Entsteht eine neue Weltordnung? Wenn ja, dann ließ die gleichnamige Konferenz im Berliner Forschungsinstitut Dialog der Zivilisationen (DOC) gestern erste Umrisse erkennen. Dass die unipolare Weltordnung unter US-Dominanz, entstanden nach dem Ende der Sowjetunion, spätestens seit 2014 keine allgemeine Anerkennung mehr findet, wurde von allen Vortragenden – geopolitische Experten aus fünf Ländern – anerkannt.
Doch sogleich traten auch die Differenzen zwischen Russland und dem Westen zutage. Sprach John Mearsheimer, University of Chicago, von der “internationalen liberalen Ordnung”, so entgegnete Sergej Karaganow, russischer Präsidentenberater und Lehrstuhlinhaber an der Moskauer Höheren Schule für Ökonomie, Mearsheimers Ordnung sei weder liberal noch eine Ordnung. Sie dränge anderen Ländern eine spezifisch westliche Sichtweise von Liberalismus auf und hinterlasse dort, wo sich der Westen als Ordnungsmacht aufschwinge, Chaos und Unordnung. Ihr Geltungsanspruch sei im Grunde bereits mit der Anerkennung der Sezession der jugoslawischen Teilrepubliken ab 1991 erloschen.
Der Osteuropaspezialist Richard Sakwa von der University of Kent unterscheidet zwei Ansätze zu einer postkommunistischen Weltordnung. Der erste, gescheiterte, baute Anfang der Neunziger auf Michail Gorbatschows Postulat eines “Europas von Lissabon bis Wladiwostok” (Greater Europe). Danach habe man einfach die westlichen Ordnungsvorstellungen propagiert, was sich in der Expansion von EU und NATO niedergeschlagen habe. Russland habe diese Expansion 2014 in der Ukraine faktisch gestoppt. Sakwa prognostiziert als Nachfolgerin eine dritte, nicht notwendigerweise instabile Weltordnung, die von den USA und von einer Allianz aus China und Russland beherrscht wird.
Diese Allianz wird auch von Karaganow vehement unterstützt. Russland sei, wenn auch kulturell europäisch, sowohl geopolitisch als von seiner nationalen Ideologie her ein eurasisches Land. Erst Peter I habe es in eine europäische Randexistenz geführt. Vom derzeitigen Russland könne man sagen, dass es sich “erstmals seit 1814” geopolitisch richtig wohl fühle. Bei der von Mearsheimer prognostizierten militärischen Auseinandersetzung zwischen China und den USA werde Russland die Chinesen mit Waffen und Ressourcen unterstützen – ein Krieg, der nach Karaganows Worten einer Auseinandersetzung mit dem Westen in Europa bei weitem vorzuziehen sei.
Der Frage nach der Zukunft Europas begegnete die Konferenz weitgehend ratlos. Mearsheimer konstatierte, kein Land auf dem Kontinent, auch nicht Deutschland, sei dominant genug, um nach einem Rückzug der USA als Führungsmacht aufzutreten. Noch prägnanter fiel Karaganows Urteil aus. Mit dem Konzept der Europäischen Union habe Europa das normative Potential der Nationalstaaten aufgegeben, ohne etwas funktional Gleichwertiges an deren Stelle zu setzen.
Vielleicht bleibt der alte Kontinent den Touristen aus aller Welt ja als Disney-Park für edlen Konsum und Moral in der Politik erhalten.