Osteuropaexperten über Perspektiven im deutsch-russischen Verhältnis
Ungewissheit, Verwirrung und wilde Spekulationen. Davon geprägt waren die letzten Tage nach der US-Wahl. Was wird der Machtwechsel in Washington bringen – für Amerika, Russland und den Rest der Welt? Welchen Weg nimmt die US-Außenpolitik und was wird aus den kriselnden deutsch-russischen Beziehungen? Das Deutsch-Russische Forum nahm am Montag die vergangene US-Wahl zum Anlass, einen vorsichtigen Blick auf die Beziehungen Deutschlands mit Russland zu werfen. Das Thema: „Lockdown der Beziehungen – kann es einen Neustart im deutsch-russischen Verhältnis geben?“.
Dazu diskutierte eine Runde aus Medienvertretern und Russland-Experten, übertragen auf YouTube. Eingeladen waren der Politologe und Buchautor Alexander Rahr, und die Russlandkorrespondenten Christiane Hoffmann (SPIEGEL) und Michael Thumann (ZEIT) – die Moderation übernahm Hermann Krause, langjähriger ARD-Hörfunkkorrespondent in Moskau und nun Leiter der deutschen Kriegsgräberfürsorge in der russischen Hauptstadt.
Vergangenheit und Gegenwart – die US-Wahl
Bevor die Runde der Osteuropaexperten auf das deutsch-russische Verhältnis zu sprechen kam, blickte Moderator Hermann Krause in die Vergangenheit. Seine Eingangsfrage: wie steht es um die USA-Russland Beziehungen unter Trump und die US-Wahl? Für die Medienvertreter war klar – Trump hinterlässt Spuren, auch im Verhältnis zu Russland. Michael Thumann führte aus, der Präsident sei zwar bald weg, doch Ressentiments und „Trumpismus“ würden bleiben. Dabei passe Trump zu anderen Autokraten wie Wladimir Putin, die gut miteinander auskommen. Denn Sie verbinde eine persönliche Ebene, viele Gespräche der Staatsmänner fanden unter vier Augen statt und das habe das Verhältnis geprägt.
Es widersprach Spiegel-Journalistin Christiane Hoffmann. So habe sich am russisch-amerikanischen Verhältnis nicht viel geändert, der Charakter beider Staatsmänner habe nur wenig zum Verhältnis beigetragen. Und der Politologe Alexander Rahr holte hier deutlich weiter aus: es gehe „um eine Dreiteilung der Welt. Der Liberalismus ist an die Grenzen seiner Aufklärung gelangt. Wir sind in einer Phase des Kampfes der Zivilisation.“ Demnach halten die Autokraten überall auf der Welt zusammen, „um die liberale Welt zu schlagen, welche die Autoritäre Welt bekämpft.“
Aber was heißt das jetzt für das russisch-amerikanische Verhältnis?
Moderator Hermann Krause blickte wieder zurück. Trump sei es entgegen seines Ziels („es ist besser Russland im Boot zu haben, als außerhalb“) nicht gelungen, gute Beziehungen nach Moskau aufzubauen. Christiane Hoffmann ergänzte: die Hoffnungen hätten sich auch auf russischer Seite nicht erfüllt; siehe Aufkündigung des INF-Vertrags und die weitreichenden Handelskonflikte der letzten Jahre.
Und wie wird es mit Biden?
ZEIT-Korrespondent Thumann sah hier echte Chancen der Zusammenarbeit. Als Erbe Trumps läge es nun zum Beispiel an Biden, Abrüstungsverhandlungen wieder aufzunehmen – „Einen Schritt näher zum Frieden, als wolkige Schritte Trumps und leere Worte“. Als Problematisch für Russland nannte Christiane Hoffmann hier aber das wahrscheinliche Wiedererstarken der NATO unter dem Präsidenten Biden.
Verpasste Chancen – Grund zum Pessimismus?
Während die Diskussion um die Beziehungen Russlands mit den USA so vor allem Sicherheitspolitik und Wahlbeeinflussung zum Thema hatte, ging es immer wieder auch um verpasste Chancen in der Außenpolitik. Der zweite Teil der Diskussionsrunde fokussierte dann die verpassten Chancen Deutschlands mit Russland. Blieben die Überlegungen zum zukünftigen Verhältnis der Weltmächte USA und Russland noch nebulös, ließen sich die Diskutanten zu klareren Worten für die deutsch-russische Perspektive hinreißen.
Kritik an der Bundespolitik kam dabei von Alexander Rahr: die Bundesregierung sei zu lange mit dem Aufbau der EU beschäftigt gewesen und habe die strategischen Beziehungen zu Russland vernachlässigt. Rahr warf in die Runde: „Was will Deutschland von Russland? Nichts!“ Gezeigt hätte dies zum Beispiel die gescheiterte Modernisierungspartnerschaft beider Länder.
