Kolumne: Gemischtes Doppel #9 – Nach Moskau?

Gemischtes Doppel #9 – Nach Moskau?

Heute ist Montag, der 10. Oktober 2016, willkommen beim Gemischten Doppel. Diesmal Inga Pylypchuk (UA): Sollten ukrainische Journalisten noch nach Russland fahren – auch mit dem Risiko, im Knast zu landen?


Manchmal werde ich wütend. Zum Beispiel, wenn ich höre, alle Ukrainer sollten jetzt nur noch Ukrainisch reden. So würde man Putin zeigen, dass wir etwas anderes sind als Russland. Wirklich? So einfach stellt ihr euch das vor.

Ich werde wütend, weil ich in diesen Momenten beinahe körperlich fühle, wie dieser Krieg mir etwas wegnehmen will. Meine Muttersprache. Kann es sein, dass irgendein Putin mit seiner geopolitischen Megalomanie und kriegerischen Aggression mich dazu bringt, nicht mehr auf Russisch zu träumen? Ist es nicht eher so, dass wir Ukrainer ihm nachgeben, wenn wir auf die russische Sprache verzichten? Denn es ist sein Spiel, zu behaupten, dass alle, die Russisch sprechen, Russen sind. Ein verlogenes Spiel.

Noch wütender werde ich, wenn in Russland Ukrainer festgenommen werden und in Gefängnissen verschwinden. Wie etwa der ukrainische Journalist Roman Suschtschenko, der vor einer Woche in Moskau verhaftet wurde. Ganz zufällig entdeckten ihn Menschenrechtsbeauftragte in einem Gefängnis. Nicht mal seine Frau durfte er anrufen. Nun wird er der Spionage beschuldigt. Mehr als zwanzig Ukrainer sitzen in russischen Gefängnissen, ohne dass ihre Schuld bewiesen wäre.

So zynisch es ist: Man hat sich fast schon daran gewöhnt, dass Ukrainern aus politischen Motiven Prozesse in Russland gemacht werden. Und jetzt eben ein Journalist. Die am weitesten verbreitete Interpretation in den ukrainischen sozialen Netzwerken heißt: Selbst schuld, wenn er in diesen kriegerischen Zeiten nach Russland fährt.

Und schon wieder werde ich so verdammt wütend. Denn in diesem Moment merke ich, wie mir der Glaube an meinen Beruf entgleitet, den Journalismus. Natürlich könnte man einfach aufhören, nach Russland zu fahren, weil es zu gefährlich ist. Aber ist nicht gerade das die Pflicht eines Journalisten, trotz allem zu fahren, mit eigenen Augen zu sehen, mit Menschen zu sprechen, eigene Erfahrungen zu machen, auch wenn es nicht immer einfach ist?

Was bleibt uns, wenn wir über Russland nur noch aus der russischen Propaganda erfahren? Was bleibt uns – außer blankem Hass? Und hieße es nicht schlicht, zu kapitulieren, würde man sich der Angst hingeben und einfach nicht mehr nach Russland reisen? Ist es nicht genau das, wozu die russische Kriegslogik uns Journalisten (und schließlich nicht nur ukrainische!) bewegen will?

Die Nachricht von Suschtschenkos Verhaftung erreicht mich in Moskau, wo ich an einer journalistischen Konferenz teilnehme. Eines der Themen, die besprochen werden, lautet: Wie kann der Dialog zwischen Europa und Russland aussehen? Noch Tage danach frage ich mich, ob mein Dialog mit Russland noch eine Zukunft hat. Dieses Mal bin ich noch gekommen. Ich, Journalistin, mit einem ukrainischen Pass. Aber traue ich mich noch einmal?


Gemischtes Doppel: Russland/Ukraine
Das Gemischte Doppel (v.l.): Ian Bateson (UA), Maxim Kireev (RU), Inga Pylypchuk (UA) und Simon Schütt (RU).

Das Gemischte Doppel gibt persönliche (Ein)-Blicke auf die Ukraine und Russland, geschrieben von Inga Pylypchuk und Ian Bateson (Ukraine) sowie Maxim Kireev und Simon Schütt (Russland).

Das Gemischte Doppel ist Teil des Internationalen Presseclubs „Stereoscope“ von n-ost. Die Kolumne erscheint künftig montags auf ostpol und hier auf Ostexperte.de. Außerdem können Sie sich hier in den „Gemischtes Doppel“-Newsletter eintragen. 

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