Der jugoslawische Film
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Helden, Träume und Trümmer – der jugoslawische Film als kulturelles Gedächtnis


Der jugoslawische Film als Denkmal seiner Zeit

Die jugoslawische Filmkunst hat in den letzten fünf Jahrzehnten einen tiefgreifenden Wandel erlebt – stilistisch, thematisch und politisch. In den späten 1970er- und 1980er-Jahren rückten gesellschaftliche Themen, die Krise des Sozialismus und zwischenmenschliche Beziehungen in den Mittelpunkt. Mit den Kriegen der 1990er Jahre brach eine neue Ära an: eine Welle von Filmen, die den Irrsinn des Krieges und die menschlichen Verluste auf eindringliche Weise thematisierten.

Zur Blütezeit stand der jugoslawische Film an der Spitze der europäischen Kinematografie. Werke aus der Region liefen regelmäßig auf renommierten Festivals in Berlin, Venedig und Cannes. Einige wurden sogar für den Oscar oder Golden Globe nominiert – einige dieser Filme stellen wir im Folgenden vor.

„Wenn ich einen Film drehe, will ich, dass er lebt wie ein Mensch – lacht, tanzt, stirbt und wieder aufersteht.“

Emir Kusturica

Die Schlacht an der Neretva (1969) – Veljko Bulajić

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das damalige Regime ein klares Ziel: den nationalen Geist gegen äußere Feinde zu stärken – ein Ziel, das auch die Filmkunst mittrug. Die Schlacht an der Neretva gilt als Paradebeispiel staatlich geförderter Filmpropaganda mit künstlerischem Anspruch. 1970 wurde der Film für den Oscar nominiert. Eine besondere Anekdote: Das Filmplakat gestaltete Pablo Picasso – als Honorar erhielt er eine Kiste feinster jugoslawischer Weine.

Walter verteidigt Sarajevo (1972) – Hajrudin Krvavac

Der Partisanengeist blieb populär – Walter verteidigt Sarajevo knüpfte an diesen Erfolg an. Die Geschichte des Widerstandskämpfers Walter Perić, der das besetzte Sarajevo zur Verteidigung inspiriert, basiert auf historischen Ereignissen. Der Film wurde in China ein Phänomen – die Hauptfigur, gespielt von Bata Živojinović, erreichte dort Kultstatus.

Die Stadt Sarajevo spielt eine wichtige Rolle für den jugoslawischen Film
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Wer singt denn da? (1980) – Slobodan Šijan

Eine skurrile Gruppe von Reisenden auf einer klapprigen Busfahrt durch das kriegsgezeichnete Serbien – Ko to tamo peva (dt. Wer singt denn da?) ist eine schwarze Komödie, die satirisch das damalige Gesellschaftsbild seziert. Die Zeile „Vozi Miško!“ („Fahr, Miško!“) wurde zum geflügelten Wort. Der Film wurde mehrfach zum besten jugoslawischen Film gewählt und erhielt unter anderem Auszeichnungen beim Festival in Montreal.

Zwischen Kino und kollektiver Erinnerung
Die jugoslawische Filmproduktion war nie nur Unterhaltung – sie war immer auch Spiegel der Gesellschaft und Mittel zur Auseinandersetzung mit Geschichte. In einer Region, in der politische Identität, nationale Zugehörigkeit und historische Deutung stets umkämpft waren, übernahm das Kino eine doppelte Funktion: als Bühne für kritische Reflexion und als Werkzeug staatlicher Erzählung. Besonders in den 1980er-Jahren wagten viele Regisseure, die inneren Widersprüche des jugoslawischen Systems offen zu thematisieren – mal satirisch, mal melancholisch, aber stets mit einem Gespür für das kollektive Lebensgefühl.

