„Auch fehlende Antworten sagen etwas aus“

Interview mit der Moskauer Interview-Spezialistin Julia Dudnik

Ostexperte hat 2019 die junge Moskauer Journalistin Julia Dudnik interviewt, die damals schon für das deutschsprachige Publikum tätig war. Seitdem ist bei ihr viel passiert. Sie arbeitete zwischenzeitlich mehrfach für eine Reihe renommierter Zeitungen im Print- und Onlinebereich wie dem Wochenmagazin „der Freitag“, Tageszeitungen oder der Fachzeitschrift „Internationale Politik und Gesellschaft“. Ihre Spezialität sind vor allem Interviews mit bekannten russischen Fachleuten. Wir haben sie nochmal getroffen.

Ostexperte: Ich weiß, Du willst mit Deiner journalistischen Tätigkeit das Verständnis des deutschsprachigen Publikums für politische Zusammenhänge in Russland fördern. Seitdem Du damit begonnen hast, hat im großen Rahmen das gegenseitige politische Verständnis in Deutschland und Russland eher abgenommen. Alles wird von Spannungen geprägt. Ist das nicht frustrierend für Dich?

Julia Dudnik: Ich habe meine journalistische Tätigkeit erst 2016 begonnen. Da war die für mich tiefste Krise zwischen Russland und Europa von 2013 auf 2014 schon vorbei. Deswegen kann ich es nicht mit der Zeit davor vergleichen. Seitdem gibt es Höhen und Tiefen, was emotional kein Problem für mich ist. Natürlich wäre es wünschenswert, dass sich die Dinge wieder verbessern, beide Seiten aufeinander zu bewegen, Themen für eine Zusammenarbeit finden. Aber ich habe nicht das Problem einiger älterer Kollegen, die schon zu besseren Zeiten vor der Krimkrise für Verständnis geworben haben und dann plötzlich alles schief ging. Für sie war das Ende besserer Zeiten bestimmt schwierig.

„Die Leute freuen sich, wenn sie ihre Erkenntnisse auch auf Deutsch präsentieren können“

Wenn Du russische Experten im Namen von deutschen Medien kontaktierst – spürst Du da aufgrund der angespannten Beziehungen auch so etwas wie Misstrauen oder ist man da weiter offen?

Ich spüre kaum Misstrauen, kontaktiere die Fachleute aber auch in meinem eigenen Namen. Einige Experten kennen mich schon und haben Vertrauen zu mir. Für sie ist es kein Problem, immer wieder mit mir zu reden – sie haben mit mir schon gesprochen und alles lief gut. Da gibt es keinen Grund für Misstrauen, auch nicht, wenn ich meinen aktuellen Auftraggeber nenne. Außerdem freuen sich die Leute, dass sie ihre Erkenntnisse auch in Deutschland präsentieren können, in Österreich oder in anderen deutschsprachigen Ländern. Dass dort Interesse an der russischen Sicht besteht – und einem Beitrag zur Verständigung.

Viele russische Journalisten, die auf Deutsch schreiben, tun das für staatlich-russische Medien wie RT DE, Sputniknews – oder ihrem Gegenstück, der Deutschen Welle. Du arbeitest stattdessen für private deutsche Anbieter wie dem Freitag, der Moskauer Deutschen Zeitung oder Telepolis. Warum?

Ich bin keine hauptberufliche Journalistin und habe auch nicht die Aufgabe, meine Berichte oder Interviews einem Ziel wie der Verbesserung des deutschen Images in Russland oder umgekehrt zu widmen. Ich sehe es mehr als meine Aufgabe, die Leute realistisch über Zustände etwa in Russland zu informieren. Dort, wo sonst fundierte Analysen oft fehlen. Wenn ich so eine Lücke sehe, weiß ich, mit wem ich sprechen muss. Dass Leute andere Positionen, Sichtweisen aus einem anderen Blickwinkel kennenlernen, das sehe ich als meine Aufgabe.

„Auch fehlende Antworten ermöglichen ein Fazit zu ziehen“

Du warst bei der Sommerakademie der Organisation ATTAC Referentin zum Thema Feindbildabbau Russland. Nun bemüht sich ja ATTAC allgemein sehr in diesem Bereich. Anderen deutschen, gegenüber Russland sehr kritischen Organisationen wirft man von russischer Seite vor, eher Feindbilder aufzubauen. Würdest Du auch der Einladung einer solchen Organisation folgen?

