Hochschul- und Berufsbildung in Kasachstan und Deutschland. Eine Bestandsaufnahme.
In der Botschaft der Republik Kasachstan in Berlin fand am 12.02.2025 ein „Runder Tisch“ zum Thema „Bildungs- und Wissenschaftskooperationen zwischen Kasachstan und Deutschland: Stand und Perspektiven“ statt. An der hochkarätig besetzten Veranstaltung nahmen Vertreter aus unterschiedlichsten Ministerien teil. Ebenso anwesend waren führende Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen aus Deutschland sowie Experten auf dem Gebiet der dualen und beruflichen Ausbildung.
In diesem Artikel erfahren Leser, wie Kasachstan und Deutschland im Bereich Hochschul- und Berufsbildung zusammenarbeiten, welche Herausforderungen und Chancen die duale Ausbildung in Kasachstan mit sich bringt und welche Strategien zur Qualifizierung von Fachkräften diskutiert wurden. Zudem gibt der Artikel Einblicke in erfolgreiche Bildungsprojekte, Expertenmeinungen und die Bedeutung internationaler Standards für eine wettbewerbsfähige Berufsausbildung.
Kasachstans „Jahr der Facharbeitsberufe“
Eingeleitet wurde das Symposium mit den Worten des Botschafters der Republik Kasachstan, S. E. Nurlan Onzhanov. Er wies darauf hin, dass das Jahr 2025 vom Präsidenten der Republik Kasachstan, Kassym-Schomart Tokajew, zum „Jahr der Facharbeitsberufe“ erklärt wurde. Das oberste Ziel dieser Kampagne ist es, die technische und berufliche Bildung in Kasachstan umzugestalten. Gleichzeitig soll das Jahr der Fachberufe auch dazu beitragen, Werte wie Fleiß und Professionalität zu fördern. Diese und weitere Komponenten sollen es ermöglichen, dass Kasachstan international weiterhin auf höchstem Niveau wettbewerbsfähig bleibt. Dazu bedarf es hochqualifizierter Fachkräfte, um ein nachhaltiges industrielles Wachstum sicherzustellen. Einige der Hauptaufgaben, um die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Kasachstans voranzubringen, sind: Einführung bewährter internationaler Managementpraktiken, Steigerung des professionellen Niveaus der Lehrkräfte, Einführung internationaler Anforderungen (Standards in Bildungsprogrammen) und Förderung der akademischen Mobilität der Studierenden.
Fachkräftemangel in Schlüsselbranchen
Besonders in folgenden strategischen Schlüsselbranchen werden in Kasachstan hochqualifizierte Fachkräfte benötigt:
- Metallurgie
- Bergbauindustrie
- Energie
- Landwirtschaft
- Informationstechnologien
- Maschinenbau
- Bauwesen
- Leichtindustrie
- Öl- und Gasindustrie (Raffinierung)
- Wasserressourcen (Hydrologie)
- Transport und Logistik
- Nahrungsmittelproduktion
In diesem Zusammenhang sprach der Botschafter über die dynamische Entwicklung der kasachisch-deutschen Partnerschaft im Bildungsbereich, aber auch über die Bedeutung des Ausbaus der Zusammenarbeit im Bereich der dualen Aus- und Weiterbildung von Fachkräften. Weiter erläuterte der Botschafter diverse Kooperationen und Gründungen von Universitätsprojekten und erwähnte in diesem Zusammenhang die Kasachisch-Deutsche Agraruniversität in Türkestan. Diese Initiative wurde im Februar 2024 ins Leben gerufen und zielt darauf ab, junge Fachkräfte für die Agrarwirtschaft auszubilden und somit gleichzeitig den Schwerpunkt Agrarwirtschaft in der Region zu stärken.
Ehrung von Prof. Dr. Rommel und Bedeutung der dualen Ausbildung