Christiane Hoffmann differenzierte stärker: Hoffnungen auf Zusammenarbeit nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden auf beiden Seiten enttäuscht. Deshalb sei man in Deutschland so streng mit den Russen.
Doch in einem Punkt waren sich alle einig: die Systeme Russlands und Deutschlands sind einfach sehr unterschiedlich.
Zweifelsfrei, die großen außenpolitischen wie gesellschaftlichen Differenzen zwischen beiden Ländern wurden zuletzt immer wieder deutlich. Politische Spannungen auf höchstem Level, tiefer werdende Risse im Verhältnis. Befeuert zum Beispiel durch den Fall Nawalny. Grund zum Pessimismus? Für den Politologen Rahr nicht unbedingt. Im Fall Nawalnys seien die Differenzen schon wieder Vergangenheit. Dem Oppositionspolitiker gehe es wieder gut und sowohl Russland als auch Deutschland hätten erkannt, dass Kooperation nötig sei und es so nicht mehr weitergehe.
Brennen tun aber auch die Fragen um den möglichen Machtwechsel in Belarus. Moderator Hermann Krause fragte dazu in die Runde: „Was muss Europa tun?“ Christiane Hoffmann äußerte sich skeptisch: „Wir dürfen unsere Einflussmöglichkeiten nicht überschätzen, wie in der Ukraine geschehen.“
Was sagt Putin?
Grund zu Hoffnungen auf einen Lichtblick in den deutsch-russischen Beziehungen hatte zuletzt Wladimir Putin selbst gemacht. Auf dem Waldai-Forum vor zwei Wochen, einer russischen Thinktank-Konferenz, sprach er von Deutschland als einem wichtigen Handelspartner, direkt hinter China auf Platz zwei beim Außenhandel mit Russland. Er betonte die „sehr guten Beziehungen“, welche Deutschland und Russland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verbinden würden und von einem gegenseitigen Interesse, das weiterhin bestehen bleibe. Diese Beziehungen gelte es zu unterstützen, „ungeachtet dessen, was der ein oder andere macht, bzw. unternimmt“, suchte der russische Präsident gute Miene in schwierigen Zeiten aufzusetzen.
Christiane Hoffmann kommentierte diese Aussage als „rückwärtsgewandt“ und „Flucht in die Geschichte“. Alexander Rahr hingegen, der selbst Gast auf dem Waldai-Forum war, sah daran nichts Negatives. Putin wolle durch Deutschland einfach gute Beziehungen zum Westen aufbauen.
Verpasste Gelegenheiten? Andere Perspektiven!
Darin waren sich die Diskutierenden einig: verpasste Gelegenheiten der guten Zusammenarbeit gab es viele. Doch Michael Thumann fand, es müssten neue Perspektiven entworfen werden. Neue Perspektiven, auch bei der Sanktionspolitik als Folge des Ukraine-Konflikts. „Wir sind gefangen in diesem Prozess“, konstatierte Thumann, „weder kann die EU vergessen“ noch „Russland in der Ukraine lockerlassen“.
Andere Perspektiven hält auch Christiane Hoffmann für notwendig. Zum Beispiel Visaerleichterungen. So gelte es langfristig, „auf ein besseres Verständnis in der Bevölkerung zu setzen, anstatt sich in der Politik zu verhaken.“ Gegen Ende des Gesprächs wurde Moderator Krause noch einmal direkt: Warum haben wir so ein schlechtes Russlandbild in Deutschland? Alexander Rahr sah die Gründe dafür bei Problemen mit der Geschichte und deutschen Russlandstereotypen. Michael Thumann relativierte: Das Bild der Russen in Deutschland sei gar nicht so schlecht – es existiere etwas „Grundpositives, was die deutsche und russische Gesellschaft mehr verbindet als andere.“
Und was ist nun mit einem möglichen Neustart der Beziehungen?
Das Fazit: Es kommt darauf an. Auf die Politiker der nächsten Jahre – denn Personen machen Politik –, die transatlantischen Beziehungen und die deutsche Regierung. Alle fanden: Spannend wird es nächstes Jahr, wenn wieder in Deutschland gewählt wird. Ob dann Deutschland, Russland oder die USA eine Art „Neustart“ hinlegen, bleibt abzuwarten. Für Michael Thumann aber ist ein „Neustart“ gar nicht so wichtig. Wichtiger sei die „lange Sicht“, und da sei er nicht so pessimistisch wie andere.
Titelbild: Deutsch-Russisches Forum / Screenshot Ostexperte.de. [/su_spoiler]^*^