Ich freue mich immer über alle Einladungen und dass es Interesse daran gibt, meine eigenen Positionen anzuhören oder mit mir zu diskutieren. Ebenso wie mit anderen Russen oder Dritten, die etwas zu sagen haben. Das kann auch in einem anderem Umfeld geschehen. Ich war 2020 bei einem Online-Event der Jungen Union in Bayern und es war eine sehr interessante Erfahrung für mich. Das Thema war Russland und ich fand es spannend, welche Ansichten die Leute dort hatten. Es ist auch interessant, wie man dort Fragen beantwortet, die ich stelle. Auch fehlende Antworten sagen nach meiner Meinung etwas aus und ermöglichen mir, ein Fazit zu ziehen – wie die Reaktionen sind und was man genau nicht beantworten will. Wenn sich Leute Mühe geben, eine Möglichkeit zum Dialog zu schaffen, ist das immer gut, auch wenn der Dialog einmal nicht zu 100 % gelingt. Das ist allgemein zwischen den Menschen so – Dinge pauschal abzulehnen wäre nicht konstruktiv.

Im letzten Interview meintest Du, ein großes Problem in der russischen Politik sei das fehlende Vertrauen in das eigene Volk und der Wunsch der Behörden alles zu kontrollieren. Siehst Du darin die Ursache für weitere Einschränkungen, die es seitdem für kritische Journalisten im Land gab? Oder spielt der Druck aus dem Westen heute eine größere Rolle – manche Analysten sprechen ja vom „Gefühl einer belagerten Festung“?

Ich finde, man merkt jetzt auch das fehlende Vertrauen der Behörden in sich selbst. Was die „belagerte Festung“ anbetrifft, das Gefühl war in Russland während der Krimkrise spürbar und man hat sich danach entschlossen, sich einfach umzuorientieren. Also die Beziehungen mit China und den GUS-Staaten auszubauen. Aktuell sieht es nicht so aus, dass Russland alle Partner verloren hat und sich nicht mehr wohl fühlt. Auch im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion wird es auf der Spitzenebene weiter Vereinbarungen geben, zu Themen wie dem Klimawandel oder der Infrastruktur.

Der Westen versucht ja mit dem Druck von außen eigentlich nach ihrem Verständnis „positiven“ Einfluss auf die russische Innenpolitik zu nehmen. Ist das, wie es aktuell durch Regierungen aus NATO-Staaten geschieht, zielführend und was sollte stattdessen geschehen?

Was aktuell geschieht, ist keine gute Idee. Innenpolitik gehört den Leuten im Inneren. Das zeigt sich auch gut, neben der Situation in Russland, an der in Belarus, wo der Druck dazu dienen soll, dass faire Wahlen stattfinden und es mehr Freiheit gibt. Das Gegenteil wird erreicht, die Bedingungen im Land verschlechtern sich. Und das Ansehen des Westens in den Augen der Leute verschlechtert sich. Es ist immer eine riskante Idee, Einfluss auf fremde Innenpolitik nehmen zu wollen. Das große Thema dazu ist jetzt natürlich Afghanistan, das große Diskussionen zu NATO-Einsätzen und der Politik der USA ausgelöst hat. Und keine positiven.

„Leute, die positive Kontakte zum anderen Land wünschen, können etwas bewegen“

Schluss mit den negativen Nachrichten. Was könnte denn Deiner Meinung nach eine Thematik sein, über dass sich das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland auch wieder verbessert?

Vor etwa einem halben Jahr habe ich dazu mit Andrej Kortunow (Generaldirektor des Russischen Rates für Auswärtige Beziehungen, Anm. d. Red.) gesprochen, eigentlich zu einem anderen Thema. Er meinte, das Entscheidende hier sei die Zivilgesellschaft. Die Leute, die positive Kontakte zum anderen Land wünschen, können etwas bewegen. Sie können auch nach oben signalisieren, dass es wichtig ist, Kontakte aufzubauen, Dialogplattformen herzustellen, im Gespräch zu bleiben. Dieser Meinung stimme ich zu. Der Wunsch nach einer Entwicklung von Beziehungen muss sich auch abseits von der hohen Politik äußern.

In Deinen Interviews hast Du sowohl Vertreter von großen deutschen Zeitungen – wie Michael Thumann von der Zeit – oder von Alternativmedien – wie Albrecht Müller von den Nachdenkseiten – gesprochen. Zwischen beiden Medienblöcken gibt es ja heftige gegenseitige Angriffe, gerade im Bezug auf Russlandthemen. Warum ist die deutsche Russlandberichterstattung so polarisiert?

