„Eiserner Vorhang 2.0“ – Reisen in Zeiten von Sanktionen

Gesperrte westliche Bankkarten und keine Direktflüge: das Reisen nach Russland ist aktuell gar nicht so einfach. Karsten Packeiser vom Russland-Blog “Rhein-Wolga-Kanal” über das Reisen in Zeiten von Sanktionen.


Thomas Baier: Auf Ihrem Blog „Rhein-Wolga-Kanal“ ging es immer auch um das Reisen nach Russland. Wie hat sich die Lage für Reisen nach Russland verändert seit den Sanktionen?

Karsten Packeiser: Die Lage für Reisen nach Russland hat sich natürlich sehr verschlechtert. Es gibt kaum noch Möglichkeiten, zwischen Ost und West zu reisen, es ist komplizierter und teurer als je zuvor. Direkte Flüge zwischen der EU und Russland wurden aufgrund der Sanktionen eingestellt. Probleme gibt es auch auf dem Landweg, da westliche Nachbarstaaten Einreiseverbote für russische Staatsbürger erlassen haben.

Baier: Welche Möglichkeiten gibt es noch für Deutsche nach Russland zu reisen?

Packeiser: Die beliebtesten Routen scheinen derzeit Flüge über die Türkei oder über arabische Länder zu sein. Für diejenigen, die auf dem Landweg reisen, kann es lohnenswert sein, von Deutschland aus nach Riga, Tallinn oder Helsinki zu fliegen und von dort aus weiterzureisen.

Baier: Ist es überhaupt noch möglich für europäische Staatsbürger, ein Russland-Visum zu bekommen? Und wie hat sich der Visa-Prozess in den letzten Monaten verändert?

Packeiser: Ja, es ist erstaunlich, dass sich bei der Visa-Vergabe von russischer Seite nichts geändert hat, trotz der schlechten Beziehungen zwischen den Ländern. Die schwarze Liste, auf der politische Akteure stehen, wurde jedoch ausgeweitet. Normalerweise kann man trotzdem wie früher über einen Vermittler ein Visum bekommen, aber es dauert länger. Dies kann daran liegen, dass weniger Personal verfügbar ist, weil die Nachfrage nach Visa zurückgegangen ist. Man sollte eine Woche mehr Zeit einplanen. Für Russen, die nach Deutschland reisen wollen, ist es wegen der Sanktionen schwieriger geworden. Es ist praktisch unmöglich, auf dem Landweg anzureisen und es wird nicht mehr akzeptiert, eine Krankenversicherung in Russland abzuschließen. Stattdessen müssen sie sich in Deutschland versichern. Es reicht nicht mehr, ein hohes Einkommen in Russland nachzuweisen, sondern man braucht eine Verpflichtungserklärung einer deutschen Ausländerbehörde.

Baier: Wie ist die Sicherheit für Deutsche und EU-Bürger in Russland zurzeit?

Karsten Packeiser
Karsten Packeiser

Packeiser: Es kommt darauf an. Es gibt Gebiete in Russland, die betroffen sind von Kriegshandlungen, wie Belgorod oder Kursk. Es ist wichtig, dies zu berücksichtigen, wenn man dorthin reist. In den großen Metropolen wie Moskau und St. Petersburg hat sich nicht viel verändert im Vergleich zu vor dem Krieg. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass man als Bürger eines Landes, das als unfreundlicher Staat gilt, unbekannten Risiken ausgesetzt sein könnte. Momentan braucht man sich aber eigentlich keine besonderen Sorgen um die Sicherheit in Russland als westlicher Ausländer zu machen.

Baier: Wie sieht es mit Preisen und Verfügbarkeit für Flüge nach Russland aus?

Packeiser: Die Preise sind katastrophal, besonders für Familienbesuche bei Verwandten in Sibirien. Es gibt sehr wenige Flüge und der Bedarf besteht dennoch. Man muss mit mindestens 700 € pro Nase rechnen.

Baier: Das russische Finanzsystem ist starken Sanktionen unterworfen, beispielsweise funktionieren westliche Kreditkarten in Russland nicht mehr. Wie beeinflussen diese Sanktionen die Reise nach Russland und welche Alternativen gibt es zur Verwendung von westlichen Kreditkarten, die nicht mehr funktionieren?

Packeiser: Es gibt eigentlich keine vernünftige Alternative zu den westlichen Zahlungssystemen. Wir müssen auch immer bedenken, dass Russland ein Land ist, in dem die Digitalisierung sehr weit fortgeschritten ist, sodass alles, was mit digitaler Zahlung für Dienstleistungen und Güter zu tun hat, ich würde sagen, weiter fortgeschritten ist als in der Bundesrepublik Deutschland. Ohne diese Karten fühlt man sich dort ein bisschen primitiv. Es gibt gegenwärtig keine wirklichen Lösungen für die großen westlichen Systeme wie Mastercard, PayPal und was wir alle kennen. Sie sind in Russland nicht mehr verwendbar. Als Alternative gibt es die chinesischen UnionPay-Systeme, die aber aus Deutschland nicht erhältlich sind. Es gibt immer noch einige Online-Anbieter, die Überweisungen auf russische Bankkonten ermöglichen, die bisher nicht von Sanktionen betroffen sind, aber das kann jeden Tag je nach Person, die sanktioniert wird, anders sein. Wenn man nicht mit Taschen voller Geld durch das Land reisen möchte, ist auch ein Problem, dass ein Verbot besteht, Euro-Banknoten über persönliche Bedürfnisse hinaus zu exportieren – und was genau als persönliche Bedürfnisse gilt, hängt vom guten Willen eines Zollbeamten an der finnischen Grenze ab. Es besteht theoretisch auch die Möglichkeit, ein Konto bei einer nicht sanktionierten russischen Bank zu eröffnen und Geld über diese Online-Anbieter zu erhalten, aber alles ist sehr kompliziert. Das ist keine triviale Angelegenheit. Die russische Regierung hat auch Anfang dieses Jahres angekündigt, eine spezielle Touristenbankkarte auszustellen. Wie sich das entwickelt, muss man aber erst sehen.

