Gemischtes Doppel #18: Ende der UdSSR – war da was?
Liebe Leserinnen und Leser,
finden Sie nicht auch, dass 25 Jahre eine verdammt lange Zeit sind? Lange genug zumindest, um sich an einige Details nicht mehr genau zu erinnern. Etwa an den Zerfall der Sowjetunion, der in diesen Dezembertagen vor einem Vierteljahrhundert endgültig besiegelt wurde.
Vergleich der EU mit der UdSSR
In der letzten Woche konnte man derweil den Eindruck gewinnen, dass die neueste russische Geschichte den Medien in Deutschland wichtiger ist als in Russland selbst. Am achten Dezember begann mit der Gründung der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) formal das Ende der Sowjetunion. Deutsche Blätter druckten zahlreiche Artikel. An Russland dagegen, zitieren wir an dieser Stelle mal den berühmt-berüchtigten Nachrichtensprecher des Staatssenders Rossija-1 Dmitrij Kisseljow, sei der Jahrestag unauffällig „vorbeigepfiffen“.
Man hätte natürlich die ein oder andere Lobeshymne auf die UdSSR aufzeichnen können. Doch selbst dem sonst recht kreativen Nachrichtenmann Kisseljow fiel nichts Besseres ein als ein schnöder Vergleich der EU mit der UdSSR. Die Europäer, so heißt es, seien die neuen Sowjets, denen nun die gleiche Erfahrung bevorstehe. Keine der üblichen Verschwörungstheorien, etwa jene, der Untergang der Sowjetunion sei vor allem auf eine geheime Doktrin (in Experten-Kreisen auch Dulles-Plan genannt) zurückzuführen. Gern gehört war hierzulande auch die These, hinter dem Ölpreis-Sturz der 80er Jahre, der die Sowjetwirtschaft in den Abgrund stürzte, hätten die… – na, wer wohl? Richtig: …die US-Amerikaner gestanden.
Die Zeit der angeblichen West-Ost-Harmonie
Während meiner Kindheit, in der Zeit angeblicher west-östlicher Harmonie, gab es ein gutes Dutzend solcher Geschichten, warum das passierte, was Putin später als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnete. Doch schon damals fragte ich mich, warum denn diese allmächtigen Herren im Kreml keinen Gedanken daran verschwendet hatten, dass jemand auf die Idee kommen könnte, den Ölpreis abstürzen zu lassen, wenn sie sich komplett davon abhängig machten. In anderen Worten: Warum sollte es so leicht gewesen sein, die Sowjetunion in die Knie zu zwingen?
Von Jahr zu Jahr erhitzt das Ende der Sowjetunion die Gemüter der Russen weniger. Klar, es gibt eine handfeste Nostalgie. Im Supermarkt wollen Fleischkonserven zum Beispiel mit der Aufschrift CCCP den Eindruck erwecken, Qualität aus guter alter Zeit zu liefern, genauso wie manche Kantinen-Ketten mit sowjetischer Küche locken. Ein Restaurant unweit des Kremls nannte sich kurzerhand NKWD, benannt nach der Vorgängerorganisation des Geheimdienstes KGB.
Unterschied zwischen Nostalgie und Gegenwart
Tatsächlich erschrecken viele, wenn jemand anfängt, ernsthaft von der Sowjetunion zu schwärmen. Denn es klingt auch für Russen fast so, als suchte man nach den guten Seiten der Nazi-Zeit. Dabei können sie auf wundersame Weise zwischen Nostalgie und Gegenwart unterscheiden. Wer gerne mal in der UdSSR-Kantine isst, will deswegen nicht auf Pizza, Sushi oder Burger King verzichten. Und schon gar nicht seine ausländische Automarke gegen ein heimisches Fabrikat tauschen!
Über 50 Prozent der Russen bedauern den Zerfall der Sowjetunion, aber nur zwölf Prozent wollen sie in alter Form wiederhaben. Denn für viele Russen war die Sowjetunion nicht einfach nur ein kommunistisches Weltreich, sondern auch das alte Russland, beherrscht von Kommunisten. Oder besser gesagt: Nicht jeder, der der Sowjetunion nachtrauert, ist ein Stalinist oder ein menschenverachtender Hund, wie man es auf den ersten Blick annehmen könnte. Sogar der in Deutschland noch immer verehrte Michail Gorbatschow wollte sie ja erhalten, wenn auch in reformierter Form. Für viele ist die Sowjetunion einfach verlorene Heimat oder die Sehnsucht nach der eigenen verflossenen Jugend.
Seitenhieb gegen die EU
Deshalb lässt sich das Thema auch nicht so leicht für die Propaganda missbrauchen. Zumal viele Russen, die so zahlreich das Ende der Sowjets bedauern, um eine Frage nicht herumkommen: Wo genau wart ihr denn, als euer geliebtes Land begraben wurde? Viele saßen zu Hause, andere standen Schlange nach Lebensmitteln, wiederum andere fuhren zu Verwandten aufs Land oder auf die Datscha. Es ist wohl eine Zeit, an die sich die wenigsten gern erinnern lassen wollen, auch nicht von Kisseljow. Daher eignet sich die Geschichte vielleicht doch noch am besten für einen EU-Seitenhieb. Ohne freilich – Gott bewahre – zur Selbstreflexion anzuregen!