Da muss man die Deutschen fragen. Denn es ist etwas, was in ihrem Land passiert. Umgekehrt gibt es diese Polarisierung auch in Russland im Bezug auf Europa. In liberalen Medien, die jetzt großteils zu ausländischen Agenten erklärt wurden, gibt es ein positives Bild von Europa und in den Kremlmedien ist es natürlich umgekehrt. In Deutschland hat es, meiner Meinung nach, damit zu tun, dass Themen wie beispielsweise Russland Teil eines innenpolitischen Kampfes werden. In der Politik gibt es viele Instrumente und Mittel und ganze Themen können zu solchen Instrumenten werden. Man sollte alles ohne kindliche Stereotypen wahrnehmen und sich normal entscheiden, wie und wo man sich informiert und welche Meinung man für richtig hält.

Du hast in den vergangenen Jahren auch mit Prominenten wie Sarah Wagenknecht oder in Russland sehr bekannten Analysten wie dem von Dir erwähnten Andrej Kortunow gesprochen. Ist Dir dabei ein Gespräch inhaltlich besonders in Erinnerung geblieben?

Ich habe wirklich viele interessante und spannende Gespräche geführt. Im Kopf bleiben natürlich erst einmal lustige oder komische Situationen. Etwa wenn man jemanden interviewt, der zeitgleich Visitenkarten verteilt und etwas trinkt. Manchmal führe ich Interviews, wo sich auch direkt danach ein Gespräch entwickelt und man danach im Kontakt bleibt, etwa über Soziale Netzwerke. Dabei ist der Bekanntheitsgrad keine so wichtige Sache, manchmal stimmt einfach die Chemie und das ist das für mich positivste.

Hast Du noch so eine lustige Geschichte von einem Interview, die Du den Lesern erzählen willst?

Manchmal führe ich Interviews wirklich ganz weit weg vom Bild, das man von einer Büroarbeit hat. Eines habe ich einmal im Wald geführt, einfach weil ich in einer Pause von 30 Minuten von meinem Hauptjob innerhalb von 30 Minuten eines führen musste und es gab nirgends ein Café. So gingen wir einfach in einen Park. Schön ist, dass die Interviewpartner da sehr gelassen darauf reagieren. Das hat sich auch durch die Pandemie verstärkt. Die Leute wundern sich nicht mehr, von welchen Orten aus man online geht, um sie zu sprechen. Es ist normal geworden, online zu reden.

„Bei echter Analyse besteht eine Lücke“

Du sprichst sehr häufig mit auch sehr begehrten Fachleuten, aber nicht ganz so oft mit Politikern oder Diplomaten. Ist das eine Folge der Aufträge, die Du bekommst, oder gibt es noch einen anderen Grund?

Das hat mehrere Gründe. Diplomaten beispielsweise sind schwerer zu erreichen und dürfen oft nicht viel erzählen, wenn es um Hintergründe geht. Die richtig großen Medien haben zu ihnen einen anderen Zugang, auch zu Politikern in wirklich hohen Positionen. Interviews mit solchen sind auf Deutsch gut vertreten. Aber bei echter Analyse wird es schwieriger. Da besteht eine Lücke, die meine Kollegen und ich füllen können. Es ist auch immer interessant, mit einem Experten zu reden, der fachkundig Stellung nehmen kann. Dabei kommt mehr Information herüber und die Auftraggeber unterstützen das.

Hast Du einen Wunsch-Interviewpartner, den Du – einmal ganz abgesehen von realistischen Planungen – schon immer einmal sprechen wolltest?

Es gibt keinen konkreten Menschen, aber eine Gruppe von Leuten, mit denen ich mich noch nicht so viel beschäftigt habe. Es ist der Bereich der Menschenrechtler. Da würde ich sehr gerne mit verschiedenen Leuten sprechen. Aber da gibt es auch ein gewisses Misstrauen Interviewern gegenüber. Es ist auch so, dass diese Leute misstrauisch sein müssen, damit nichts falsches geschrieben wird, das sie diskreditiert. Deswegen ist die Kontaktaufnahme mit ihnen schwieriger. Aber ich würde mich freuen, wenn es zu einer solchen kommt und ich auch zu diesem Thema meinen Beitrag leisten kann.

Danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Roland Bathon

Titelbild
Julia Dudnik