Baier: Gibt es Zahlen über die Einreise von EU und deutschen Staatsbürgern nach Russland nach Einführung der Sanktionen?

Packeiser: Ja und nein. Es gibt Zahlen über die Einreise von ausländischen Staatsbürgern als Touristen, aber für deutsche Staatsbürger gab es im letzten Jahr 20.000, was einen Rückgang von über 90 % im Vergleich zu vor Corona bedeutet. Diese Touristen sind jedoch oft keine Touristen, sondern Besucher von Verwandten, die ein Touristenvisum beantragen, weil es einfacher ist.

Baier: Wie sieht es momentan mit Verfügbarkeit und Preisen von Unterkünften in Russland aus?

Packeiser: Das hängt von der Perspektive ab. Für einen Reisenden aus Deutschland ist der Wechselkurs entscheidend, der stark schwankt und schwer vorherzusagen ist, was zu erheblichen Preisunterschieden führt. Nach Beginn des Krieges stürzte der Rubel stark ab, was Hotelzimmer günstiger machte. Dann wurde Russland plötzlich teuer, aber jetzt ist es wieder auf dem Niveau von vor dem Krieg. Es wird nicht erwartet, dass es in Städten wie Moskau oder St. Petersburg, wo die ausländischen Gäste fehlen, Engpässe bei den Hotels gibt, aber der entscheidende Faktor ist tatsächlich, wie viel Rubel es für einen Euro gibt.

Baier: Sehen Sie Perspektiven zur Lockerung der Sanktionen, die insbesondere das Reisen betreffen, in der Zukunft?

Packeiser: Ich bin momentan eigentlich sehr pessimistisch. Es hängt alles davon ab, wie sich dieser unerträgliche Konflikt, dieser Krieg, entwickelt. Ich denke nicht, dass es in absehbarer Zeit einen Frieden geben wird, der Frieden genannt werden kann. Es ist eher so, dass wir zu einer Situation wie nach dem Koreakrieg kommen werden. Alle sind erschöpft, dann gibt es eine Frontlinie, wo wir aufhören, uns gegenseitig zu erschießen, aber dieser neue Kalte Krieg wird für lange Zeit bleiben. Unter diesen Bedingungen ist es schwer für mich vorstellbar, dass das Reisen in absehbarer Zukunft normalisiert werden wird. Was man aber sehen kann, ist, dass langsam Menschen zu Wort kommen, die sagen, dass uns das betrifft. Obwohl wir nichts mit diesem Krieg zu tun haben, können wir unsere Verwandten nicht mehr sehen. Es gibt mehrere Millionen Deutsche mit Wurzeln in Russland, die ebenfalls ihre Stimme erheben könnten, und es gibt auch ein paar Stimmen in der politischen Arena, die sagen, dass das ein Problem ist, aber im Moment können wir daran nichts ändern.

Meine Vorhersage ist, dass es lange dauern wird. Und diejenigen, die jetzt das Schicksal haben, dass sie hier und da verwurzelt sind, werden lange mit diesem Problem zu tun haben.

Baier: Die letzte Frage ist eine sehr praktische Frage, nämlich welche praktischen Tipps haben Sie für Deutsche, die immer noch nach Russland reisen möchten?

Packeiser: Aus meiner Sicht wäre der erste Tipp, sich die Frage zu stellen: “Muss ich dort jetzt unbedingt hin?” Diese Schlussfolgerung bedeutet nicht, dass man im Moment nicht nach Russland reisen sollte, aber man sollte überlegen, ob es der richtige Zeitpunkt ist. Ich würde unterscheiden zwischen Leuten, die sagen “Ich habe bereits ganz Europa gesehen, aber ich war noch nicht in St. Petersburg”, und ich würde diesen Leuten sagen, dass es im Moment kompliziert ist und es viele Unsicherheiten gibt. Überlegen Sie sich, ob Sie nicht auf einen besseren Zeitpunkt warten sollten. Auf der anderen Seite, wenn Sie Freunde oder Verwandte dort haben und diese nicht in den Westen kommen können, können Sie natürlich nach Russland reisen, um diese zu sehen. Ich selbst würde auch nach Russland zurückkehren, weil es dort viele Menschen gibt, die mir am Herzen liegen. Wenn es einen stichhaltigen Grund gibt, dort hinzufahren, dann sollten diese Leute die Nachrichten verfolgen, sich vorbereiten, überlegen, was passieren könnte, und auf jegliche Schwierigkeiten vorbereitet sein. Vielleicht sollten sie ein Visum beantragen, welches nicht zwei Stunden nach der geplanten Abreise abläuft, sondern vielleicht zwei Wochen später, weil etwas schiefgehen kann, oder Flüge abgesagt werden können. Man sollte die Planung einer solchen Reise nach Russland mit einer gewissen Achtung vor den Unsicherheiten angehen.

Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Podcast “Zaren. Faten. Fakten.”

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