd. Euro investiert werden, was 24% des russischen BIP entspricht.

Allerdings soll die Finanzierung zu einem großen Teil aus höheren Mehrwertsteuereinnahmen sowie aus den Ersparnissen aus der 2018 verabschiedeten Rentenreform kommen, so dass sich der Nettoeffekt der fiskalischen Expansion in Grenzen halten dürfte.“

Ein „Abwärtsrisiko“ für seine Wachstumsprognosen sieht das wiiw in weiteren US-Sanktionen gegen Russland. Die Wahrscheinlichkeit dafür bleibe nach wie vor hoch. Sanktionen könnten weitere wirtschaftliche Einbußen und Rückgänge von ausländischen Direktinvestitionen mit sich bringen.

Unicredit erwartet 2020 weitere Wachstumsabschwächung

Die Wachstums-Prognosen des wiiw für 2019 bis 2021 entsprechen weitgehend aktuellen durchschnittlichen Ergebnissen von Umfragen bei Analysten. So ergab die jüngste Umfrage des Research-Unternehmens FocusEconomics, die am 02. Juli veröffentlicht wurde, dass nach einem Rückgang des Wachstums auf 1,4 Prozent im laufenden Jahr 2020 und 2021 im Durchschnitt jeweils 1,8 Prozent Wachstum zu erwarten ist.

Deutlich skeptischer zur russischen Konjunktur äußerten sich Ende Juni in ihrem vierteljährlich erscheinenden Bericht „CEE Quarterly“ die Volkswirte der Mailänder Bank Unicredit. Obwohl sie nicht damit rechnen, dass die Sanktionen weiter verschärft werden, gehen sie davon aus, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft weiter abschwächt und nach 1,2 Prozent in diesem Jahr 2020 nur noch 1,0 Prozent erreicht.

Hat sich Russland seit 1989 dem westlichen Wohlstandsniveau genähert?

Anlässlich des Falls der Berliner Mauer vor 30 Jahren analysierte das wiiw in seinem Forschungsbericht auch, wie stark sich das Wohlstandsniveau in den Ländern in Mittel- und Osteuropa (gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zu Kaufkraftparitäten) seither dem Niveau in Österreich genähert hat.

Aus einem Chart auf Seite 14 lässt sich ablesen, dass das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Russland 1989 nur etwa 38 Prozent des österreichischen Niveaus erreichte. Bis 2018 ist es Russland immerhin gelungen, den Anteil um rund 10 Prozentpunkte zu steigern und 2018 rund 48 Prozent des österreichischen Niveaus zu erreichen (siehe auch Chart 14 in der wiiw-Präsentation).

Einige Länder in Mittel- und Osteuropa haben aber viel stärker aufholen können. Estlands BIP pro Kopf zu Kaufkraftparitäten lag im Jahr 1990/91 nur bei 28% des österreichischen Niveaus, übersteigt aber mittlerweile 60%. Auch Tschechien, Litauen, Polen, Rumänien und die Slowakei haben mehr als 20 Prozentpunkte des österreichischen Niveaus aufgeholt.

Das Wohlstandsniveau in der Ukraine und Moldau ist hingegen gegenüber Österreich deutlich zurückgefallen. Das wiiw schreibt dazu: „Beide Länder haben, nicht zuletzt infolge interner Konflikte und der ständigen geopolitischen Rivalität zwischen Russland und der EU, einen wichtigen Teil ihrer wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland verloren, der nur zum Teil durch die neu entstandenen Exportmöglichkeiten in die EU wettgemacht wurde. Mit 13% bzw. 16% des österreichischen Niveaus bei ihrem BIP pro Kopf sind Moldau und die Ukraine derzeit die ärmsten Länder Europas.“

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: Viacheslav Lopatin / Shutterstock.com
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Quellen und Lesetipps

Zur „Sommerprognose“ des wiiw:

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte (meist monatlich, vierteljährlich)

Sonstige Veröffentlichungen zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann seit Ende Mai 2019:

Klaus Dormann: Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland
Veröffentlichung des Deutsch-Russischen Wirtschaftsclubs Düsseldorf; 38 Seiten, 02.06.2019