Erinnerst du dich an Dolly Bell? (1981) – Emir Kusturica

Kusturicas Regiedebüt ist ein sensibles Porträt des Sarajevos der 1960er Jahre. Der Junge Dino entdeckt das Leben – und die Liebe – durch seine Begegnung mit Dolly Bell. Der Film zeigt das Alltagsleben in den Arbeitervierteln mit Leichtigkeit und Humor. Für viele bleibt dies Kusturicas liebevollste Hommage an seine Heimatstadt.

Papa ist auf Dienstreise (1985) – Emir Kusturica

Ein weiteres Meisterwerk, das fast den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewann. Die Geschichte des Jungen Malik, dessen Vater wegen politischer Aussagen in ein Arbeitslager geschickt wird – offiziell sei er „auf Dienstreise“ –, erzählt viel über das Jugoslawien der 1950er Jahre. Der Film brachte Kusturica die Goldene Palme in Cannes und internationale Anerkennung.

Zeit der Zigeuner (1988) – Emir Kusturica

Ein poetischer und kraftvoller Film über das Leben der Roma in Jugoslawien. Zum ersten Mal wurde Romanes – die Sprache der Roma – authentisch verwendet. Der Film erzählt die Geschichte des jungen Perhan, der zwischen Magie, Kriminalität und Tradition zerrieben wird. Die Musik von Goran Bregović trug zum großen Erfolg bei – Kusturica erhielt erneut den Preis für die beste Regie in Cannes.

Wie wird Emir Kusturica im ehemaligen Jugoslawien gesehen?


* Im Allgemeinen:
Kusturica spaltet die Meinungen. Er wird als künstlerisches Genie verehrt, aber auch wegen seiner politischen Aussagen und Loyalitäten kritisiert.
* In Bosnien-Herzegowina:
Sehr umstritten. Viele Bosniaken werfen ihm vor, sich vom bosnischen Hintergrund abgewandt und zu sehr an die serbisch-nationalistische Linie angelehnt zu haben – besonders wegen seiner Nähe zu Figuren wie Milorad Dodik und Vladimir Putin.
* In Serbien:
Er ist eine Art Kultfigur – sowohl als Künstler als auch als öffentlicher Intellektueller. Viele sehen ihn als Verteidiger der serbischen Kultur im internationalen Raum.
* In Montenegro:
In Montenegro ist die Haltung gegenüber Kusturica gemischt bis eher kühl.
Er wird von montenegrinischen Nationalisten eher abgelehnt, da er klar pro-serbische Positionen vertritt.
Gleichzeitig hat er viele Fans unter der serbisch gesinnten Bevölkerung, besonders im Norden Montenegros.
Politisch liegt er näher an der pro-serbischen Opposition als an der aktuellen montenegrinischen Unabhängigkeitslinie.
Ein bekanntes Beispiel: Kusturica war an Projekten rund um den Nationalpark Durmitor interessiert, was zu Konflikten mit Umweltaktivisten und der Regierung führte. Auch sein Festival „Kustendorf“ in Serbien wird von Kritikern in Montenegro oft als politisch motiviertes Kulturprojekt gesehen.

No Man’s Land (2001) – Danis Tanović

Der bislang einzige Oscar-Gewinner aus dem ehemaligen Jugoslawien. Zwei gegnerische Soldaten sitzen im Bosnienkrieg in einem Schützengraben fest – zwischen Fronten, zwischen Realitäten. No Man’s Land brachte mit klarem Blick und schwarzem Humor die Schrecken des Balkankriegs einem internationalen Publikum näher. Neben dem Oscar erhielt der Film auch den Golden Globe.

Fazit

Trotz der politischen Auflösung Jugoslawiens blieb die künstlerische Kraft des Films erhalten. Heute gibt es sechs eigenständige Filmindustrien – doch die Erzähltraditionen, Themen und Talente sind tief miteinander verbunden. Die Geschichte des Films auf dem Balkan zeigt eindrucksvoll, wie Kino als kulturelles Gedächtnis funktioniert – damals wie heute.


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