(Botschafter der Republik Kasachstan) und
Prof. Dr. Rommel (Präsident der Deutsch – Kasachischen Universität).
Bevor die Diskussion mit Fachbeiträgen eröffnet wurde, wurde Prof. Dr. Rommel, Präsident der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU) in Almaty, feierlich für seine Dienste und für sein Engagement in den Deutsch-Kasachischen Beziehungen geehrt. Der Botschafter verlieh, auf Beschluss des Staatspräsidenten Kassym-Schomart Tokajew, den Staatsorden „достық“ 2. Grades. „Dostik /достық“ bedeutet auf Kasachisch: Freundschaft. Es ist die höchste staatliche Auszeichnung, die in der Regel an ausländische Persönlichkeiten verliehen wird. Der Präsident der DKU, Prof. Dr. Rommel, eröffnete anschließend die Diskussion und verwies in seiner Rede auf die geopolitischen Veränderungen. Zentralasien, insbesondere Kasachstan, steht plötzlich im Fokus der Wirtschaft und der Öffentlichkeit. Als Präsident einer eher anwendungsorientierten Hochschule verwies er auf die Wichtigkeit langfristiger Projekte, die gerade im Bereich der dualen Ausbildung eine große Rolle spielen. Das duale Ausbildungssystem ist ein in Deutschland entwickeltes Format, das international hohe Anerkennung findet. Es wird als duales System bezeichnet, da es an zwei Lernorten stattfindet: zu circa 70 % im Betrieb und circa 30 % in der Berufsschule.
Herausforderungen der dualen Ausbildung
Die Herausforderung dieses Systems ist es, unterschiedliche Ausbildungsformate miteinander in Einklang zu bringen und somit die Unternehmen davon zu überzeugen, Geld in die Ausbildung zu investieren, um am Ende hochqualifizierte Fachkräfte im Unternehmen zu halten. Ein besonders wichtiger Aspekt in der dualen Ausbildung ist die Meister-Lehrlings-Beziehung. Diese muss sehr gut funktionieren, basiert auf Vertrauen und wird nach wie vor in vielen Unternehmen unterschätzt. Die duale Ausbildung ist mit vielen Unwägbarkeiten konfrontiert. So unter anderem, dass es gelingen muss, Unternehmen, sowohl auf deutscher als auch auf kasachischer Seite, davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, dieses Ausbildungssystem zu unterstützen. Dazu bedarf es Vertrauen auf beiden Seiten. Doch, so Prof. Rommel weiter, es lohnt sich, wenn man sich auf die Besonderheiten einlässt. Insgesamt ist es aber wichtig, nicht nur hochqualifizierte Fachkräfte auszubilden, sondern auch die Basis muss gewährleistet sein. Dies bedeutet, dass der Elektriker ebenso wie der Mechatroniker ebenfalls an Ort und Stelle an den Hochschulen aufzufinden sein müssen. Die DKU wird zukünftig mit der AHK in Almaty enger zusammenarbeiten.
Deutsche Initiative iMOVE und Bedeutung der Berufsbildung
Als nächster Redner trat Peter Pfaffe auf, Vertreter von iMOVE und zuständig für die Region Zentralasien. „iMOVE – Training in Germany“ unterstützt deutsche Bildungsdienstleister auf ihrem Weg in internationale Märkte und fördert die Fachkräftegewinnung für Deutschland. Es ist eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, angesiedelt beim Bundesinstitut für Berufsbildung (bibb). Mit dem Slogan „Training – Made in Germany“ wirbt iMOVE im Ausland für deutsche Kompetenz in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Der Referent stellte unter anderem die Frage, wie eine engere Kooperation zwischen Kasachstan und Deutschland im Bereich der beruflichen Bildung möglich sein könnte, getrieben durch privatwirtschaftliches Engagement.
Podiumsdiskussion und wirtschaftliche Perspektiven
Als zentrales Element des „Runden Tisches“ fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „Duale und berufliche Bildung“ statt. Experten tauschten sich über die Entwicklungsperspektiven des Berufsbildungssystems aus. Tobias Bolle, Leiter der Internationalen Berufsbildung bei der DIHK, betonte, dass die DIHK ausländische Industrie- und Handelskammern und Delegationen bei der Umsetzung der dualen Ausbildung, dem Aufbau von Kompetenzen, der Entwicklung von Bildungsprogrammen und der Schaffung nachhaltiger Initiativen unterstützt. Thomas Helm präsentierte eine Studie über das kasachische duale Ausbildungssystem, während Frank Belkner und Christopher Dürr erfolgreiche Kooperationen mit deutschen Unternehmen vorstellten.
Fazit und Zukunftsperspektiven

Liberaler Mittelstand Berlin.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Frage-und-Antwort-Runde mit dem fachkundigen Publikum, in deren Verlauf vielversprechende Bereiche der Zusammenarbeit und mögliche gemeinsame Projekte diskutiert wurden. Prof. Dr. Rommel erwähnte, dass es in Kasachstan eine Herausforderung ist, junge Menschen in Unternehmen zu halten, da sie oft schnell wechselwillig sind. Familien haben großen Einfluss auf die Berufswahl, sodass Unternehmen verstärkt auch Eltern einbinden sollten. Ein attraktives Vergütungssystem könnte dazu beitragen, junge Fachkräfte an Unternehmen zu binden. Der Botschafter betonte abschließend die Unterstützung der kasachischen Regierung für deutsch-kasachische Bildungsprojekte. Kasachstan braucht hochqualifizierte Arbeitskräfte, und daher spielt auch die Sprache eine wichtige Rolle. Die Hochschul- und Berufsausbildung in Kasachstan muss weiterentwickelt werden, neue Projekte sollen gefördert und initiiert werden. Große Firmen wie Knauf, Claas, Bosch oder Siemens sollen nach Kasachstan kommen. Das Veranstaltungsformat war ein voller Erfolg und bestätigte das große Interesse beider Seiten an einer vertieften Bildungs- und Wissenschaftskooperation.
Über den Autor:

Dipl. Chem. Christian Grosse ist Gründer und President der Organisation Open International Dialogue, einer internationale Plattform zur Förderung des direkten Dialogs zwischen den Disziplinen Politik, Wirtschaft, Kunst, Kultur, Sport, Bildung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Ebenso ist er Landesvorsitzender des Bundesverbandes Liberaler Mittelstand Berlin e.V...
Photos by Botschaft der Republik Kasachstan